Sag mir, wann das Windrad steht
Wetterprognosen sind zentral, um die Versorgung mit Energie aus Wind oder Sonne zu planen. Die Berechnungen sollen künftig stärker mit Vorhersagen zum Klimawandel gekoppelt werden. Künstliche Intelligenz hilft dabei.
Wie wird das Wetter heute? Eine nur scheinbar einfache Frage, die Antwort soll morgens etwa bei der Wahl der richtigen Jacke helfen. Doch hinter den Prognosen stecken komplexe Berechnungen mit weitreichender Bedeutung. Sie werden etwa für den vermehrt auf nachhaltige Energieformen setzenden Strommarkt immer wichtiger. Denn das Netz muss stabil bleiben, selbst wenn der Wind einmal nicht mehr weht oder Wolken aufziehen und kaum Energie eingespeist wird. Und auch, wer eine PV-Anlage am Dach – oder neuerdings immer häufiger ein Panel am Balkon – hat, will wissen, für wann er Waschmaschine oder Geschirrspüler programmieren soll, um den eigenen, nachhaltigen Strom zu nutzen. Der Blick in die Zukunft ist damit auch essenziell für die Energieversorgung und als Entscheidungsgrundlage für die Errichtung neuer Infrastruktur – im Großen wie im Kleinen.
„Die Herausforderung ist: Wie können wir Analysen und Prognosen für Wetter- und Klimaszenarien so aufbereiten, dass wir für erneuerbare Energien – aktuell und auch in Zukunft – gut gerüstet sind?“, sagt die promovierte Meteorologin Irene Schicker. Eine große Aufgabe für Geosphere Austria (vormals ZAMG), die den meteorologischen und klimatologischen Dienst Österreichs betreibt. Dafür reicht ein einzelnes Projekt nicht aus. Daher hat man, passend zum
Thema, ein „Umbrella“(Regenschirm, engl.)Projekt definiert, das nun für den vom Klimaschutzministerium im Juni vergebenen Staatspreis Technologie nominiert ist.
Wetter und Klima zusammenbringen
Unter dem Titel „Atmol4REN-4Cast“sind darin rund ein Dutzend Initiativen gesammelt, welche die derzeitige und künftige Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen, das Netzmanagement und die Folgen auf die Infrastruktur untersuchen. „Ziel ist, Wetter und
Aspekte, an die wir mit unserem Erfahrungswissen vielleicht gar nicht gedacht haben“, erläutert Schicker.
Ein Grundlagenprojekt hätten die Forschenden später wohl anders benannt: „Corona“sollte, ähnlich wie „Wind TRF“, direkt bei den Stationsstandorten Windprognosen mittels Machine Learning ermöglichen. „Das waren 2015 und 2016 die ersten Schritte dorthin“, sagt Schicker.
Um verschiedene atmosphärische Prozesse besser zu verstehen, werfen die Forschenden in den Teilprojekten „AI4Wind“und „Wind4Future“nun einen Blick in die Vergangenheit. Wo Daten fehlen, erzeugt sie die KI. Denn Windrichtung und -stärke variieren selbst innerhalb einer Region oft sehr stark – insbesondere in einem durch Berge und Täler so vielseitigen Land wie Österreich. Daher sind Windmessungen einzelner Wetterstationen nicht unbedingt für die weitere Umgebung repräsentativ. Dazu kommt, dass es aus den Luftschichten bis einige Hundert Meter über Grund kaum direkte Messungen gibt. Sie sind aber für Windkraftanlagen entscheidend. „Wir wollen berechnen, wie der Wind auf Höhe der Nabe weht, dort, wo die Rotorblätter montiert sind“, so Schicker. Dabei nutzt man auch „klassische“statistische Methoden, sodass ein Bild der Windsituation in Österreich in den vergangenen 20 Jahren entstehen und sich das Windpotenzial errechnen lassen soll. Eine wichtige Basis für die Planung neuer Windparks.
Wir wollen berechnen, wie der Wind auf Höhe der Nabe weht, wo die Rotorblätter montiert sind.
Irene Schicker, Meteorologin
Im „Windsor“-Projekt wurden die Wettervorhersagen auf die Stromproduktion aus Wind und Sonne übertragen. „Man kann in das Wettermodell mit einfließen lassen, wo ein Windpark steht“, erklärt Schicker. Außerdem finden Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Leistung Eingang. Es zeichne sich bereits ab, dass sich die Prognosen für Windenergie so deutlich verbessern lassen, sagt die Forscherin.
Im kürzlich abgeschlossenen Projekt „Soclenow-AI“wiederum testete man, ob sich Machine-Learning-Methoden besser für Kurzfristprognosen eignen als bisher genutzte Modelle. „Dabei ging es vor allem um die Produktion von Solarstrom“, berichtet Schicker. Mittels sogenanntem Nowcasting soll sich auf zehn bis 15 Minuten genau vorhersagen lassen, ob die
Sonne scheint – Daten, die man später online auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen will. Auf „Soclenow AI“folgte „Reduce Data“. Hier wird versucht, mehrere Standorte großer Fotovoltaikanlagen zu verknüpfen. „Wir wollen zum Beispiel wissen, was es für PV-Parks im Osten bedeutet, wenn Wolken aus dem Nordwesten kommen und dort die Produktion reduzieren. Lässt sich abschätzen, was passiert, wenn sie weiterziehen?“
Strommasten knickten um
Bei „Medea“versuchten die Forschenden weiters, meteorologische Extremereignisse wie Starkwindstürme oder Hagel zu berücksichtigen. Auch die sogenannte Dunkelflaute fließt mit ein: eine Wettersituation, bei der es zu wenig Sonne und Wind gibt und kaum oder kein Strom erzeugt werden kann. „Wenn es dann auch noch kalt ist und man mehr heizen muss, kann das eine Gefahr für das Stromnetz sein“, erläutert Schicker. „Dann muss man schauen: Wo kriege ich die benötigte Energie her?“Es geht um Umverteilung – und letztlich um Stromeinkauf über das europäische Netz.
Bei „AI4Grids“wiederum will man PV-Prognosen für lokale Netzwerke in Regionen, etwa kleinere Stadtwerke, machen, ohne dass bekannt ist, wie viele Leute ins Netz einspeisen. „Der Weg zur Energiewende führt über das Stromnetz“, lautet das Motto. Das Netz muss also funktionieren, sonst geht gar nichts. In den bereits laufenden Nachfolgeprojekten „EnergyProtect“
und „EnergAIze“geht es darum, Wetterlagen zu identifizieren, die nicht nur für die Energieproduktion schlecht sind, sondern bei denen Infrastruktur tatsächlich beschädigt werden kann. „Die Basis dafür war das Unwetter von August 2022, das über Kärnten und die Steiermark gezogen ist und auch ein Stück weit in Niederösterreich niederging“, erzählt Schicker. Damals starben zwei Mädchen in der Freizeitanlage St. Andräer See. Der Sturm ließ auch Strommasten knicken, Tausende Haushalte waren ohne Strom. Dem Klimawandel will man in den Berechnungen mittels Physics-Informed Machine Learning begegnen: Maschinen mit eingebauten neuronalen Netzwerken sollen sich nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns ständig verbessern, indem sie Vorwissen in Form von physikalischen Gesetze und Gleichungen mit maschinellem Lernen kombinieren.
Feststellen, wer wie viel einspeist
All das klingt komplex – und ist es auch. Wie viel Unvorhersehbares bleibt dennoch trotz der ausgeklügelten Methoden? „Genug, um mit klassischen meteorologischen Methoden auch noch Arbeit zu haben“, sagt Schicker lachend.
Immerhin: Wettermodelle gibt es schon seit mehr als 100 Jahren, nur die Methoden haben sich geändert. „In die Prognosen fließen heute Unmengen an Beobachtungsdaten ein: Satellitendaten, Bodendaten, Radardaten, Bojen, Schiffsmesswerte, Flugzeugdaten – sie werden miteinander verknüpft, und dann erzeugen numerische Gleichungen daraus eine Wetterprognose“, schildert Schicker.
Sie schätzt jedenfalls das Gefühl, mit all den verwendeten Methoden und gemeinsam mit den wissenschaftlichen und industriellen Partnern – Energieversorgern sowie Netz- und Windparkbetreibern – einen Beitrag zu leisten, damit die Energiewende gelingt.