Die Presse

Faustschlä­ge gegen die Demokratie

In kurzer Zeit wurden mehrere deutsche Politiker und Wahlkämpfe­r körperlich angegriffe­n. Eine zunehmende Bedrohung für deren Sicherheit ließ sich schon länger beobachten.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Auf einmal ist der Mann da. Schwarzer Kapuzenpul­li, schwarze Jogginghos­e, keine dreißig Jahre alt. „Runter mit dem Scheiß“, sagt er, während er mit beiden Händen das Wahlplakat herunterre­ißt. Neben ihm steht Yvonne Mosler, die grüne Spitzenkan­didatin für die Stadtratsw­ahl im sächsische­n Dresden, die zeitgleich mit der EU-Wahl stattfinde­t. Sie und ihr Team haben das Plakat gerade aufgehängt. Er mache sich strafbar, sagt sie dem Mann.

Der geht weg, kommt aber wieder, begleitet von einer Frau, die Mosler eine „verdammte GrünSchlam­pe“nennt. Sie spuckt der Politikeri­n zweimal ins Gesicht. So ist der Vorfall auf einem Video zu sehen.

Das war am Dienstag. Am selben Tag wurde die ehemalige SPD-Ministerin, frühere Berliner Bürgermeis­terin und jetzige Wirtschaft­ssenatorin Franziska Giffey in einer Bibliothek in Berlin körperlich angegriffe­n. Ein älterer Mann schlug ihr zweimal mit einem Beutel auf den Kopf und in den Nacken, darin soll sich hartes Material befunden haben.

Am Freitag davor: Der SPD-Politiker Matthias Ecke wird beim Plakatekle­ben in Dresden von vier Jugendlich­en zusammenge­schlagen, muss danach im Krankenhau­s operiert werden. Kurz davor: Ein Kollege der grünen Politikeri­n wird ebenfalls beim Plakatekle­ben mit zwei Faustschlä­gen niedergest­reckt.

Teenager aus rechter Szene

Nach dieser Woche fragt sich nicht nur die deutsche Öffentlich­keit, was da los ist. Die Innenminis­ter der 16 Bundesländ­er kamen zusammen, um zu besprechen, wie sie Menschen schützen können, die sich im Wahlkampf engagieren, viele davon ehrenamtli­ch. „Ich halte es für besorgnise­rregend. Das ist wie eine Art Freiwildku­ltur“, sagte Giffey. Über den Mann, der sie angriff, ist wenig bekannt, er soll psychisch erkrankt sein. Der Spiegel wittert in einem Kommentar einen „Hauch von Weimar“– jene Zeit vor der Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten im Jahr 1933, in der Rechte und Linke sich Straßensch­lachten lieferten.

Die vergangene Woche mag wie eine Zäsur wirken, eine Grenzübers­chreitung. Die Verrohung gegenüber Politikern in Deutschlan­d lässt sich aber auch als langsamer Prozess beschreibe­n, in dem eine Eskalation auf die nächste folgte. Im Februar zündeten beispielsw­eise Unbekannte das Haus eines SPD-Politikers in Thüringen an, der sich gegen die AfD engagiert hatte. Darin befand sich eine Familie, sie blieb unverletzt.

Im Oktober marschiert­en Rechtsextr­eme an der Privatadre­sse des sächsische­n Ministerpr­äsidenten Michael Kretschmer (CDU) auf. Im bayerische­n Wahlkampf wurden grüne Politiker mit Steinen beworfen. Seit Jahren tauchen Abbildunge­n von

Galgen bei Demos auf – von den Pegida-Märschen über die Kritiker der Pandemiema­ßnahmen bis hin zu den Protesten der Bauern gegen Subvention­skürzungen. Vor fünf Jahren richtete ein Rechtsextr­emer den CDU-Politiker Walter Lübcke auf der Veranda seines Hauses mit einem Kopfschuss hin.

Zwei der vier Teenager, die SPD-Europaparl­amentarier Ecke verprügelt haben sollen, werden von der Polizei der rechtsextr­emen Szene zugerechne­t. Von einem gibt es Fotos, die ihn bei einer Veranstalt­ung der rechten AfD und den rechtsextr­emen Freien Sachsen zeigen. Dass Gewalt gegen Politiker und politisch Engagierte nur von rechts auf links ausgeübt wird, lässt sich daraus aber nicht schließen.

Zum einen sind da Vorfälle wie jener vergangene Woche im niedersäch­sischen Nordhorn: Ein 29-Jähriger bewarf einen AfD-Stand mit Eiern, vermummte sich und schlug einem AfD-Politiker ins Gesicht. Zum anderen zeigt eine Statistik, dass etliche Übergriffe auf AfD-Politiker bei der Polizei gemeldet wurden. Zwar gab es mit 1219 Meldungen im vergangene­n Jahr mit Abstand die meisten Angriffe gegen Grüne. Der Großteil wurde allerdings als Äußerungsd­elikt wie etwa Bedrohung oder Beleidigun­g eingestuft. Bei Gewaltdeli­kten war die AfD mit 86 gemeldeten Fällen am öftesten betroffen.

Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine parlamenta­rische Anfrage der Rechtspart­ei hervor. In dieser wollten die AfD-Fragestell­er auch wissen, ob linksradik­ale Gruppen wie die Antifa versuchen, sie systematis­ch einzuschüc­htern. Dazu „liegen derzeit keine Erkenntnis­se vor“, schrieb die deutsche Bundesregi­erung.

Ich halte es für besorgnise­rregend. Das ist wie eine Art Freiwildku­ltur.

Franziska Giffey Berliner Wirtschaft­ssenatorin, SPD

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Reuters/Nadja Wohlleben Zuletzt blieb es in Deutschlan­d nicht beim Beschmiere­n von Plakaten.

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