Russisches Roulette mit Atomwaffen
Je länger der Krieg in der Ukraine andauert, umso schwieriger wird es werden, eine Verhandlungslösung zu finden.
Soll Putin straffrei davonkommen, fragt der ehemalige Mitarbeiter der österreichischen Akademie der Wissenschaften Johann Čas in seinem Beitrag in der „Presse“vom 25. März 2024. Wenn er in seinem Kommentar einleitend feststellt, dass weder Funktion noch Titel vor Naivität oder Leichtsinn schützen, muss man ihm leider beipflichten.
Man merkt das bei manchen Milliardären und Wirtschaftsführern, die bei Benko investiert haben, genauso wie bei westlichen Politikern, Wirtschaftsführern und Kulturschaffenden, die Putin vertraut und ihn lang genug hofiert haben. Čas unterstellt diese Naivität und Willfährigkeit aber auch all jenen, die möglichst rasch zur Beendigung der Feindseligkeiten aufrufen – und nennt konkret Papst Franziskus und den Grazer Soziologen Max Haller, die er beide für ihre Forderung zu Friedensverhandlungen kritisiert.
Wie viele andere vor ihm greift auch Čas zu historischen Beispielen und verweist auf die Folgen der Appeasement-Politik mit Hitler vor dem Zweiten Weltkrieg und auf das Münchener Abkommen vom 29. September 1938, das Hitler einen Freibrief für die Annexion und Zerschlagung der Tschechoslowakei und eine Ermunterung für den Überfall auf Polen und die Auslösung des Zweiten Weltkriegs gewährte.
Andere Konstellationen
Aber wir sind nicht vor dem Krieg, sondern schon mitten im Krieg, der zu einem Dritten Weltkrieg zu werden droht. „Verhandlungen sind unabdingbar“, schreibt Čas: „Jedoch nicht mit Putin, sondern über Putin.“Und das nicht zwischen den Staaten, sondern vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag: „Putin muss den Krieg verlieren, um Friedensgespräche beginnen zu können.“
Der Erste und der Zweite Weltkrieg sind bekanntlich beide mit einer bedingungslosen Kapitulation zu Ende gegangen. Doch inzwischen sind die Konstellationen ganz andere. Inzwischen sind beide Gegner im Besitz von Waffensystemen, die eine vollständige Auslöschung der menschlichen Zivilisation möglich machen. Auch Putin hat sie.
. . . umso größer der Hass
Es ist nicht mehr möglich, einen Krieg wie 1945 bis zur bedingungslosen Kapitulation auszukämpfen und dann wie in Nürnberg über die Verlierer zu Gericht zu sitzen, sosehr man sich das auch wünschen würde.
Man liest die Meinung, Putin sei zwar wie Hitler größenwahnsinnig, aber nicht wahnsinnig und vertraut auf einen Rest von Verantwortungsbewusstsein und Rationalität. Aber was ist der Unterschied zwischen „Größenwahnsinn“und „Wahnsinn“? Wären Hitler im Führerbunker 1945 knapp vor seiner Niederlage die Möglichkeiten verfügbar gewesen, die Putin heute besitzt, hätte er sie genutzt. Daher ist eine Hoffnung, dass Putin den Krieg verliert, und das könnte nur eine Kapitulation sein, eine sehr gefährliche Hoffnung. Sie könnte auch die Auslöschung der gesamten Menschheit bedeuten.
Wie eine Verhandlungslösung aussehen könnte, kann man nicht beantworten, weil man die Zukunft nicht kennt. Wir kennen nur Putins Forderungen und die Positionen Selenskijs. Eine Verhandlungslösung müsste in jedem Fall dazwischenliegen. Sonst wären es keine Verhandlungen.
Aber je länger man den Krieg fortführt, je größer die Zahl der Toten auf beiden Seiten wird und je größer die Zerstörungen und die Kosten werden, umso größer wird auch der Hass und umso schwieriger wird eine Verhandlungslösung. Russisches Roulette ist immer ein Wahnsinn. Aber wenn eine Atombombe im Revolver steckt, ist es ein Verbrechen, für das es keine Korrektur und nicht einmal mehr einen Richter gäbe.