Iran hat nur schlechte Vergeltungsoptionen
Irans Führung will sich für den tödlichen Angriff auf hochrangige Offiziere der Revolutionsgarde in Damaskus rächen. Die Attacke könnte am Wochenende erfolgen.
Istanbul/Teheran. Der Westen und Russland liegen bei den meisten internationalen Themen über Kreuz, doch jetzt richten sie einen gemeinsamen Appell an den Iran: Teheran solle beim angekündigten Vergeltungsschlag gegen Israel bitte Zurückhaltung zeigen, sagte Deutschlands Außenministerin, Annalena Baerbock, ihrem iranischen Amtskollegen, Hossein Amirabdollahian, in einem Telefonat. Ähnlich äußerten sich Kreml-Sprecher Dmitri Peskow und der britische Außenminister, David Cameron. Offiziell will die iranische Führung nichts von Zurückhaltung wissen. Israel müsse und werde bestraft werden, sagt Staatschef Ali Khamenei. Doch Khamenei weiß, dass der Iran nur schlechte Optionen hat.
Das Regime in Teheran wiederholt täglich seine Ankündigung, Israel werde für den Tod hochrangiger Offiziere der Revolutionsgarde beim Luftangriff auf das iranische Konsulat in der syrischen Hauptstadt Damaskus vergangene Woche einen hohen Preis zahlen. Der Iran hat Raketen, die Israel und israelische Einrichtungen im ganzen Nahen Osten treffen können. Iranische Partner wie die Hisbollah-Miliz im Libanon, proiranische Milizen im Irak und in Syrien oder die Houthi-Rebellen im Jemen könnten ebenfalls gegen Israel eingesetzt werden.
Anders als bei früheren iranisch-israelischen Konfrontationen legt der Iran diesmal keinen Wert darauf, sich von einem Militärschlag gegen Israel distanzieren zu können, im Gegenteil: Khamenei muss zeigen, dass der Iran den jüdischen Staat empfindlich treffen kann. Israels Angriff in Damaskus habe Teheran „gedemütigt“, sagt Iran-Experte Arash Azizi von der ClemonsUniversität in den USA.
Druck auf Khamenei
Der Druck auf Khamenei, eine Antwort zu geben, komme sowohl von den Anhängern des Regimes im Iran als auch von iranischen Hilfstruppen, sagte Azizi der „Presse“. Fällt die iranische Reaktion zu schwach aus, steht die Islamische Republik als Papiertiger da. Schlägt der Iran zu stark zu, riskiert er israelische und westliche Gegenangriffe, die das theokratische System gefährden könnten. Irans Führung „will keinen größeren Konflikt, der tödlich für sie selbst sein könnte“, meint Azizi.
Der Iran plane einen Vergeltungsschlag bis Samstag, doch Khamenei habe sich noch nicht entschieden, wie dieser aussehen solle, berichtete das „Wall Street Journal“unter Berufung auf einen Berater der iranischen Revolutionsgarde. Raketenangriffe auf Haifa im Norden Israels oder die Atomanlage Dimona im Süden seien möglich.
„Begrenzt, aber präzise“
Die Nahost-Nachrichtenseite Amwaj zitierte einen iranischen Diplomaten, der Vergeltungsschlag werde „begrenzt, aber präzise“ausfallen. Eine Option ist demnach ein Angriff auf die Golan-Höhen. Die Gegend ist von Israel besetzt, gehört nach dem Völkerrecht aber nicht zum jüdischen Staat. Israel könnte nach einem iranischen Raketenbeschuss vor der internationalen Gemeinschaft nicht glaubhaft behaupten, auf eigenem Gebiet angegriffen worden zu sein – das ist aus iranischer Sicht wichtig, weil Israel angekündigt hat, einen Angriff auf sein Staatsgebiet mit Angriffen auf Ziele im Iran zu beantworten.
Khamenei könnte auch die hochgerüstete Hisbollah im Libanon gegen Israel in die Schlacht schicken. Das würde allerdings einen neuen Krieg im Libanon lostreten und einen der wichtigsten Partner von Khamenei im Nahen Osten schwächen. Die Houthis im Jemen sind militärisch zu schwach, um Israel gefährlich zu werden.
Eine weitere Möglichkeit sind Anschläge auf israelische Botschaften, wie ein Berater Khameneis angedeutet hat. Israel hat seit voriger Woche fast 30 Auslandsvertretungen vorsorglich geschlossen. Auch andere israelische Einrichtungen sind gefährdet. Im Jänner beschoss der Iran einen angeblichen Stützpunkt des israelischen Geheimdiensts Mossad im Nordirak mit Raketen. Doch solche Angriffe wären keine glaubwürdige Antwort auf Israels Luftangriff in Damaskus.
Das ist Teheran bewusst. In die kriegerische Rhetorik mischen sich deshalb mäßigende Töne. Die iranische UN-Botschaft erklärte, wenn der Sicherheitsrat den israelischen Angriff von Damaskus verurteile und die Schuldigen bestrafe, sei möglicherweise keine Vergeltung notwendig. Außenminister Amirabdollahian sagte Baerbock laut staatlicher Nachrichtenagentur Irna, eine „legitime Verteidigung“sei zwar nötig. Der Iran wolle aber „Spannungen vermeiden“.