EU-Firmen in China sind ernüchtert
Sinkende Profite, schwieriges Geschäftsumfeld: Europäische Unternehmen, einst hoffnungsfroh in China unterwegs, haben noch nie so pessimistisch auf den chinesischen Markt geblickt.
Mit überschwänglichem Lächeln lädt Jens Eskelund zur Präsentation der alljährlichen Geschäftsumfrage. Für den Präsidenten der europäischen Handelskammer in China ist es der wohl wichtigste Kalendertag im Jahr. Der Däne spricht gar vom „Moment der Wahrheit“. Doch die Wahrheit, die fällt an diesem Freitag überaus bitter aus.
Fakt ist: Die Stimmung der europäischen Unternehmen auf dem chinesischen Markt war noch nie so schlecht wie heuer. Fast die Hälfte aller befragten Unternehmen geht von sinkenden Profiten aus, nur mehr 15 Prozent werten China als Topdestination zum Investieren, und über zwei Drittel beklagen ein erneut schwieriger gewordenes Geschäftsumfeld. Die meisten der Werte sind auf einem historischen Rekordtief. Das ist bemerkenswert, denn selbst auf dem Höhepunkt der „Null
Covid“-Politik war die Stimmung noch leicht besser. Damals konnte man sich jedoch noch einreden, dass nach dem Ende der Lockdowns die alte Goldgräberstimmung wieder zurückkehren werde. Doch stattdessen sind die strukturellen Probleme zum Vorschein gekommen. Für einige ist die chinesische Staatsführung verantwortlich: eine hohe Ideologisierung etwa, schwacher Binnenkonsum und Marktbarrieren. Doch ein großer Teil der Probleme hat auch mit äußeren, geopolitischen Risiken zu tun. „Ich hatte allgemein erwartet, dass unsere Mitglieder einen Wendepunkt in Bezug auf ihren Pessimismus wahrgenommen hätten. Aber das scheint nicht der Fall zu sein“, sagt Eskelund.
Die Worte des dänischen Wirtschaftslobbyisten wurden wissbegierig von Dutzenden Journalisten aufgenommen, die sich an diesem Vormittag in den Konferenzraum der Handelskammer eingefunden hatten. Auch Botschaftsvertreter kamen zahlreich, und erstmals seit der Pandemie erschien auch wieder ein Vertreter des chinesischen Handelsministeriums. Mit seiner Anwesenheit wollte die Regierung mit Sicherheit auch signalisieren, dass man die Kritik ernst nehme. Und an Kritik mangelt es nicht.
„Zunehmend besorgt“
„Die europäischen Unternehmen sind zunehmend besorgt über die chinesische Binnenwirtschaft“, sagt Eskelund. Auf den ersten Blick mag eine solche Aussage etwas befremdlich anmuten, schließlich wird das chinesische Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr voraussichtlich um fünf Prozent wachsen. Doch wichtig ist der Kontext: Zum einen nehmen die meisten Experten die exakten Zahlen aus China nicht für bare Münze, sondern werten sie eher als grobe Stoßrichtung. Zudem sagt das rein numerische Wachstum nur wenig darüber aus, ob es den Menschen einen wahrnehmbaren Fortschritt liefert – und ebenso, ob die europäischen Unternehmen davon profitieren.
„Wir interessieren uns immer weniger für die reinen BIP-Wachstumszahlen – ob sie nun vier, fünf, sieben oder acht Prozent betragen. Was für uns zählt, ist die Zusammensetzung des BIP-Wachstums“, sagt Kammerpräsident Eskelund. Würde das Wachstum durch stärkeren Konsum angetrieben, dann schlüge sich dies auch in den Bilanzen der Unternehmen nieder. Wenn Chinas Lokalregierungen jedoch lediglich in zusätzliche Produktionskapazitäten investieren, für die es schon jetzt keine ausreichende Nachfrage gibt, dann sei niemandem geholfen.
Und das schließt auch die chinesischen Firmen mit ein. Denn selbst bei den Kernindustrien, die Xi Jinping zur nationalen Priorität erhoben hat, bleiben den Marktführern kaum Profite. Solarzellen sind dafür das beste Beispiel: Nachdem Xi seine Industriepolitik mit flächendeckenden Subventionen angekurbelt hat, haben zwar chinesische Produzenten in Windeseile mit Dumpingpreisen die europäische Branche ausradiert. Doch sie verdienen nicht daran. „Massive Überkapazitäten in der Produktion haben die Preise für Solarkomponenten in den freien Fall getrieben“, heißt es in einer Aussendung des Analysehauses Trivium China.
Der „Todeskuss“der Staatsführung
Jeder Industriezweig, den Chinas Staatsführung für ihre Industriepolitik auswählt, sei in Bezug auf Profitabilität geradezu zum Scheitern verurteilt, stellt Jens Eskelund fest. Er bezeichnet den staatlichen Fingerzeig sogar als „Todeskuss“: Denn sämtliche chinesische Investoren folgen der angegebenen politischen Marschrichtung, überhitzen schließlich den Markt – und müssen schlussendlich von den Lokalregierungen vor einer Pleite gerettet werden.
Dass sich die Lage aus Sicht der Europäer grundsätzlich bessert, ist vorerst nicht in Sicht. Denn die allermeisten Kritikpunkte werden von der chinesischen Seite kategorisch negiert. Überkapazitäten gibt es laut Xi Jinping und Premier Li Qiang nicht. Sie betonen, dass chinesische Produkte schlicht kompetitiver seien. Dass gleichzeitig heimische Wirtschaftswissenschaftler, ja sogar das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie zuletzt vor Überkapazitäten in der Batterieproduktion warnen, verschweigen sie.
Kammerpräsident Jens Eskelund betont nüchtern, dass beide Seiten sich in Ruhe zusammensetzen müssten, um die Probleme zu besprechen. Doch wichtig sei, fügt der Manager an, dass man die bestehenden Probleme überhaupt erst einmal anerkenne. Bislang scheint dies zumindest nicht der Fall zu sein.