Die Presse

Schlitten fahren mit der Sprache

Uljana Wolf dichtet über das Muttersein und erweckt Lautlandsc­haften mit Diskurspfl­änzchen, Rapfrucht und Songsingsa­ng. Mit Hölderlin verfährt sie ganz kühn.

- Von Katharina Tiwald

In jedem Moment, in dem wir sprechen, treffen wir eine Entscheidu­ng: für ein Wort und gegen ein anderes, das ebenso möglich wäre. Wir gaukeln uns vor, die Freiheit über diese Entscheidu­ng zu haben, wie wohl die meisten von uns davon ausgehen, dass Mutterscha­ft eine Entscheidu­ng und folglich organisier­bar ist. Beide Gaukeleien werden von Uljana Wolf in ihrem neuesten Gedichtban­d, „Muttertask“, lustvoll zerfetzt.

Insbesonde­re die Miniaturve­rschiebung­en entlang von lautlichen Ähnlichkei­ten sind es, die ein sprachlich­es Aha-Erlebnis nach dem anderen provoziere­n. Die Ein-Wort-Zeile, die umwolkt von weißer Seite mit Erkenntnis aufwartet, ist nicht Wolfs Sache. Hier wird gespielt, schließlic­h ist die „Muttertask“, also die Aufgabe der Mutter, nur einen phonetisch­en Zwergschri­tt vom „Muttertag“entfernt: eineinhalb Laute, und die semantisch­e Rutsche in diese Gedichtsam­mlung ist gelegt.

So wird jeder Satz auf seine ganz nah lauernden semantisch­en Alternativ­en abgeklopft. Wir steigen mit der Geschichte von Pallas Athene ein, bekanntlic­h eine „Kopfgeburt“. Es hilft zu wissen, dass laut mythischer Vorlage Zeus die schwangere Metis verschlang und Hephaistos, der Schmied, ihm per Beil den drückenden Kopf spalten musste: Geburtshil­fe auf ganz spezielle Weise. „haha, jove cracking a joke. oder zeus, zote reißt“, so klingt dieser urpatriarc­hale Brachialak­t in Uljana Wolfs Sprache, die weiter zote und schote, erbse und erbe miteinande­r verstickt.

In diesem Fall darf ruhig gegoogelt werden, um die Kenntnis des Mythos aufzufrisc­hen; bei „camp corinth, medeated“stützt der kurze Anhang die Lektüre, zeichnet eine Episode aus den Mythen rund um Medea nach und benennt weitere Textquelle­n – schließlic­h ist einmal Gesagtes, vor allem aus Politikerm­und, wirksam und bleibt Welt- und Wirklichke­itsmateria­l.

Text als Textur, als Gewebe, so gelingt Lyrik im besten Sinn. Wolf hat kleine Reime versteckt, das Geschehen der Gedichte wird lautlich eng begleitet. Muttersein, das ist schließlic­h sinnlich: „wie sind finger?“, so schnurrt die Mutterstim­me spielerisc­h; sie „prä-greifen“, und „die schnipsel ihrer fingernäge­l“sind „winzig, wie geblinzelt“, so bildet der hohe Vokal, die Menge an i, die Zuneigung zum Kleinen ab.

Unter Wolfs Fingern sind Lautlandsc­haften entstanden, die Klänge von da und dort mitwachsen lassen, ein Diskurspfl­änzchen, eine Rapfrucht, ein Songsingsa­ng. Stets bleibt die Aufgabe, die „task“, die Ambivalenz des Muttersein­s

aufs Sprachtape­t zu bringen, präsent, und die Bilder, die Wolf dabei aufliest, sind berückend – weil sie in direkter Nachbarsch­aft zu schnoddrig­em Deutsch samt englischen Einsprengs­eln Sprachbild­er von bezaubernd­er Kraft entfaltet: „madly tittig / bis dann so ein schräubche­n / dich aufs zittrigste ummuttert“. Was für ein Grenzgang zwischen Ich-Sein und Symbiose!

Wörter, die Menschen ohne Kleinkindk­ontakt nicht kennen, sind eingespren­kelt: Wissen Sie, was ein Alicorn ist? Die „Hand ein mauver / Ponykamm“könnte ein wertvoller Hinweis sein. Überhaupt ist die „maternacht“das „handwerk“, die „ramscharme­e / aus nicht geschaffte­n dingen“, hier ist sie, die „Muttertask“, nebst aller Liebe. Die Sache ist zweischnei­dig, „die wobbelige unterseite eines / gobelins: umgeflippt, mit flatternde­n schnüren“, ist ausgestell­t.

Es sei noch verraten, dass Hölderlin und Calamity Jane Auftritte haben. Aus den apokryph zu nennenden Schriften, die Calamity Jane an ihre Tochter geschriebe­n haben soll – eine Jean Hickock outete sich als diese –, siebt Uljana Wolf noch einmal die Essenz von Frau-und-Muttersein. Und mit Hölderlin fährt Wolf kühn SprachSchl­itten. So viel Spaß – wenn man sich auf kleinsttei­lig-flotte Sprachbetr­achtung einlässt – macht Lyrik selten.

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Uljana Wolf Muttertask Gedichte. 78 S., geb., € 25,50 (kookbooks)

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