Schlitten fahren mit der Sprache
Uljana Wolf dichtet über das Muttersein und erweckt Lautlandschaften mit Diskurspflänzchen, Rapfrucht und Songsingsang. Mit Hölderlin verfährt sie ganz kühn.
In jedem Moment, in dem wir sprechen, treffen wir eine Entscheidung: für ein Wort und gegen ein anderes, das ebenso möglich wäre. Wir gaukeln uns vor, die Freiheit über diese Entscheidung zu haben, wie wohl die meisten von uns davon ausgehen, dass Mutterschaft eine Entscheidung und folglich organisierbar ist. Beide Gaukeleien werden von Uljana Wolf in ihrem neuesten Gedichtband, „Muttertask“, lustvoll zerfetzt.
Insbesondere die Miniaturverschiebungen entlang von lautlichen Ähnlichkeiten sind es, die ein sprachliches Aha-Erlebnis nach dem anderen provozieren. Die Ein-Wort-Zeile, die umwolkt von weißer Seite mit Erkenntnis aufwartet, ist nicht Wolfs Sache. Hier wird gespielt, schließlich ist die „Muttertask“, also die Aufgabe der Mutter, nur einen phonetischen Zwergschritt vom „Muttertag“entfernt: eineinhalb Laute, und die semantische Rutsche in diese Gedichtsammlung ist gelegt.
So wird jeder Satz auf seine ganz nah lauernden semantischen Alternativen abgeklopft. Wir steigen mit der Geschichte von Pallas Athene ein, bekanntlich eine „Kopfgeburt“. Es hilft zu wissen, dass laut mythischer Vorlage Zeus die schwangere Metis verschlang und Hephaistos, der Schmied, ihm per Beil den drückenden Kopf spalten musste: Geburtshilfe auf ganz spezielle Weise. „haha, jove cracking a joke. oder zeus, zote reißt“, so klingt dieser urpatriarchale Brachialakt in Uljana Wolfs Sprache, die weiter zote und schote, erbse und erbe miteinander verstickt.
In diesem Fall darf ruhig gegoogelt werden, um die Kenntnis des Mythos aufzufrischen; bei „camp corinth, medeated“stützt der kurze Anhang die Lektüre, zeichnet eine Episode aus den Mythen rund um Medea nach und benennt weitere Textquellen – schließlich ist einmal Gesagtes, vor allem aus Politikermund, wirksam und bleibt Welt- und Wirklichkeitsmaterial.
Text als Textur, als Gewebe, so gelingt Lyrik im besten Sinn. Wolf hat kleine Reime versteckt, das Geschehen der Gedichte wird lautlich eng begleitet. Muttersein, das ist schließlich sinnlich: „wie sind finger?“, so schnurrt die Mutterstimme spielerisch; sie „prä-greifen“, und „die schnipsel ihrer fingernägel“sind „winzig, wie geblinzelt“, so bildet der hohe Vokal, die Menge an i, die Zuneigung zum Kleinen ab.
Unter Wolfs Fingern sind Lautlandschaften entstanden, die Klänge von da und dort mitwachsen lassen, ein Diskurspflänzchen, eine Rapfrucht, ein Songsingsang. Stets bleibt die Aufgabe, die „task“, die Ambivalenz des Mutterseins
aufs Sprachtapet zu bringen, präsent, und die Bilder, die Wolf dabei aufliest, sind berückend – weil sie in direkter Nachbarschaft zu schnoddrigem Deutsch samt englischen Einsprengseln Sprachbilder von bezaubernder Kraft entfaltet: „madly tittig / bis dann so ein schräubchen / dich aufs zittrigste ummuttert“. Was für ein Grenzgang zwischen Ich-Sein und Symbiose!
Wörter, die Menschen ohne Kleinkindkontakt nicht kennen, sind eingesprenkelt: Wissen Sie, was ein Alicorn ist? Die „Hand ein mauver / Ponykamm“könnte ein wertvoller Hinweis sein. Überhaupt ist die „maternacht“das „handwerk“, die „ramscharmee / aus nicht geschafften dingen“, hier ist sie, die „Muttertask“, nebst aller Liebe. Die Sache ist zweischneidig, „die wobbelige unterseite eines / gobelins: umgeflippt, mit flatternden schnüren“, ist ausgestellt.
Es sei noch verraten, dass Hölderlin und Calamity Jane Auftritte haben. Aus den apokryph zu nennenden Schriften, die Calamity Jane an ihre Tochter geschrieben haben soll – eine Jean Hickock outete sich als diese –, siebt Uljana Wolf noch einmal die Essenz von Frau-und-Muttersein. Und mit Hölderlin fährt Wolf kühn SprachSchlitten. So viel Spaß – wenn man sich auf kleinstteilig-flotte Sprachbetrachtung einlässt – macht Lyrik selten.