SVP will die Schweizer Neutralität enger fassen
Sanktionen und Nato-Beitritt: Die Neutralitätsinitiative hat genug Unterschriften gesammelt und will eine strenge Definition in der Verfassung verankern.
Für jemanden, der sich aus der aktiven Politik zurückgezogen hat, ist Christoph Blochers öffentliche Präsenz durchaus bemerkenswert. Auf seinem Blog äußert er sich wöchentlich zu einem aktuellen Thema, die „NZZ“veröffentlichte vor wenigen Tagen ein langes Interview mit ihm und auf 3Sat lässt gerade eine Dokumentation „das Leben des mächtigen Schweizer Politikers Revue passieren“. Blocher, daran kann es keine Zweifel geben, gilt weiterhin als die graue Eminenz der nationalkonservativen SVP; und als solcher will sich der 83-Jährige ein weiteres Denkmal setzen.
Gemeinhin als „Blocher-Initiative“bekannt, soll mit einer Volksabstimmung die „immerwährende, ausnahmslose und bewaffnete Neutralität“in der Verfassung verankert werden. Die Initiative „Pro Schweiz“hat genügend Unterschriften gesammelt und will diese am Donnerstag in der Bundeskanzlei einreichen – das heißt, dass die Bevölkerung früher oder später über die Ausrichtung ihrer Neutralität entscheiden muss. Neben der SVP erhält die Initiative auch Unterstützung von linker Seite. „Die Frage nach der Neutralität in der Schweiz ist sicher nicht parteigebunden“, sagt Walter Wobmann dazu, ehemaliger SVP-Nationalrat und Wortführer der Neutralitätsinitiative. Konkret fordert der Initiativtext: keine Übernahme von Sanktionen gegen kriegsführende Staaten (Ausnahme: UN-Sanktionen), kein Beitritt zu einem Militär- oder Verteidigungsbündnis, die Erhaltung der „Guten Dienste“und Vermittlung bei Konfliktlösung.
Die Initiatoren sehen die Schweiz auf dem Weg zu einem schleichenden Nato-Beitritt, und zwar über immer mehr Abkommen für eine Zusammenarbeit. Der Beitritt zu der von Deutschland geführten europäischen Luftabwehrinitiative Sky Shield sei ein Beispiel, sagt Wobmann zur „Presse“: „In Sachen Luftabwehr hat die Schweiz großen Nachholbedarf. Wir wollen aber nicht in den ganzen Verbund mit hineingezogen werden.“Auch die jüngsten Meldungen, dass die Nato ein Verbindungsbüro in Genf eröffnen will, sieht die Initiative skeptisch; trotz aller Beteuerungen, dass sich das Büro ausschließlich den internationalen Vertretungen widmet und nicht bilateral der Schweiz.
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ringen die Eidgenossen um eine zeitgemäße Definition ihrer Neutralität. Diverse politische Initiativen führten zwar zu lebhaften Debatten, doch blieben sie bisher ohne Ergebnis. Das Kriegsmaterialgesetz ist streng und verbietet die Ausfuhr, etwa von Munition, auch über Drittländer in Kriegsgebiete. Davon akut betroffen ist die Ukraine: Länder wie Deutschland oder Dänemark haben erfolglos versucht, Material „made in Switzerland“nach Kiew zu liefern. Lediglich ausrangierte Panzer hat Bern an Rheinmetall zurückverkauft; damit kann Deutschland Lücken füllen, die dem Land durch die Ukraine-Hilfe entstanden sind. Zwar müssen die Panzer in EU- oder NatoLändern bleiben, doch Verkäufe wie diese gehen der Neutralitätsinitiative ebenfalls zu weit. So auch die Tatsache, dass Bern nach Beginn des Angriffskrieges EU-Sanktionen gegenüber Russland mitgetragen hat.
Russland kommt nicht zum Gipfel
„Als die Schweiz und als eine Partei müssen wir nicht Position beziehen“, sagt Wobmann, „weil wir ein neutrales Land sind.“Persönlich habe er Respekt vor der Verteidigung der Ukraine. Aber nur durch die Neutralität
könne sich Bern als ernsthafter Friedensverhandler präsentieren. Kiew hat bekanntlich der Schweiz den Auftrag erteilt, einen möglichst inklusiven Friedensgipfel mit Teilnahme des Globalen Südens auszurichten – eine schwierige Aufgabe, zumal Länder wie China wenig Interesse zeigen. Details zum Friedensgipfel sind erst am Mittwoch bekannt geworden: Die Konferenz soll Mitte Juni in Bürgenstock am Vierwaldstättersee stattfinden. Nach Gesprächen mit Ländern wie Indien, Südafrika, Brasilien, Saudiarabien und auch der EU und G7 sei ausreichend Unterstützung für die Konferenz zugesagt worden, heißt es aus Bern. Chinas Teilnahme scheint noch offen zu sein, Russland hingegen hat die Teilnahme sogleich ausgeschlossen.
Für Wobmann gehören die Bemühungen um den Friedensgipfel „in die Kategorie Witz“: „Russland wird nicht kommen, weil die Schweiz nicht neutral ist. Nur die Ukraine einzuladen – das sind keine Friedensverhandlungen. Da ist die Schweiz der Lächerlichkeit preisgegeben.“
Übrigens sieht auch Blocher die mögliche Vermittlerrolle der Schweiz im Ukraine-Krieg als verpasst an (die Schweiz habe die Neutralität „geschändet“und sich an „militärischen Zwangsmaßnahmen“beteiligt), doch äußerte er sich recht deutlich dahingehend, dass hier ein völkerrechtswidriger Angriff Moskaus vorliegt. Nicht alle innerhalb der SVP können dem etwas abgewinnen, einzelne Parteivertreter gelten gar als russlandfreundlich. Als der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskij, vergangenen Sommer per Videoschaltung im Berner Bundeshaus sprach, boykottierte die SVP nahezu geschlossen die Veranstaltung; zuvor wollte Fraktionschef Thomas Aeschi die Schaltung ganz unterbinden.
Lob der Kooperationen
Indessen hat Bundespräsidentin und Verteidigungsministerin Viola Amherd Sky Shield und auch weitere internationale Kooperationen bei ihrem Antrittsbesuch in Wien am Dienstag lobend hervorgehoben. Bei einem Angriff auf die Schweiz sei die Neutralität Makulatur – und mit der Neutralität seien die Kooperationen vereinbar, so Amherd weiter. Auch Wien betont das. Denn die FPÖ war gegen den Beitritt, da die Initiative ein Projekt der Nato und damit neutralitätswidrig sei.