Wenn Israel über die Stränge schlägt und die USA die rote Linie ziehen
Die USA sind Israels verlässlichster Partner. Doch die Beziehungen waren immer wieder getrübt.
Die beiden Ex-Generäle, die im Pentagon über die Militärstrategie im Gazastreifen und ein Zukunftsszenario konferierten, sprachen eine gemeinsame Sprache. Lloyd Austin, der US-Verteidigungsminister, hatte die US-Truppen in Iran und Afghanistan kommandiert und war darauf spezialisiert, den Aufstand islamistischer Milizen zu bekämpfen. Joav Gallant, sein Gegenüber als israelischer Verteidigungsminister, hat als Generalstabschef und Chef einer Spezialeinheit mehrere Gaza-Kriege ausgefochten.
Nach dem Zerwürfnis zwischen der Biden-Regierung und Benjamin Netanjahu wegen der jüngsten UN-Resolution betonte Austin: „Die USA sind der engste Freund Israels. Und das wird auch so bleiben.“Er hat das Bekenntnis zum wichtigsten Verbündeten in Nahost vorausgeschickt, um die Kritik Washingtons an Israels Krieg im Gazastreifen auf den Punkt zu bringen: „Die Zahl der zivilen Opfer im Gazastreifen ist heute viel zu hoch, und die humanitäre Hilfe ist viel zu gering.“
„Moralische Verpflichtung“
Der 70-Jährige, der sich zu Neujahr einer Operation wegen Prostatakrebs unterzogen hatte, erinnerte Gallant an die „moralische Verpflichtung“Israels gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung und an das „strategische Interesse“, dass der Krieg nicht zu einem regionalen Flächenbrand ausarten dürfe. Dies war von Anfang an eine Priorität der USA neben der Solidarität, die Präsident Joe Biden und sein außenund sicherheitspolitisches Team nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober in Besuchen in Israel demonstriert haben.
Israels Recht auf Selbstverteidigung ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Doch mit der Androhung einer Bodenoperation, die den USA als „schweren Fehler“betrachten würden, habe Israel nach Aussage Bidens eine „rote Linie“überschritten. Benjamin Netanjahu, Joav Gallant und Benny Gantz, die Mitglieder des israelischen Kriegskabinetts, die längst auseinanderstreben, eint indessen das Kriegsziel: der Sieg über die Hamas und deren letzten vier Bataillone. Dafür sei eine Bodenoffensive in Rafah unerlässlich.
Immer vehementer monieren die USA, dass es Israel an einer ausgefeilten Militärstrategie und einem Nachkriegsszenario für den Gazastreifen fehle. Darum wollte die Biden-Regierung Gallant und einer separaten israelischen Delegation in Washington eine Alternative aufzeigen.
Diplomatische Spannungen
Seit der Gründung Israels 1948 ziehen sich diplomatische Spannungen durch die bilateralen Beziehungen. Nach der Proklamation eines eigenen Staats durch David BenGurion brauchte US-Präsident Harry Truman nur Minuten für die Anerkennung des neuen Staats. Doch schon sein Nachfolger Dwight. D. Eisenhower pfiff israelische Truppen im Zuge des Suez-Kriegs acht Jahre später aus Ägypten zurück. In den folgenden Kriegen gegen die arabischen Nachbarn war die US-Waffenhilfe für Israel elementar, und bis heute fließen jährlich mehr als drei Milliarden Dollar an Israel.
Jimmy Carter war der entscheidende Akteuer für die Aussöhnung zwischen Israel und Ägypten in Camp David. Ronald Reagan rief Israel nach der Bombardierung des Libanon 1982 in einem zornigen Anruf zur Räson, und George Bush Sr. zwang den widerspenstigen Premier Ariel Schamir 1991 zur Teilnahme an einer Nahost-Friedenskonferenz in Madrid.
Der Bau jüdischer Siedlungen in Ostjerusalem und im Westjordanland war seither steter Quell des Konflikts zwischen Washington und Jerusalem. Dass die Republikaner eine Rede Netanjahus im US-Kongress ohne Zustimmung Obamas einfädelten, markierte mehr als nur eine atmosphärische Störung.
Retourkutsche für Brüskierung
Netanjahu hatte sich immer mehr auf die Seite der Republikaner geschlagen, erst recht, nachdem Außenminister John Kerry 2015 unter Obama das Atomabkommen mit dem Iran schloss. Donald Trump erfüllte alle Forderungen Netanjahus, darunter die Anerkennung der Golanhöhen als israelisches Territorium und die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem.
Joe Biden hätte bei einem Israel-Besuch als Vizepräsident beinahe das Essen verlassen, als Israel gleichzeitig den Bau neuer Siedlungen ankündigte. Dass er Netanjahu seit mehr als einem Jahr für einen Besuch im Weißen Haus zappeln lässt, ist mehr als eine symbolische Geste und eine Retourkutsche für die Brüskierung. Sie spiegelt die Differenzen bei der abgesagten Justizreform in Israel und im Gazakrieg wider.