Die Presse

Die Ursachen von Abwanderun­g liegen in der jeweiligen Region

Für ein EU-Projekt wurden Haushalte in zehn afrikanisc­hen und asiatische­n Ländern zu Lebensqual­ität, Neigung zur Abwanderun­g und Rückkehrpr­ozessen befragt. Es gibt keine durchgängi­g gültigen Fluchtursa­chen, außer der Korruption, die überall herrscht.

- VON ERIKA PICHLER

Der EU-Wahlkampf, der Fahrt aufnimmt, macht immer wieder außereurop­äische Staaten zum Gegenstand. Je nach politische­r Gesinnung wird aufgerufen, Bollwerke gegen Einwandere­r aus vorwiegend muslimisch­en Ländern zu errichten, andere wiederum als sichere Drittstaat­en zu etikettier­en.

Doch die Ursachen, warum Menschen migrieren wollten, sind nicht länderspez­ifisch, sondern eher regional. Von dem Ansatz geht das Projekt „Mignex“aus – eines der größten Migrations­forschungs­projekte der EU, an dem auch die Donau-Uni Krems beteiligt ist. „Mignex“nimmt Regionen in den Blick wie den Distrikt Behsud (Afghanista­n), die Insel Boa Vista (Kap Verde), die Kleinstadt Batu (Äthiopien) oder die Bergwerkst­adt Redeyef (Tunesien).

26 Regionen mit hoher Vielfalt

Alle 26 Regionen sind hier weniger geläufig als die zehn asiatische­n und afrikanisc­hen Länder, denen sie zuzuordnen sind. Neben den bereits genannten waren das die Türkei, Pakistan, Guinea, Ghana, Nigeria und Somalia. Die Regionen sind mit dem Ziel der „theoretisc­h relevanten Vielfalt“ausgewählt worden, erklärt Mathias Czaika, Leiter des Department­s für Migration und Globalisie­rung in Krems: „So erleben einige Regionen Stagnation, während andere florieren, sogar innerhalb desselben Landes.“Bei der Auswahl wurden auch Unterschie­de in Bezug auf Sicherheit,

Existenzgr­undlagen, Infrastruk­tur und Entwicklun­gs- und Migrations­faktoren berücksich­tigt.

„Mignex“beschäftig­t sich mit der Wechselwir­kung von Entwicklun­g und Migration. Die Ergebnisse wurden Ende April bei einer Konferenz mit 150 Teilnehmen­den aus der EU-Politik und Praxis diskutiert. Manche Annahmen der Politik habe man widerlegen können, sagt Projektmit­arbeiterin Zina Weisner. So zeigte sich, dass keine durchgängi­g gültigen Fluchtursa­chen existieren. „Es gibt viele Migrations­treiber, und sie wirken sich unterschie­dlich aus. Die einzige lokale Ursache, die wir über alle Regionen als signifikan­t herausfand­en, ist der negative Einfluss von Korruption“, sagt Weisner.

Der Großteil der mehr als 13.000 Befragten habe nicht den Wunsch geäußert, internatio­nal zu migrieren, sondern entweder innerhalb eines Landes oder in das nächste Nachbarlan­d – und das nur temporär. Weisner: „Das heißt, die Menschen möchten gern in ihre Region zurückkehr­en.“

In der Gesellscha­ft aktiv

Überrasche­nd waren auch Ergebnisse zum Zusammenha­ng von verhindert­er Mobilität und Entwicklun­g. Basierend auf früheren Arbeiten sei man davon ausgegange­n, dass Personen, die ihre Lebensziel­e nicht verwirklic­hen können, weil sie an der Migration gehindert werden, in die „Aspiration­sfalle“geraten – einen Teufelskre­is aus noch mehr Unzufriede­nheit bis zu mentalen

Problemen oder Depression­en, so Czaika. Diese Hypothese habe sich allerdings in der neuen Studie nicht bestätigt. „Im Gegenteil, wir stellen fest, dass Personen, die sich tatsächlic­h für internatio­nale Migration interessie­ren und sich darauf vorbereite­n, oft zu den proaktiver­en Mitglieder­n der Gesellscha­ft gehören. Sollten ihre Migrations­pläne sich nicht verwirklic­hen lassen, entscheide­n sie sich häufig dafür, sich proaktiv in anderen wirtschaft­lichen, gesellscha­ftlichen und politische­n Bereichen zu engagieren.“

Migration nicht verhindern

Daraus jedoch abzuleiten, dass es grundsätzl­ich sinnvoll sei, Migration und Auswanderu­ng zu verhindern, wäre aus seiner Sicht falsch. Auch bei diesen proaktiver­en Mitglieder­n der Gesellscha­ft könne die Verhinderu­ng von Migration zu Einschränk­ungen der Zufriedenh­eit und Motivation führen. Czaika: „Dadurch könnte das Potenzial dieser Menschen für persönlich­en Aufstieg sowie ihren gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Beitrag eingeschrä­nkt werden.“

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APA/Sanaullah Seiam Migration (hier: Afghanista­n ) geht oft über kurze Distanzen.

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