Eine Henne geht Gassi, trinkt Tee – und fährt mit dem Bob
Säkulare Lektüre zum Ostereieressen: Sally Coulthard erzählt in „Am Anfang war das Huhn“die Geschichte eines „Charaktertiers“.
Wenn demnächst bunt gefärbte Eier auf österreichischen Familientischen landen, kann man den Anlass gleich nutzen, um ein bisschen an die Spezies zu denken, die sie gelegt hat. Sie ist ja unter den bäuerlichen Nutztieren nicht gerade jene, der leicht zärtliche Gedanken zuflattern. Aber es gibt auch Hühnernarren und -närrinnen, wie eine meiner Nichten, die ihre über alles geliebte Henne sogar an einer Leine spazieren führte.
Was sich die angeleinte Henne da wohl dachte? Oder die Henne Brenda, von der die britische Anthropologin und Bestsellerautorin Sally Coulthard erzählt? Diese Maran-Henne schien Coulthards Töchter ihren eigenen Artgenossinnen vorzuziehen, schreibt Coulthard in ihrem unterhaltsam-informativen Büchlein „Am Anfang war das Huhn. Geschichte eines Charaktertiers“, das jetzt auf Deutsch im Verlag Harper-Collins erschienen ist. Brenda, so Coulthard, wurde von den Mädchen in stundenlange Rollenspiele eingebunden. Sie „nahm an Einladungen zum Tee und zu Tipi-Abenteuern teil, und ich werde nie vergessen, wie sie auf einem Plastikschlitten über eine schneebedeckte Wiese fuhr und ihm nach dem Anhalten wieder entstieg, um weiter vor sich hin zu picken, als wäre nichts geschehen“.
Nicht weniger vermenschlichend als Hennen zum Bobfahren und Teetrinken einzuspannen ist es wohl, menschliche Glücksvorstellungen auf das Tier zu übertragen, wie im BioSlogan vom „glücklichen Huhn“. Mochte Platon auch den Menschen als „zweibeiniges Lebewesen ohne Federn“definieren (woraufhin Diogenes ein Huhn rupfte und es Platons Schülern präsentierte mit den Worten: „Das ist Platons Mensch!“): Das Seelenleben des Huhns bleibt uns fremd.
Trotzdem kann man fast nicht anders, als zunehmend Sympathie für dieses Tier zu empfinden, liest man Coulthards anekdotisch gehaltenen Gang durch die Hühnergeschichte. Sie ist ja seit Jahrtausenden vor allem eine Geschichte dessen, was Menschen mit Hühnern angestellt haben. Einerseits wurden sie als exotische Seltenheit verehrt, mit ihren Besitzern mitbegraben (etwa bei den Awaren, wie Gräber am Rand von Wien zeigen) oder in der
Hühnermanie des 19. Jahrhunderts mittels besonderer Modezüchtungen als Statussymbol benutzt. Andererseits wurden sie bei Spielen als Wurfgeschosse eingesetzt, selbst beschossen oder zum Schutz vor bösen Geistern lebendig eingemauert (ein solches Geheimkammerl fand sich etwa 1961 bei der Renovierung eines mittelalterlichen Londoner Hauses.) Und natürlich findet man auch Mensch-Huhn-Freundschaftsgeschichten im Buch, wie die vom französischen Abenteurer Guirec Soudée, der mit seiner Rhode-Island-Henne Monique von 2014 bis 2018 in einem Einmannboot die Welt umsegelte. Als die zwei in Grönland überwintern mussten, rettete Monique Guirec vermutlich mit ihren Eiern das Leben …
Der Abenteurer Guirec Soudée umsegelte mit seiner Henne Monique von 2014 bis 2018 im Einmannboot die Welt.