Wie man dem rigiden Sparkurs die Stirn bietet
Portugal gilt als sechstärmstes Land in der EU, trotzdem wurde Lissabon zur Innovationshauptstadt gekürt. Wie das?
Wir vervielfachen unser Geld mit Motivation.
Dídia Isabel Cameira Covas, Ceris-Präsidentin
Österreich kann sich von Portugal viel abschauen.
Iris Filzwieser, ACR-Präsidentin
Auf dem Rossio-Platz leuchten Jacaranda-Bäume in Violett, neben der historischen Straßenbahnlinie 28E werden Ananas verkauft und am Rand der Prachtstraße Avenida da Liberdade wird Salsa getanzt. Oder ist es Tango? Schon biegt das Elektro-Tuk-Tuk in die nächste Gasse. „Urlaub?“, fragt der Fahrer. Die österreichische Runde schüttelt den Kopf. „Wir schauen uns eure Forschung hier an“, so die Antwort. „Wir“, das sind die Teilnehmenden einer Studienreise der Austrian Cooperative Research, eines Netzwerks privater gemeinnütziger Forschungsinstitutionen, die mit kleinen und mittleren Unternehmen zusammenarbeiten. Holprig geht es die Lissaboner Altstadt hinauf zu einem Aussichtspunkt im Arbeiterviertel Graça und hinunter ans Tejo-Ufer. Für einen ersten Eindruck reicht das, bevor es in die Forschungsstätten geht.
Bei dem Stichwort „Forschung“nickt der Tuk-Tuk-Fahrer wissend. „Der Web Summit in Lissabon ist berühmt“, bringt er eine der weltweit größten Tech-Innovationskonferenzen ins Gespräch ein. Ob er auch weiß, dass Portugal neuerdings EUInnovationshauptstadt ist, fragt niemand. Sie sind sich, so lassen einige ACR-Institutsleiter durchklingen, selbst nicht ganz sicher, was sie von dem Titel halten sollen. Denn während Österreich auf Platz sechs im EU-Innovationsranking liegt, muss sich Portugal mit Platz 18 begnügen.
Wie geht „Durchwurschteln“?
„Von den Innovationen her, das stimmt, gibt es hier keinen Wow-Effekt“, räumt ACR-Präsidentin Iris Filzwieser ein. Doch ihr Fokus liegt woanders: „Unserer Wirtschaft geht es nicht gut, darum ist es spannend, wie man in Portugal mit beschränkten Mitteln umgeht, wo die Forschungsförderlandschaft massiv die Handschrift eines Sparkurses trägt.“Die Wirtschaftsdelegierte Esther Maca pflichtet dem bei: „In Portugal ist man es gewohnt, mit wenigen Mitteln zu arbeiten.“Als sie vor fünf Jahren ins Land gekommen ist, sei sie überrascht von der positiven Haltung gewesen. „Die Menschen sind sehr gut darin, kreative innovative Lösungen zu finden. Sie lassen sich von schwierigen Situationen nicht abschrecken, sondern gehen sie an. Dafür gibt es sogar einen eigenen Begriff: ,desenrascar‘.“Der sei schwer zu übersetzen, am besten träfe es das österreichische „durchwurschteln“– verstanden als charmant-pragmatische Haltung.
Dabei muss Portugal sich nicht verstecken. Das Potenzial ist groß, gerade im Mint-Bereich. Immerhin gehört das Land mit einem Drittel an Studienabschlüssen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik mit Deutschland, Schweden und Dänemark zur EU-Spitze (Ö: 25 %), auch der Frauenanteil ist mit 43 Prozent hoch (Ö: 34 %). Gleichzeitig umwirbt man ausländische Talente mit zunehmendem Erfolg. Besonders im Tech-Bereich.
Alte Routinen aufbrechen
Von einem Mangel an Innovation könne keine Rede sein, betont Klaus Schuch vom Zentrum für Soziale Innovation. „Portugal hat nach der schweren Wirtschaftskrise mit dem Social Innovation Fund etwas europaweit Einmaliges geschaffen.“Mit Geldern daraus werden kreative Sozialprojekte gefördert. „In Österreich haben wir alte Routinen, bei denen ein wenig Innovation nicht schaden würde, um Problemen wie der zunehmenden Einsamkeit von alten Menschen und Jugendlichen zu begegnen.“Von konzernähnlichen Organisationen wie Caritas und Volkshilfe könne man dies nicht erwarten.
Derzeit schaut man von Österreich aus häufig auf Portugal. Erst im Herbst war Bildungsminister Martin Polaschek hier, um sich ein Bild von jenem Land zu machen, das die Wissenschaftsskepsis innerhalb einer Generation erfolgreich bekämpft hat. Während sich in Österreich lediglich 27 Prozent der Bevölkerung für Wissenschaft und Innovation interessieren, sind es in Portugal 62 Prozent. Diese aufgeschlossene Haltung „übersetzt“sich in die Zusammenarbeit zwischen Forschungsstätten und Unternehmen. So beobachtet das zumindest Christian Fink vom ACR-Institut AEE für nachhaltige Technologien: „Wir haben gute Erfahrungen mit der Uni Évora bei der Integration von solarer Prozesswärme
in die Industrie gemacht. Portugiesische Betriebe haben deren Forschungsergebnisse gleich aufgegriffen und darauf vertraut.“In Österreich sei man da zögerlicher.
Gegenüber von Lissabon, am anderen Ufer des Tejo, wo jene wohnen, die sich die Mieten in der Hauptstadt nicht mehr leisten können, liegt die Wissenschaft-undTechnik-Fakultät
(FCT) der Nova-Uni. Nur einen Steinwurf entfernt davon: der Madan Parque, eine Schnittstelle zwischen akademischer Welt und Unternehmen. Im Alma-ScienceLabor wird zum Beispiel am Einsatz von Zellulose für nachhaltige intelligente Anwendungen, wie Bieretiketten mit kühlendem Effekt, geforscht. Es ist eines von 40 CoLabs im Land. „Diese spielen eine wichtige Rolle in unserem Innovationssystem“, erklärt José Paulo Santos vom wissenschaftlichen Rat der FCT. Die CoLabs sollen Unternehmen den Zugang zu globalen Märkten erleichtern und ausländische Investitionen in technologieintensiven Bereichen fördern. In den Laboren spüre man eine Art „Aufbruchsstimmung“, resümiert einer der Studienreise-Teilnehmer. Eine Beobachtung, die die Gastgeber freut. „Motivation, harte Arbeit und Partnerschaften – dadurch vervielfachen wir jeden Euro um sein Zehnfaches“, sagt Dídia Covas, Präsidentin von Ceris, einem Forschungszentrum für Bauingenieurwesen.
Die letzte Station der Gruppe, zu der auch Vertreterinnen von Ministerien sowie der Forschungsförderungsgesellschaft FFG gehören, ist die Technische Hochschule, wo ein Waldbrand- und ein Fischereiüberwachungssystem vorgestellt werden. Dass modernste Forschungsinfrastruktur nicht nur Zukunft prägen, sondern mitunter Vergangenheit erhellen kann, demonstriert der Geotechniker Gustavo Paneiro bei seiner Führung durch das Cerena-Institut für natürliche Ressourcen und Umwelt (dessen Forschende gehören laut Stanford-Ranking zu den besten zwei Prozent weltweit). Im auf der Iberischen Halbinsel einzigen „Multiscale Imaging“-Labor fand ein paläontologisches Team kürzlich in Sedimentgestein den Kieferknochen eines unbekannten ausgestorbenen Tiers. Das lässt die Gäste hellhörig werden. „Können wir Ihnen auch Proben schicken? Machen Sie uns einen guten Preis?“, so die Fragen an Paneiro. „Natürlich“, entgegnet dieser schmunzelnd. „Wir machen immer für alle einen guten Preis.“
Der Schock über die Eskalation sitzt tief. Sie sei noch immer erschüttert, sagt Alexandra Lieben. Das Büro der gebürtigen Österreicherin liegt direkt um die Ecke von der Royce Hall, dem wohl berühmtesten Gebäude der renommierten University of California (UCLA), Kalifornien, das vergangene Woche Schauplatz gewalttätiger Ausschreitungen
zwischen propalästinensischen und proisraelischen Demonstrierenden war.
Schutz für Studierende fehlte
Sie habe es gut gefunden, dass die UCLA den Studierenden erlaubt hatte, ihr Camp zu bauen, so Lieben, die kürzlich zur Präsidentin von Ascina, dem Netzwerk österreichischer Forschender in Nordamerika, gewählt worden ist: „Gerade an einer Uni müssen alle ihre Meinung äußern können, und man muss auch verschiedene Meinungen tolerieren.“Doch man hätte die Studierenden besser schützen müssen, als eine
Gruppe von außen eindrang – und Feuerwerkskörper und Glasflaschen flogen: „Das ist zu spät passiert. Da wird noch einiges hinterfragt werden müssen.“Der Konflikt hatte sich quasi direkt vor den Augen der Konfliktforscherin entladen. Lieben befasst sich als stellvertretende Leiterin des Burkle Centers der UCLA mit Fragen zu internationalen Beziehungen und Außenpolitik, freilich aus Perspektive der USA.
Fast hätte sie sich hier einst in ihrem ersten Forschungsprojekt, einem internationalen Konfliktlösungsprojekt, auch mit Israel und Palästina auseinandergesetzt. Das habe sie abgelehnt, um sich Problemen vor der eigenen Haustür zu widmen: „LA ist eine tolle Stadt, alle möglichen Kulturen und Nationen treffen aufeinander, man spricht 224 Sprachen. Aber es gibt auch jeden globalen Konflikt, weil von überall jemand da ist.“
Lieben befasste sich mit der lähmenden Bandenkriminalität in der Stadt. Sie entwarf gemeinsam mit ihren Studierenden Konzepte, wie sich diese reduzieren lassen könnte. „Es ging etwa darum, wie man Schülerinnen und Schüler gut von einem von einer Bande kontrollierten Gebiet zum nächsten und letztlich sicher nach Hause bringen kann“, erzählt sie. Damit sich brenzlige Situationen besser entschärfen lassen, unterrichtet sie auch Einsatzkräfte. „Hier gibt es schon ewig Konflikte zwischen den Menschen und der Polizei, weil alle Seiten schwer bewaffnet sind und immer wieder etwas schiefgeht – Leute erschossen werden, die nicht erschossen werden sollten.“
Lieben sieht sich selbst als Brückenbauerin: Es brauche, egal in welchem Konflikt, immer Dialog und Respekt voreinander, mahnt sie. Auch wenn das bei großer Emotion schwer zu erreichen sei. „Ich will Verbindungen herstellen: zwischen Kulturen, zwischen Menschen, zwischen Disziplinen, zwischen Meinungen“, sagt sie.
Stadt und Land verbinden
Das will sie auch in ihrem jüngsten Projekt, in dem sie auf Demokratie fokussiert. „Wie können wir den Menschen wieder Vertrauen geben, dass der Staat funktioniert? Und dass die Demokratie bei allen Problematiken noch immer die beste Regierungsform ist, weil sie uns mit einbezieht?“, fragt sie. Und widmet sich dabei Städten und Regionen. „Die Landesregierungen sind stark im populistischen Griff, es geht nur noch ideologisch zu und nichts weiter. Mich interessiert, wie da Innovation und Kooperation passieren können.“Um das zu diskutieren, will sie nächstes Jahr 20 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus aller Welt zusammenbringen. „Mir geht es darum, wie die Menschen stärker mit einbezogen werden könnten, etwa auch, wenn es darum geht, wie ihre Schulen oder Straßen aussehen.“
Städte weltweit sollten sich mehr austauschen. „Es gibt schon Netzwerke. Da hat man sich etwa in der Pandemie rund um den Globus ans Telefon gesetzt und gefragt: Wie geht ihr damit um?“Ähnliches eigne sich auch für Fragen rund um Klimawandel und Migration. Und auch Stadt und Land sollten allerorts wieder näher zusammenrücken, wünscht sich Lieben: „Die Probleme der Stadt sind auch die Probleme vom Land und umgekehrt. Aber ich kann einem Bauern in der Debatte um fossile Brennstoffe nicht einfach sagen, er soll nicht mehr Traktor fahren oder lieber die Straßenbahn nehmen – es gibt keine Straßenbahn.“Auch hier gehe es darum, Gemeinsamkeiten zu erkennen und Barrieren abzubauen: „Sonst finden die Leute, die Regierung hört ihnen nicht zu. Und dann fahren die Bauern mit ihren Traktoren in die Hauptstadt – wie in Brüssel.“
Alle großen Stars kamen
Das Anpacken ist ihr quasi in die Wiege gelegt, die Forschung kam erst später. Als Tochter des Musikproduzenten Joachim Lieben organisierte sie zunächst Jazz- und Rockkonzerte. „Miles Davis, die Stones, Pink Floyd, Stevie Wonder, The Police, Tina Turner oder Whitney Houston – alle waren da.“Später drehte sie Filme, erst mit dem österreichischen Regisseur Axel Corti, in den USA machte sie Dokumentationen, etwa zu Medizinthemen, Schlangen oder Raumforschung. „Da war der Weg zur Wissenschaft nicht mehr weit“, schildert sie. „Ich habe damals in den Uni-Bibliotheken gelebt.“
Sie selbst baute sich ihr Netzwerk erst auf, als sie 1986 in die USA kam. Als Ascina-Präsidentin will Lieben vor allem Jungen Türen öffnen. Und sie will wieder mehr Brücken in ihre alte Heimat Österreich bauen.
In LA gibt es jeden globalen Konflikt, weil von überall jemand da ist.
Alexandra Lieben, Politikwissenschaftlerin, UCLA