Polen, ein mysteriöser Stolperstein
Österreichs vermeintlich leichtester Gruppengegner bei der Europameisterschaft gilt mit einer unkonventionellen Trainerlösung und einem alternden Starspieler als gefährliche Variable.
Wien/Warschau. „Alles machbar beim Nachbarn“, lautet Österreichs Motto nach der erfolgreichen Qualifikation für die anstehende Fußball-EM in Deutschland. Spätestens seitdem der letzte Gruppengegner für die ÖFB-Elf feststeht, ist aber auch klar: Selbst nach unten hin scheint alles möglich zu sein. Polen setzte sich am Dienstag im Play-off-Finale im Elfmeterschießen gegen Wales durch und wartet nun am 21. Juni in Berlin auf die Mannschaft von Ralf Rangnick. Schon davor muss Österreich gegen Frankreich (17. Juni, Düsseldorf ), danach gegen die Niederlande (25. Juni, Berlin) ran.
„Wir nehmen es so, wie es kommt“, sagte Teamchef Rangnick. „Dass wir eine starke Gruppe haben, wussten wir von Anfang an.“Christoph Baumgartner freut sich auf das Duell mit Robert Lewandowski und Co. „Das ist auch eine Mannschaft mit einem absoluten Weltklassestürmer. Wir brauchen uns aber nicht zu verstecken“, meinte der ÖFB-Offensivmann. „Wir haben die Qualität, sie zu schlagen.“Man habe beim Turnier nun eine der stärksten Gruppen. „Das kann man so sagen.“
Für den direkten Achtelfinalaufstieg (Top-zwei-Platz in Gruppe D) oder den Aufstieg als einer von vier Gruppendritten gilt das Spiel gegen Polen jedenfalls als rot-weißrote Schlüsselpartie. Doch wie ist es um die aktuelle Qualität des WMDritten von 1974 und 1982 bestellt?
„No Name“ersetzt Starcoach
In der Fifa-Weltrangliste hat sich die Mannschaft seit dem historischen Tiefpunkt Ende 2013 (Platz 78) jedenfalls wieder nach vorn gekämpft, mit einem Lewandowski in Überform sogar bis auf Rang fünf (Mitte 2017). Inzwischen findet man sich auf der 30. Position wieder. Zum Vergleich: Österreich ist 25. Weitaus aussagekräftiger sind freilich die jüngsten Leistungen auf dem Platz. Während es bei der WM 2022 immerhin noch ins Achtelfinale ging, wurde man in der Qualifikation zur EM nach Niederlagen gegen Moldawien, Albanien und
Tschechien hinter den beiden Letztgenannten nur Dritter.
„Alles in allem waren die letzten eineinhalb Jahre nicht positiv für uns. Wir hätten ohne gröbere Schwierigkeiten schon in der regulären Qualifikation weiterkommen sollen, haben es aber nicht getan. Dass wir es jetzt doch noch geschafft haben, ist eine echte Erleichterung“, sagte Tormann Wojciech Szczęsny nach der Wales-Partie.
Betreut wird die Mannschaft seit September von Michał Probierz. Er übernahm von Fernando Santos, der portugiesische Europameistertrainer von 2016 war nach der WM 2022 polnischer Teamchef geworden und konnte nicht überzeugen. Der außerhalb der Landesgrenzen weitgehend unbekannte Probierz ist mit der polnischen Auswahl bisher ungeschlagen (vier Siege, zwei Unentschieden).
Dabei nicht mit Toren glänzte Kapitän und Rekordspieler Lewandowski (35). Seit seinem Doppelpack gegen die Färöer im September wartet der 82-fache Torschütze auf einen Treffer im Nationalteam, in der spanischen Liga hat der Barcelona-Star in dieser Saison immerhin 13mal getroffen. Auch deshalb legte sich Coach Probierz fest: „Es gibt nur wenige solcher Spieler wie Robert Lewandowski auf dieser Welt. Mit ihm kann dieses Team immer noch viel erreichen.“Neben dem zweifachen Fifa-Weltfußballer sind die bekanntesten Namen in der Auswahl JuventusGoalie Szczęsny (33), Napoli-Stratege Piotr Zieliński (29) und Arsenal-Verteidiger Jakub Kiwior (24).
Insgesamt verfügt der momentane Kader des Olympiasiegers von 1972 über einen Marktwert von 199,20 Millionen Euro – und damit um rund 74 Millionen weniger als jener von Österreich.
Österreich-Schreck
Für Österreich erwies sich Polen in der jüngeren Vergangenheit als Stolperstein. Den bislang letzten Sieg konnte die ÖFB-Elf 1994 mit einem 4:3 in einem Testspiel einfahren. Seit damals hat es in fünf Spielen drei Niederlagen und zwei Remis gesetzt, eines davon bei der Heim-Europameisterschaft 2008, als Ivica Vastić in Wien in der Nachspielzeit den 1:1-Endstand herstellte und mit über 38 Jahren zum (immer noch) ältesten EM-Torschützen überhaupt avancierte.
Dies war gleichzeitig die erste EM-Teilnahme der Polen, die seither bei jeder Endrunde dabei gewesen sind (2012 gemeinsam mit der Ukraine als Gastgebernation). Dreimal war in der Vorrunde Endstation, 2016 ging es bis ins Viertelfinale. Zuletzt trennten sich Österreich und Polen im September 2019 in Warschau 0:0.
Die letzten eineinhalb Jahre waren nicht positiv für uns.
Wojciech Szczęsny, Polens Tormann