EU sanktioniert russisches Getreide
Die Union hofft, Russlands Einfluss auf die Agrarmärkte stoppen zu können.
Lebensmittel als Kriegswaffe: Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wird dieser Vorwurf gegen das Moskauer Regime lauter und klarer dokumentiert. Mit der Einführung von Zöllen und der Beendigung von Handelsvergünstigungen auf russische und belarussische Agrarprodukte hofft die EU, die gezielte politische Einflussnahme Moskaus auf Preise und öffentliche Meinung in Europa schwächen zu können.
Konkret schlug die Europäische Kommission am Freitag vor, Getreide, Ölsaaten (zum Beispiel Raps) sowie aus diesen gewonnene Produkte wie Mehl oder Margarine mit hohen Einfuhrzöllen zu belegen. Je nach Warenklasse sollen 95 Euro pro Tonne oder 50 Prozent des Warenwerts aufgeschlagen werden. In der Praxis werde das die betroffenen Feldfrüchte aus den beiden verbündeten Staaten unattraktiv teuer machen, erklärten Kommissionsbeamte gegenüber Journalisten.
Russland ernährt die Araber
Russland ist der drittgrößter Weizenproduzent der Welt und dessen größter Exporteur. Seit seiner Eskalation des 2014 begonnenen Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 hat Russland seine Bedeutung als wichtigster Lieferant Afrikas deutlich erhöht, zeigt eine jüngst veröffentlichte Studie des Center for Strategic and International Studies. Zwar seien die Weizenexporte nach Nordafrika heuer im Jahresvergleich gesunken, der russische Marktanteil in dieser Region beträgt jedoch unverändert 47 Prozent. Und Nordafrika ist weiterhin der wichtigste Absatzmarkt für russischen Weizen. Der russische Anteil am Weizenmarkt in Vorderasien (womit allen voran die
Golfstaaten sowie der Nahe Osten gemeint sind) sei sogar von 51 auf 59 Prozent gestiegen, halten die Studienautoren Caitlin Welsh und Joseph Glauber fest.
In die EU exportiert Russland weitaus weniger Weizen, Mais und andere agrarische Produkte, deren Einfuhr nun mittels Zöllen gestoppt werden soll. In der Union werden jährlich rund 300 Millionen Tonnen Weizen geerntet. Die russischen und belarussischen Einfuhren machten nur rund ein Prozent davon aus. „Es gibt kein Risiko für größere Auswirkungen auf die Marktpreise“, zerstreute einer der Kommissionsbeamten Bedenken, wonach es zu einem Anstieg der
Weizenpreise kommen könnte.
Zumal Europas Getreidebauern ohnehin über sehr niedrige Preise für ihre Produkte klagen. Deshalb befassten sich die Staats- und Regierungschefs am Freitag in Brüssel erstmals seit dem Jahr 2016 wieder auf einem Europäischen Rat so eingehend mit der Landwirtschaft, dass sie gemeinsame Schlussfolgerungen dazu beschlossen. „Alle möglichen kurz- und mittelfristigen Maßnahmen und innovativen Lösungen“sollten ergriffen werden, um „die Verwaltungslast zu verringern und Vereinfachungen für die Landwirte zu erzielen“. Auch mehr Subventionen stehen im Raum. Trotzdem haben Bauernverbände
für den Agrarministerrat am Dienstag erneut Straßensperren in Brüssel angekündigt.
Zölle als politisches Kalkül
Der Zorn der Bauern hat die EU bekanntlich auch dazu bewogen, bestimmte landwirtschaftliche Einfuhren aus der Ukraine zu drosseln. Einigkeit dazu gibt es unter den 27 Mitgliedstaaten noch nicht, Frankreich etwa verlangt, dass auch ukrainische Weizenimporte auf diese Weise eingedämmt werden, Polen will, dass das Jahr 2021 zur Berechnung der Schwellenwerte herangezogen wird. Für Mittwoch wird eine Einigung erhofft.
Vor diesem Hintergrund erklären sich die nun vorgeschlagenen Zölle auf russische Agrarimporte: Wenn das Kriegsopfer Ukraine weniger exportieren darf, warum dann nicht auch der Aggressor Russland? Der Beschluss dürfte schnell erfolgen, es handelt sich um eine Maßnahme nach der Außenhandelspolitik, die anders als außenpolitische Sanktionen nicht Einstimmigkeit, sondern eine qualifizierte Mehrheit von 15 Staaten erfordert, die gemeinsam 65 Prozent der Unionsbürger repräsentieren.
Die wirtschaftlichen Einbußen für Russland und Belarus dürften überschaubar sein. Rund 1,3 Milliarden Euro nahm Russland im vorigen Jahre mit Exporten dieser Warengruppen in die EU ein. 246 Millionen Euro waren es für Belarus.