Russlands Außenhandel staut sich an Blutgerinnseln
Die US-Taktik, Putins Kriegsmaschinerie mit Drohungen gegen involvierte Banken kleinzukriegen, beginnt zu wirken. China und Türkei lenken ein. Aber die Russen werden findig bleiben.
Wo der direkte Hebel der Sanktionen gegen Russland nicht funktionierte, soll es nun der indirekte richten. Und nach den Äußerungen der Fachleute zu urteilen, ist es so, dass er inzwischen auch tatsächlich merkbar zu wirken begonnen hat. Das Geldüberweisungssystem mit befreundeten Staaten – insbesondere der Türkei und China – stocke gehörig, ließ dieser Tage der langjährige Bankmanager und russische ExFinanzminister Michail Zadornov in einem Interview wissen. Und griff gleich zu einem drastischen Bild aus der Medizin. „Blutgerinnsel haben sich in allen Hauptgefäßen gebildet“, so Zadornov gegenüber Forbes Talks. Weil die genannten Staaten sekundäre EU- und US-Sanktionen befürchteten, stünden die russischen Imund Exporte „ohne einen Blutkreislauf gegenseitiger Abrechnungen“da.
Die notorische Umgehung der Sanktionen – insbesondere, was den Handel mit Produkten für die russische Militärindustrie betrifft – über Staaten wie Türkei, China, Kasachstan oder die Vereinigten Arabischen Emirate war dem Westen seit Langem ein Dorn im Auge. Aus diesem Grund schaltete er Ende 2023 auch einen Gang höher und drohte mit Sekundärsanktionen. Und weil er wusste, dass der indirekte Hebel über ausländische Banken der effizientere ist, weil diese unter anderem einen Ausschluss aus dem globalen Finanzinformationssystem Swift befürchten, legte er den Fokus darauf. Von „neuen und mächtigen Werkzeugen“gegen „Finanzinstitute, die den Nachschub für Russlands Kriegsmaschinerie ermöglichen“, sprach US-Finanzministerin Janet Yellen anlässlich der Unterzeichnung des entsprechenden USPräsidentenerlasses am 22. Dezember 2023.
Die Chinesen reagieren …
Der Schritt war nötig geworden, nachdem der mit Kriegsbeginn erfolgte Ausschluss der russischen Großbanken aus dem Swift-System insofern seine Wirkung verfehlt hatte, als die Geldüberweisungen im Außenhandel von kleineren russischen Geldinstituten und eben auch von Banken jener Länder übernommen worden waren, die die Sanktionen gegen Russland nicht mittragen und von Russland daher als „freundschaftlich“eingestuft werden.
Und der Präsidentenerlass vom 22. Dezember blieb nicht ohne Effekt, wie nicht nur der ThrombosenVergleich des Bankers Zadornov nun zeigt. Einem Bericht der russischen Zeitung „Kommersant“von Mitte April zufolge begannen chinesische Banken mit Ende vergangenen Jahres, Finanztransaktionen russischer Unternehmen für die Lieferung von – militärisch relevanter – Mikroelektronik zu verweigern. Wurde anfänglich nur die Lieferung fertiger Produkte verhindert, so seit April auch der Export von Komponenten, um den Aufbau einer eigenständigen russischen Chipproduktion zu unterbinden. Der Bann betreffe etwa Server, Speichersysteme und Notebooks, wo China führender Lieferant war. Die von „Kommersant“befragten Experten gaben an, dass Zahlungen nach China sogar dann verweigert werden, wenn es um die Lieferung nicht sanktionierter Produkte gehe.
… und die Türken auch
Auch die Zahlen aus der Türkei bestätigen die Tendenz. So gingen die türkischen Exporte nach Russland insgesamt im ersten Quartal dieses Jahres gegenüber dem Vorjahresquartal um ein Drittel auf 2,1 Milliarden Dollar zurück. Und was den Wert der gemeldeten Ausfuhren von Gütern mit sogenannter hoher Priorität (also vor allem Dual-Use-Güter, die auch militärisch verwendet werden können) nach Russland und in seine Nachbarländer betrifft, so fiel er im ersten Quartal gegenüber dem vierten Quartal 2023 um 40 Prozent auf 93 Millionen Dollar.
Mehr als das Volumen sind hier die Tendenz und die Zäsur bedeutsam. Denn wie die „Financial Times“mit Verweis auf die Statistik von Trade Data Monitor berichtet, waren im Jahr 2023 – also vor dem USPräsidentenerlass
– hoch prioritäre Güter für 586 Millionen Dollar aus der Türkei nach Russland und in fünf ehemalige Sowjetrepubliken exportiert worden, was einer Verfünffachung des Vorkriegsvolumens entsprochen habe.
Überhaupt scheint der Export von Dual-Use-Gütern nach Russland bis zuletzt insgesamt geblüht zu haben, obwohl Dutzende solcher Warenkategorien mit Kriegsbeginn auf der Sanktionsliste gelandet waren. Im vergangenen Jahr habe Russland für 12,5 Milliarden Dollar solche Waren eingekauft, rechnet die Kyiv School of Economics (KSE) vor – fast der gleiche Warenwert wie im Vorkriegsjahr 2021 und der Großteil immer noch von westlichen Herstellern. Die positive Entwicklung dabei sei, dass die Warenmenge wohl schon 2023 reduziert worden ist, weil die Lieferung über weniger sichtbare Parallelstrukturen deutlich teurer geworden ist. Experten beziffern die Preisaufschläge für 2023 mit über 80 Prozent. Und die KSE geht davon aus, dass es für das vorjährige Volumen über eine Million Dollar an Finanztransaktionen brauchte.
Pläne zur Abwanderung
Die Verteuerung und Verkomplizierung des Handels mit verbotenen Gütern sind denn auch das Ziel der Sanktionen und der angedrohten Sekundärsanktionen mit Fokus auf den Finanzsektor. Und weil diese Verkomplizierung eben nicht bei DualUse-Gütern haltmacht, wird der gesamte Außenhandel teurer. So hat etwa Wladimir Potanin, fünftreichster Russe mit einem von Forbes auf 23,7 Milliarden Dollar geschätzten Vermögen, kürzlich erklärt, dass der von ihm geführte Palladium-, Nickel- und Kupferkonzern Norilsk Nickel durch die Sanktionen seit Kriegsbeginn mindestens 15 Prozent an Einnahmen verloren habe – und zwar unter anderem aufgrund von Schwierigkeiten im Zusammenhang mit internationalen Überweisungen. Der Konzern, der in Europa wohlgemerkt nicht auf der Sanktionsliste steht, müsse seinen Zwischenhändlern nun Provisionen von fünf bis sieben Prozent zahlen. Norilsk Nickel werde daher einige Kupferschmelzen von Russland nach China, den wichtigsten Abnehmermarkt, verlagern, sagte Potanin.
„Eine chinesische Ware ist weitaus schwerer in China zu sanktionieren als eine russische, die nach China geliefert wird.“Der Oligarch hat russischen Beobachtern zufolge damit riesigen Unmut bei den politischen Entscheidungsträgern ausgelöst.
Es wird enger für den russischen Außenhandel – und zwar in beide Richtungen und eben nicht nur bei sanktionierten Gütern. Am 6. März dieses Jahres nämlich legten die USA nochmals nach und publizierten ihre „Tri-Seal Compliance Note“, mit der auch die europäischen Banken angehalten werden, sich strikt an die USSanktionen und US-Gesetze zur Exportkontrolle zu halten. „Um sich nicht dem Risiko auszuliefern, setzen die Banken sogar auf Over-Compliance und machen ihrerseits auf die Unternehmen Druck“, erklärt der Frankfurter Rechtsanwalt und ausgewiesene Sanktionsexperte Viktor Winkler, der viele Unternehmen in Sachen Russland-Sanktionen berät, im Gespräch mit der „Presse“.
Neue Probleme …
Das alles wird die russische Wirtschaft freilich nicht in die Knie zwingen. Nachdem sie im vergangenen Jahr um starke 3,6 Prozent gewachsen ist, sollte sie der neulich erhöhten Prognose des Internationalen Währungsfonds zufolge 2024 um 3,2 Prozent steigen. Aber kurzfristig könnten die immer schärferen Sekundärsanktionen des Westens gegen Drittstaaten wie China oder die Türkei zum Problem werden, über die Russland die Sanktionen bisher umgehen konnte, heißt es in der aktuellen Frühjahrsprognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). „Wenn türkische Banken, wie kürzlich geschehen, plötzlich keine Zahlungen mehr für russische Importe annehmen und auch Transaktionen in chinesischen Yuan schwieriger werden, könnten Russland sehr bald wichtige Maschinen und Bauteile aus dem Westen wie etwa Mikrochips fehlen“, erklärt Vasily Astrov, Russland-Experte des WIIW.
Doch im Katz-und-Maus-Spiel mit dem Westen, wie Astrov es gegenüber der „Presse“bezeichnet, werden nach Einschätzungen der Experten auch nach den neuen Restriktionen Wege zur Umgehung der Sanktionen gefunden werden – unter anderem durch die ausgedehnte Verwendung von Rubel und anderen Währungen bei Transaktionen statt Dollar und Euro. „Sie werden halt immer teurer“, meinte Oleg Vjugin, Ex-Vize der russischen Zentralbank, kürzlich im Interview mit der „Presse“.
… neue Stents
Davon ist auch der russische Ex-Finanzminister Michail Zadornov überzeugt – und bleibt beim eingangs erwähnten Bild mit den Blutgerinnseln. „An manchen Stellen werden Stents (künstliche Gefäßstützen, Anm.) eingesetzt, und neue Systeme zur Blutversorgung werden gesucht“, sagte er: „Aber eine StentOperation beim Menschen ist sehr teuer, und stellen Sie sich vor, dass es viele Stents braucht. Sie setzen einen ein, und wenn dann auch dieser Kanal abgeschnitten wird, müssen Sie wieder einen weiteren suchen.“