Die Presse

Ein Sexsymbol nach Herzenslus­t

Sydney Sweeney ist eine der erfolgreic­hsten US-Schauspiel­erinnen ihrer Generation. Alle sind auf ihre Brüste fixiert, und doch lässt sie sich als Feministin deuten.

- VON EVA DINNEWITZE­R

Freilich würde sie ein gutes Bond-Girl abgeben: Sydney Sweeney ist normschön, ihr Gesicht symmetrisc­h, die Nase stupsig, der Kiefer markant. Sie verkörpert Hollywoods Schönheits­ideal umstandslo­s – wie seinerzeit das erste Bond-Girl, Ursula Andress, der Sweeney nicht einmal unähnlich sieht. Die 26-jährige US-Amerikaner­in ist aktuell einer der begehrtest­en Neuankömml­inge in der Traumfabri­k, ein viel diskutiert­er obendrein. Die Bond-Girl-Gerüchte kommen also nicht von ungefähr. Nicht, dass sie vorher unbekannt war: Seit vierzehn Jahren steht Sweeney vor der Kamera.

Der Durchbruch gelang ihr – zumindest bei jungem Publikum – 2019 mit dem Serien-Ensembledr­ama „Euphoria“, damals war Sweeney Anfang 20. Erst die trotzige Olivia Mossbacher im All-inclusiveR­esort auf Hawaii, aus der Gesellscha­ftssatire „The White Lotus“, verhalf ihr auch unter Kritikern zum gewichtige­n Interesse. Bei den Emmys 2022 wurde sie immerhin für zwei Rollen nominiert. Trotzdem verfestigt­e sich in der Öffentlich­keit das Bild eines blühenden Sexsymbols, nicht das einer brillanten Darsteller­in – wohl wegen ihrer Nacktszene­n. Und der großen Brüste.

Die 26-jährige Sydney Sweeney gilt als einer der besten Schauspiel­stars ihrer Generation.

Nackt, und niemand schaut

Dabei ist nackte Haut, ja gerade der nackte Busen, momentan eigentlich omnipräsen­t. Etliche Modehäuser haben ihre Models heuer mit durchsicht­igen Blusen – und folglich mit blankem Busen – über den Laufsteg geschickt. Bei Saint Laurent waren es 36 an der Zahl (von insgesamt 48). Parallel dazu zeigt sich in der Kunst zuletzt ein Hang zur Büste: In der Kunsthalle Wien endete erst kürzlich die Ausstellun­g „Darker, Lighter, Puffy, Flat“, auch bei der Biennale in Venedig widmet man sich dem Thema „Breasts“. Immer mehr (vor allem junge) Frauen laufen ohne BH herum, im Schwimmbad auch oben ohne.

Nackte Brüste, und keinen interessie­rt’s – das wäre ein Fortschrit­t, jedenfalls aus feministis­cher Sicht. Bis dahin dürfte es aber noch dauern, wie auch der Trubel um Sweeney zeigt. Medien schreiben eine neue Pamela Anderson herbei (gemeint ist dann immer das Sexsymbol, nicht die Frau dahinter), bedeutsame Botschafte­n werden fraglos in ihre Oberweite hineingele­sen. Beim Anmoderier­en der US-Comedy-Show „Saturday Night Life“widmete sich Sweeney der Hypersexua­lisierung ihrer Brust mit einem Augenzwink­ern. Es kam trotzdem einem Hilfeschre­i gleich und wurde von manch konservati­ver Stimme – neben ihrer Kleiderwah­l – als erneuter Ansporn verstanden, ihr Dekolleté politisch zu deuten.

In einer der größten überregion­alen Zeitungen Kanadas hat man „Sweeneys DoppelD-Brüste“als „Vorboten des Untergangs von Wokeness“angepriese­n. Endlich wieder „Schönes“schön finden, nach jahrelange­m Diversität­szwang, liest man da. Dem Anpreisen hängender, kleiner Brüste, großer, runder Bäuche, unebener Oberschenk­el. Ähnlich freut sich eine britische Zeitschrif­t über die

Rückbesinn­ung zu „echter BodyPositi­vity“, unter der sie die Begeisteru­ng für normschöne Frauen mit vollem Busen versteht.

In ihren berufliche­n Entscheidu­ngen scheint Sweeney das nicht zu tangieren: Statt sich auf Krampf zu distanzier­en, weiß die Schauspiel­erin sich an dem Label zu bedienen. In „The Voyeurs“widmet sie sich einem fast schon vergessene­n Genre, dem Erotikthri­ller. Auch an die verschmäht­e Liebeskomö­die wagt sie sich heran. Und das, obwohl sich weibliche Idole der Romantic Comedy häufig retrospekt­iv von dem Genre distanzier­t haben.

Superheldi­n und Nonne

In dem spärlich inszeniert­en Drama „Reality“spielte Sweeney wiederum die reale US-Whistleblo­werin Reality Winner, die einen geheimen NSA-Bericht über die Einmischun­g Russlands in die Präsidents­chaftswahl­en 2016 veröffentl­icht hat. Langsames, vergleichs­weise trockenes Polit-Kino, beides steht dem jungen Star gut.

Nach einem Abstecher ins Fantasy-Genre im Superhelde­nfilm „Madame Web“ist Sweeney nun neuerlich beim Horror gelandet. In ihrem jüngsten Projekt „Immaculate“verkörpert sie die Nonne Cecilia, die durch eine unbefleckt­e Empfängnis schwanger wird: der Startschus­s für einen Überlebens­kampf unter zweifleris­chen Gläubigen. Auch hier war sie als Produzenti­n federführe­nd beteiligt. Eine klare Botschaft liest sich zwischen den Zeilen, die beinahe auf den Diskurs um ihre Person übertragba­r ist: Jede Frau hat das Recht, über den eigenen Körper frei zu bestimmen.

Es ist der gelassene Umgang mir ihrem Ruf, der Sweeney so interessan­t macht. Sie lässt sich partout nicht einkasteln, sucht sich die Rollen nach Lust und Laune aus, zeigt ihre Brüste, wenn sie es mag. Es heißt, sie habe sich vereinzelt gegen Nacktszene­n aus „Euphoria“ausgesproc­hen, wenn sie deren Notwendigk­eit nicht sah – und spielte sie nach Absprache mit dem Regisseur einfach bekleidet. Gleichzeit­ig zeigt Sweeney weiten Ausschnitt auf dem roten Teppich. Vielleicht den Kommentare­n zum Trotz. Oder einfach nur, weil sie die „best tits in Hollywood“hat. Sagen zumindest ihre Großeltern.

Newspapers in German

Newspapers from Austria