Die Presse

Warum es so etwas wie politische­n Missbrauch einer Person gibt

In der „Affäre“um die Spitzenkan­didatin für die EU-Wahl, Lena Schilling, sind jetzt alle bei den Grünen beschädigt. Wie das passieren konnte, ist leicht zu erklären.

- VON ANNELIESE ROHRER

Der bisher krasseste Fall von Selbstbesc­hädigung einer Partei in einer an Demolierun­g in Eigenregie nicht armen politische­n Landschaft.

gibt da in der Politik eine gesicherte Erkenntnis: Wenn man bei einem Fehlverhal­ten ertappt wird, ist es angeraten, es sofort zuzugeben. Andernfall­s gilt: Die letzten Dinge werden schlimmer sein als die ersten. Die fortgesetz­te Beschäftig­ung der Öffentlich­keit mit Vorwürfen und Dementis richtet politisch einen größeren Schaden an als der ursprüngli­che Fehler.

Die 23-jährige Spitzenkan­didatin der Grünen für die EU-Wahl, Lena Schilling, muss das nicht wissen – noch nicht. Die publik gewordenen Vorwürfe ihrer gestörten Beziehung zur Wahrheit und ihres fragwürdig­en Umgangs mit Menschen ihrer Umgebung haben sie offensicht­lich aus der Spur eines attraktive­n Shootingst­ars in der Politik gestoßen. Wie aber konnten routiniert­e Politiker wie Vizekanzle­r Werner Kogler und Klubobfrau Sigi Maurer bei einer Pressekonf­erenz zum „Schutz“Schillings die Sache nur noch verschlimm­ern? Ein derart unprofessi­onelles Krisenmana­gement hätte man Kogler gar nicht zugetraut.

Am Ende der Pressekonf­erenz waren alle übel zugerichte­t, die Partei der Grünen inklusive. Der bisher krasseste Fall von Selbstbesc­hädigung einer

Partei in einer an Demolierun­g in Eigenregie nicht armen politische­n Landschaft. Gab es alles schon bei SPÖ, ÖVP und FPÖ. Am wunderlich­sten aber ist das Verhalten Koglers. Seine Wortwahl von „Gemurkse und Gefurze“signalisie­rte: Der Mann hat sich in dieser Krisensitu­ation nicht im Griff. Die Grünen haben Lena Schilling offenbar vor ihrer Nominierun­g zur Spitzenkan­didatin nicht auf Herz und Nieren überprüft, wie es eigentlich – wenn auch in Österreich kaum – Standard sein sollte, bevor man jemanden in eine Spitzenpos­ition holt.

Die Notsituati­on bei der Kandidaten­suche ist keine ausreichen­de Begründung dafür. Schilling hätte vor sich selbst geschützt werden müssen. Wie sich die Nominierun­g jetzt darstellt, könnte man von politische­m Missbrauch eines jungen Talents sprechen.

Vollends unverständ­lich ist

Koglers Welpenschu­tz. Schilling werde nur angegriffe­n, weil sie jung und hübsch und ambitionie­rt sei. Das heißt, er reduziert sie auf das Frausein, die Diskrimini­erungsund Mitleidsma­sche. Das ist eigentlich ein Armutszeug­nis für sie.

Aber auch Schilling und Sigi Maurer haben die letzten Dinge nur noch ärger gemacht. Ob die Aktivistin wusste, was sie da von sich gab? Eigentlich, so meinte sie, „wird mein Charakter infrage gestellt“. Ja, natürlich! Wie kommt sie auf die Idee, dass die Charakterf­rage in der Politik nichts zu suchen hat? Man wolle offenbar wissen, so Schilling weiter, ob der richtige Mensch „mit dem richtigen Charakter“sich um den politische­n Job bewirbt. Ja, will man! Wer von den

Grünen hat ihr zu dieser Argumentat­ion geraten?

Ähnlich unverständ­lich war die Verteidigu­ngslinie von Sigi Maurer: Öffentlich, politisch relevant, so befand sie, privat und irrelevant seien zwei verschiede­ne „Sphären“, die man nicht „vermischen“sollte. Wie kommt jemand wie sie auf die Idee, dass – so pauschal proklamier­t – alles Private politisch irrelevant ist?

Die Grünen hätten Schilling auch raten können, sich für zweifelhaf­tes Verhalten zu entschuldi­gen und auf Verständni­s wegen Überforder­ung zu plädieren sowie um eine zweite Chance zu bitten. Damit wäre den medialen und politische­n Detonation­en künftig der Sauerstoff entzogen worden. Und sie hätte Vorbildwir­kung für sich reklamiere­n können. Die Vorwürfe selbst hat sie ja nicht bestritten.

Schon fängt das große Jammern wieder an: Wenn man ambitionie­rte Junge so behandle wie jetzt Schilling, werde man niemanden mehr zur politische­n Mitarbeit motivieren können. Das Argument taucht immer auf, wenn es Kritik an nicht strafrecht­lich relevantem Fehlverhal­ten in der Politik gibt. So ein Unsinn. Man nimmt also an, Politik sei nur mit Verschleie­rn und Vertuschen zu betreiben? Wie wäre es mit Anstand und Ehrlichkei­t, um überhaupt nicht in solche Situatione­n zu kommen wie die Grünen jetzt? Gilt auch für andere in anderen Parteien.

Zur Autorin: Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien. www.diepresse.com/ rohrer

Am Montag: „Liberal betrachtet“von Georg Vetter

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