Wie fiktive Spione die reale Welt verändern
Ein unscheinbarer Beamter, ungeschickte Kollegen: Der Fall Ott klingt nicht nach Agententhriller. Dabei stammen die (Dreh-)Bücher des Genres oft von Insidern – und haben mit ihren Propaganda-Fantasien die Politik geprägt.
Der Reindling als Osterjause blieb Egisto Ott heuer verwehrt. Am Karfreitag wurde der Ex-Nachrichtendienstler aus Kärnten verhaftet, wieder einmal. Er soll Moskau mit geheimen Informationen versorgt haben. Auch mit den Daten dreier Handys, die den patscherten Kollegen beim fidelen Bootsausflug ins Wasser geplumpst waren. Das weiß jetzt die ganze Nation, und es klingt so gar nicht nach den raffinierten Tricks fiktiver Agenten in Romanen, Filmen und Serien. Dabei ist Wien ein beliebter Schauplatz für das Genre, vom „Dritten Mann“bis zur Netflix-Serie „The Recruit“, in der ein CIA-Agent die Ringstraße als Geisterfahrer durchpflügt, auf der Flucht vor Killern.
Aber die spektakulären Plots haben wohl nichts mit dem grauen Alltag echter Agenten zu tun, reden wir uns ein. Wenn wir uns da nur nicht täuschen! Denn die Geschichte zeigt: Fiktion und Realität sind hier enger verwoben, als wir gemeinhin annehmen.
Englands Angst vor deutschen Spionen
„Ein Bericht des Geheimdienstes“: So lautete der Untertitel des allerersten Spionageromans, „Das Rätsel der Sandbank“aus dem Jahr 1903. Der britische Autor Erskine Childers erklärt in seinem Vorwort, dass er die Ereignisse genau so darstelle, „wie sie geschehen sind“, nur mit geänderten Namen. Der angeblich wahre Inhalt: Zwei Gentlemen kommen beim Segeln im Wattenmeer einem deutschen Invasionsplan auf die Spur.
Eben davor fürchteten sich die Briten fortan: vor einem Überfall der bösen Deutschen auf ihre grüne Insel, vorbereitet von infiltrierten Spionen. Das aufstrebende Deutsche Reich, das dem Empire zunehmend Konkurrenz machte, geriet zum Feindbild, zusammen mit Pazifisten und Sozialisten im Inneren. Ein noch größerer Erfolg war „Spies of the Kaiser“, und auch hier beteuert der Autor, William Le Queux, er stütze sich „auf ernstliche Tatsachen und mein persönliches Wissen“. Mit seinem aktivistischen Thriller verstärkte er die Angst, ganz England sei von deutschen Spionen unterwandert. Abgeordnete im Unterhaus zitierten daraus, um mehr Spionageabwehr zu fordern. Schließlich sah sich die Regierung 1909 dazu veranlasst, ein
„Secret Service Bureau“zu gründen – der Vorläufer des britischen Geheimdienstes, genauer des MI6, der später durch seinen fiktiven Mitarbeiter 007 zu Weltruhm gelangte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es für die ganze freie Welt ein neues Feindbild: den Russen. Ihm stellte sich der Held James Bond entgegen. Und auch wenn Ian Fleming seine Leser nur unterhalten wollte, waren seine Romane und die nach ihnen gedrehten Filme auch wirkmächtige Propaganda: Sie erweckten in kurioser Übertreibung den beruhigenden Eindruck, die westlichen Geheimdienste seien jedem Gegner überlegen. Da war es auch gut zu wissen, dass Fleming selbst für den britischen Secret Service gearbeitet hatte, also durchaus wusste, wovon er schrieb.
Das gilt auch für John le Carré: Der Großmeister des Spionageromans war für das britische Foreign Office tätig und musste sich zur Tarnung sein Pseudonym zulegen. Bei David Cornwell, wie er wirklich hieß, verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, was schon das Ende des Kalten Krieges präludiert, das dem Berufsstand wie dem Genre fast die Existenzberechtigung raubte.
Agent Bauers Lizenz zum Foltern
Mit 9/11 war sie wieder da. Wie auch die Propaganda: Wenn in der Fernsehserie „24“der Agent Jack Bauer in Echtzeit gegen Terroristen kämpft, um Leben zu retten, hat ihm jedes Mittel recht zu sein. Wie James Bond die Lizenz zu töten besitzt, darf Bauer Verdächtige foltern. Der Erfolg der Serie war in der von Angst aufgeheizten Stimmung mit ein Grund für einen moralischen Gesinnungswandel der Amerikaner: Seitdem hält eine Mehrheit Folter in Notsituationen für legitim.
Da loben wir uns Thomas Lieven, den sympathischsten fiktiven Spion, der sogar tatsächlich ein reales Vorbild hat. Der Held aus Johannes Mario Simmels Roman „Es muss nicht immer Kaviar sein“ist ein Agent wider Willen, der durch unglückliche Zufälle ins Geheimdienstmilieu gerät, wo er als überzeugter Pazifist nichts zu suchen hätte. Statt zu killen, rettet er Menschenleben und verführt hübsche Frauen mit seinen Kochkünsten. Die Rezepte sind abgedruckt. Eier Josephine, Schinken mit Sauce Cumberland oder Truthahn mit Trüffelfarce: Solchen geheimdienstlichen Empfehlungen folgen wir gern.