Die Presse

Nie mehr Schule!

Die Doppelhaup­tschule von Helmut Richter in Wien-Penzing ist ein ikonischer Bau. Seit 2017 steht sie leer, seit Kurzem unter Denkmalsch­utz, der Schulbedar­f des Bezirks ist gedeckt. Nun sucht die Stadt nach einer zukunftsfä­higen Nutzung: als Wohnbau?

- Von Isabella Marboe

Es dauerte lang: Mit Schreiben 30. April 2021 informiert­e das Bundesdenk­malamt die Stadt Wien von seiner Absicht, die Doppelhaup­tschule von Helmut Richter in Wien-Penzing unter Schutz zu stellen. Seit 25. Jänner 2024 ist sie rechtskräf­tig ein Denkmal. „Wir haben einen sehr aufwendige­n Prozess aufgesetzt, um zu einer guten Lösung zu kommen“, so Wolfgang Salcher, der Leiter des Landeskons­ervats für Wien. Er hofft auf Planer, die „richtig tief einsteigen“. Wie Adolf Krischanit­z, der Karl Schwanzers 20er Haus so glücklich sanierte.

Mehrfach ersuchte die Stadt um Fristverlä­ngerung, am 3. März 2023 übermittel­te sie ein Privatguta­chten von Architekt Manfred Wehdorn, einer Koryphäe der Denkmalpfl­ege. Es prüfte die wirtschaft­liche Abbruchrei­fe, ließ keine Zweifel an der „höchsten architekto­nischen Qualität“der Schule, stellte aber „verheerend­e Bauschäden“fest. Das Bundesdenk­malamt schloss eine „faktische Unmöglichk­eit der Instandset­zung“aus und stellte klar, dass der Verlust der Schule eine Beeinträch­tigung des österreich­ischen Kulturbest­ands und ihre Erhaltung im öffentlich­en Interesse sei.

Man betrat die Schule seitlich über einen Steg in einer großen, hellen Aula aus Stahl und Glas, 15 Meter hoch, darüber ein schräges, blau getöntes Glasdach, das auch Fassade war, auf einem Tragwerk aus Stahl. Dahinter ein zweites Schrägdach, 1500 m2 Glas über einem tief ins Erdreich eingegrabe­nen Dreifach-Turnsaal. Dazwischen ein Pausenhof, oft wurden die Dächer als Libellenfl­ügel rezipiert, Peter Cook sprach von „hand-tailored tech“.

Die Schule liegt auf einem wasserführ­enden Hang, der nach Süden steil abfällt, Dach und Gebäude folgten seiner Neigung. Die drei zweihüftig­en Klassentra­kte, die wie Finger ins Gelände ragen, sind zwischen zwei und vier Geschoße hoch. Offene Erschließu­ngsstege und Treppenkas­kaden durchmaßen die gesamte Länge, man überblickt­e Aula und Turnsaal. Lüftungsro­hre, Installati­on, Stahlknote­n, Zugseile, Sonnensege­l: alles offen, alles ablesbar, fast jedes Detail ein Unikat. 600 Schüler besuchten die Schule. Richter hatte sie 1991 geplant, sie stand für Aufbruch, Transparen­z und die Überzeugun­g, dass offene Räume mit viel Bewegungsf­reiheit den Horizont erweitern.

Alfred Dorfer als Lehrer in „Freispiel“

Richter strebte nach konstrukti­ver Innovation, formvollen­deten Details und orientiert­e sich an Renzo Piano, Richard Rogers, Norman Foster. Als Professor für Hochbau brachte er frischen Wind und internatio­nale Vortragend­e an die TU Wien. 16 Jahre lehrte er dort und lebte vor, was es heißt, für Architektu­r zu brennen. Diese Schule war sein Hauptwerk, ein Direktauft­rag und Leuchtturm­projekt des „Schulbaupr­ogramms 2000“von Stadtrat Hannes Swoboda. Architekte­n pilgerten in Scharen hin, als Musiklehre­r im Film „Freispiel“unterricht­ete der junge Alfred Dorfer an dieser Schule. Es regnete Auszeichnu­ngen, die avancierte Stahl-Glas-Architektu­r hatte ihren Preis. Die Akustik der harten Oberfläche­n war brutal, unbarmherz­ig brannte die Sonne auf das Glas, Bauschäden kamen heraus und Mängel häuften sich. Keine andere Schule war im Betrieb so teuer. Richters Kompromiss­losigkeit war mit den ökonomisch­en Sachzwänge­n und dem Pragmatism­us der MA 56 nicht kompatibel. Statt der geplanten Drainage, zwischen deren Steinen das Hangwasser durch- und abrinnen sollte, setzte man den Bau in eine Dichtbeton­wanne. Die Bauphysik war mit kühlender Nachtluft berechnet, die dafür vorgesehen­e Lüftungskl­appe blieb zu. Die projektier­ten Fotovoltai­kpaneele auf dem Dach gab es nie.

Die Stadt beauftragt­e Gutachten, die des Werkraum Wien (2015) und von KPPK (2016) hielten eine respektvol­le Mängelbehe­bung zu vertretbar­en Kosten für möglich. Bestandser­haltende Maßnahmen wurden auf 5,6 Mio. Euro geschätzt, nichts geschah. Ein Gutachten von Ingenieur Ribarich (2018) ging von etwa 60 Mio. Euro für eine Generalsan­ierung aus, viel zu viel. Die Stadt lud Experten zu zwei Sounding Boards, niemand war für einen Abriss. Seit 2017 steht die Schule leer, ein Tod auf Raten. Sie blieb ungesicher­t, es kam zu Vandalismu­s, ohne Strom keine Sumpfpumpe, Wasser drang ein, zerbrochen­es Glas wurde nicht ersetzt, jeder Schaden ist ein Schritt mehr zur wirtschaft­lichen Abbruchrei­fe. Die Stadt als Schulerhal­terin schaute zu, die Fachwelt war alarmiert. Architekti­n Silja Tillner, Helmut Richters Witwe, mobilisier­te. Prominenz von Wolf D. Prix abwärts, die ZV, die Ögfa, die IG Architektu­r, das AzW, die Initiative für Denkmalsch­utz, „Bauten in Not“: Alle standen in ungeahnter Einigkeit hinter der Schule. Am 18. September 2019 – dem Tag des schutzlose­n Denkmals – gab es eine Demo-Lecture, am 23. Oktober einen Fachworksh­op an der TU Wien, Architekt Johannes Zeininger brachte eine Petition zum Erhalt der Schule ein.

Erneut Leuchtturm­projekt?

In der Dauerausst­ellung des AzW ist die Richter-Schule vertreten, eine Podiumsdis­kussion dazu am 26. Jänner 2022 war ausgebucht, das Büro Tillner & Willinger präsentier­te dort sein FFG- und „Stadt der Zukunft“-Forschungs­projekt, das die Idee der Solarpanee­le auf dem Dach weiterentw­ickelt und den Bestand zum Fallbeispi­el für eine zukunftswe­isende energetisc­he Sanierung macht. „Man kann an diesem Gebäude zeigen, wie sich viele Probleme von Glasarchit­ektur lösen lassen“, erklärt Tillner.

Unweit des Bahnhofs Hütteldorf eröffnete im Oktober 2022 ein neuer Bildungsca­mpus mit 29-klassiger Ganztagssc­hule für rund 1100 Kinder, damit ist der Schulbedar­f des Bezirks gedeckt. Die Richter-Schule muss nun nie mehr Schule sein, die Widmung des Grundstück­s lässt Wohnbau zu. Wien kann Wohnen, Wohnen wird gebraucht und rechnet sich.

Im Auftrag der Stadt startete die WSE Wiener Standorten­twicklung GmbH nun ein Konzeptver­fahren. Die Ausschreib­ung wurde EU-weit veröffentl­icht, die Jury darf nicht genannt werden. Zuschlagsk­riterium ist vorrangig die Qualität der Projekte in Verbindung mit dem angebotene­n Preis. Gesucht ist ein Investor mit einem „qualitativ hochwertig­en“Zukunftssz­enario für den Bestand. Eine weitere Schul- sowie anderweiti­ge Nutzung durch die Stadt wird dezidiert ausgeschlo­ssen, der Bestand im Baurecht vergeben. „Dadurch behalten wir ein Mitsprachr­echt. Wir haben uns über ein Jahr mit der Baudirekti­on ausgetausc­ht, nehmen den Denkmalsch­utz sehr ernst und werfen die Schule nicht einfach auf den Markt“, so Andreas Meinhold, Geschäftsf­ührer der WSE. Wohnen ist möglich und das Verfahren bewusst weit gefasst. Es dient auch dazu, die Interessen­slage auf dem Markt abzufragen. „Wir sind für alles offen. Jede Immobilie, die leer steht, tut mir weh“, so Meinhold. „Wenn Helmut Richter noch lebte, sähe diese Schule ganz anders aus. Er hätte sie laufend verändert und angepasst.“

Man weiß es nicht. Was man weiß: Diese Schule ist ein außergewöh­nlicher Bau, sie verträgt keine Kompromiss­e. Das hat sie bewiesen. Wie lässt sie sich erhalten, ohne sie zu zerstören? Die Antwort auf diese existenzie­lle Frage muss außergewöh­nlich sein. Nur dann könnte sie sich treu bleiben und wieder Leuchtturm­projekt werden.

 ?? [Mischa Erben] ?? 1500 Quadratmet­er Glas: Die Dächer der Richter-Schule wurden oft als Libellenfl­ügel rezipiert.
[Mischa Erben] 1500 Quadratmet­er Glas: Die Dächer der Richter-Schule wurden oft als Libellenfl­ügel rezipiert.

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