Faustschläge gegen die Demokratie
In kurzer Zeit wurden mehrere deutsche Politiker und Wahlkämpfer körperlich angegriffen. Eine zunehmende Bedrohung für deren Sicherheit ließ sich schon länger beobachten.
Auf einmal ist der Mann da. Schwarzer Kapuzenpulli, schwarze Jogginghose, keine dreißig Jahre alt. „Runter mit dem Scheiß“, sagt er, während er mit beiden Händen das Wahlplakat herunterreißt. Neben ihm steht Yvonne Mosler, die grüne Spitzenkandidatin für die Stadtratswahl im sächsischen Dresden, die zeitgleich mit der EU-Wahl stattfindet. Sie und ihr Team haben das Plakat gerade aufgehängt. Er mache sich strafbar, sagt sie dem Mann.
Der geht weg, kommt aber wieder, begleitet von einer Frau, die Mosler eine „verdammte GrünSchlampe“nennt. Sie spuckt der Politikerin zweimal ins Gesicht. So ist der Vorfall auf einem Video zu sehen.
Das war am Dienstag. Am selben Tag wurde die ehemalige SPD-Ministerin, frühere Berliner Bürgermeisterin und jetzige Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey in einer Bibliothek in Berlin körperlich angegriffen. Ein älterer Mann schlug ihr zweimal mit einem Beutel auf den Kopf und in den Nacken, darin soll sich hartes Material befunden haben.
Am Freitag davor: Der SPD-Politiker Matthias Ecke wird beim Plakatekleben in Dresden von vier Jugendlichen zusammengeschlagen, muss danach im Krankenhaus operiert werden. Kurz davor: Ein Kollege der grünen Politikerin wird ebenfalls beim Plakatekleben mit zwei Faustschlägen niedergestreckt.
Teenager aus rechter Szene
Nach dieser Woche fragt sich nicht nur die deutsche Öffentlichkeit, was da los ist. Die Innenminister der 16 Bundesländer kamen zusammen, um zu besprechen, wie sie Menschen schützen können, die sich im Wahlkampf engagieren, viele davon ehrenamtlich. „Ich halte es für besorgniserregend. Das ist wie eine Art Freiwildkultur“, sagte Giffey. Über den Mann, der sie angriff, ist wenig bekannt, er soll psychisch erkrankt sein. Der Spiegel wittert in einem Kommentar einen „Hauch von Weimar“– jene Zeit vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933, in der Rechte und Linke sich Straßenschlachten lieferten.
Die vergangene Woche mag wie eine Zäsur wirken, eine Grenzüberschreitung. Die Verrohung gegenüber Politikern in Deutschland lässt sich aber auch als langsamer Prozess beschreiben, in dem eine Eskalation auf die nächste folgte. Im Februar zündeten beispielsweise Unbekannte das Haus eines SPD-Politikers in Thüringen an, der sich gegen die AfD engagiert hatte. Darin befand sich eine Familie, sie blieb unverletzt.
Im Oktober marschierten Rechtsextreme an der Privatadresse des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) auf. Im bayerischen Wahlkampf wurden grüne Politiker mit Steinen beworfen. Seit Jahren tauchen Abbildungen von
Galgen bei Demos auf – von den Pegida-Märschen über die Kritiker der Pandemiemaßnahmen bis hin zu den Protesten der Bauern gegen Subventionskürzungen. Vor fünf Jahren richtete ein Rechtsextremer den CDU-Politiker Walter Lübcke auf der Veranda seines Hauses mit einem Kopfschuss hin.
Zwei der vier Teenager, die SPD-Europaparlamentarier Ecke verprügelt haben sollen, werden von der Polizei der rechtsextremen Szene zugerechnet. Von einem gibt es Fotos, die ihn bei einer Veranstaltung der rechten AfD und den rechtsextremen Freien Sachsen zeigen. Dass Gewalt gegen Politiker und politisch Engagierte nur von rechts auf links ausgeübt wird, lässt sich daraus aber nicht schließen.
Zum einen sind da Vorfälle wie jener vergangene Woche im niedersächsischen Nordhorn: Ein 29-Jähriger bewarf einen AfD-Stand mit Eiern, vermummte sich und schlug einem AfD-Politiker ins Gesicht. Zum anderen zeigt eine Statistik, dass etliche Übergriffe auf AfD-Politiker bei der Polizei gemeldet wurden. Zwar gab es mit 1219 Meldungen im vergangenen Jahr mit Abstand die meisten Angriffe gegen Grüne. Der Großteil wurde allerdings als Äußerungsdelikt wie etwa Bedrohung oder Beleidigung eingestuft. Bei Gewaltdelikten war die AfD mit 86 gemeldeten Fällen am öftesten betroffen.
Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Rechtspartei hervor. In dieser wollten die AfD-Fragesteller auch wissen, ob linksradikale Gruppen wie die Antifa versuchen, sie systematisch einzuschüchtern. Dazu „liegen derzeit keine Erkenntnisse vor“, schrieb die deutsche Bundesregierung.
Ich halte es für besorgniserregend. Das ist wie eine Art Freiwildkultur.
Franziska Giffey Berliner Wirtschaftssenatorin, SPD