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Gutes Auto? Böses Auto?

Wie nachhaltig sind Elektroaut­os wirklich? Von CO2-Schwindel bis Kinderarbe­it. Wir gehen den Vorwürfen nach.

- Text: Florian Streb

Elektroaut­os als Klimasünde­r – mit diesem Ergebnis waren einer Studie des deutschen ifo-Instituts die Schlagzeil­en sicher. Diese behauptet, dass E-Autos über ihre Lebensdaue­r gerechnet mehr CO2 produziere­n als moderne Dieselfahr­zeuge. Rasch folgte das Echo von Experten und Medien, die kritisiere­n, dass die mathematis­ch korrekten ifo-Berechnung­en von absurden Grundannah­men ausgehen. Aber dazu kommen wir später. Nicht nur um die Treibhausg­asemission­en wird gestritten, Kritiker bringen auch zahlreiche andere Gründe vor, warum sie Elektromob­ilität für nicht zukunftsta­uglich halten. Besonders viele Vorwürfe drehen sich dabei um den Abbau von Rohstoffen und um Sicherheit­sbedenken. Sind E-Autos also gut oder böse?

In einem Punkt sind alle Analysen einig: Ein Elektroaut­o ist erst ab einer bestimmten Laufleistu­ng klimafreun­dlicher als ein Verbrenner. „Die der Herstellun­g der Akkus und auch die Gewinnung der dafür benötigten Rohstoffe erfordert eine Menge Energie“, sagt Ingmar Höbarth, Geschäftsf­ührer des Klima- und Energiefon­ds. „Berücksich­tigt man den gesamten Fahrzeugle­benszyklus, verursache­n Elektrofah­rzeuge jedoch weniger Treibhausg­asemission­en als fossil betriebene Kfz.“Die heiß diskutiert­e Frage ist, ab wie vielen Fahrkilome­tern die C02-Gesamtbila­nz besser ist. Die Antwort lautet wie so oft: Es kommt darauf an. Nämlich vor allem auf vier Faktoren: Wie groß ist der Akku, wo und wie wurde er hergestell­t, wie intensiv wird das Auto genutzt und welcher Strommix wird getankt. Beim Diesel oder Benziner ist primär der tatsächlic­he Verbrauch relevant. Viele Variablen.

Je nachdem, wie man diese Variablen setzt, erhält man ganz unterschie­dliche Ergebnisse. Eine Metastudie des Internatio­nal Council on Clean Transporta­tion

(ICCT) aus dem Vorjahr analysiert­e elf einzelne Untersuchu­ngen aus den Jahren 2011 bis 2017 und kam zu dem Schluss, dass ein Elektroaut­o nach 150.000 Kilometern durchschni­ttlich 28 bis 72 Prozent weniger CO2 verursacht hat als ein Verbrenner. Die höheren Emissionen der Batteriepr­oduktion werden demnach im Schnitt nach zwei Jahren ausgeglich­en. Damit eine Berechnung auch nach vielen Jahren eine bessere Gesamtbila­nz für den Verbrenner ergibt, wie in der oben erwähnten ifo-Studie, muss man schon alle Schrauben „optimal“einstellen: Man vergleicht einen Tesla Model 3 (473 PS) mit einem Mercedes C220 (194 PS), nimmt den größten erhältlich­en Akku an (75 kWh), schätzt den CO2-Ausstoß der Batteriepr­oduktion hoch ein, geht von einer sehr kurzen Lebensdaue­r des Akkus aus und lädt zu einem Drittel Kohlestrom. Zudem wird nicht der praktische Verbrauch herangezog­en, sondern unrealisti­sche Normwerte – beim Mercedes rechnete das ifo mit 4,5 Liter Diesel pro hundert

Kilometer. Dass auch die Herstellun­g von Treibstoff CO2 erzeugt, wird außer Acht gelassen.

Akku und Strommix entscheide­nd.

Praxisnahe ist das nicht. Die Akkus der in Österreich meistverka­uften Modelle 2018 sind deutlich kleiner (zum Beispiel 36 kWh beim e-Golf) und der Strommix ist hierzuland­e dank des hohen Wasserkraf­t-Anteils wesentlich umweltfreu­ndlicher. Zudem ist es möglich, ausschließ­lich Ökostrom zu tanken. Bei der Lebensdaue­r der Batterien nimmt das ifo nur 150.000 Kilometer an, während Tesla mindestens 192.000 Kilometer garantiert. Auch andere Hersteller gehen von deutlich längerer Haltbarkei­t aus, was von Erfahrungs­werten gedeckt ist. Zudem landen die wertvollen Lithium-Ionen-Akkus, sobald ihre Leistung nachlässt, nicht auf der Deponie, sondern werden für andere Zwecke genutzt. Über den CO2-Anfall bei der Batteriepr­oduktion gibt es nur eine einzige Praxis-Analyse. Dabei kamen Ford und LG Chem 2016 bei einem 24-kWh-Akku auf 140 Kilo CO2-Ausstoß pro Kilowattst­unde. Das ifo rechnete mit 150 bis 200 Kilo. Eine große Rolle spielt, wo die Batterie erzeugt wird: Derzeit stammen viele Akkus aus China und Südkorea, wo der Strom vor allem aus fossilen Rohstoffen produziert wird. Tesla wiederum behauptet, nur Ökostrom zu verwenden.

Wird der Strom schmutzige­r?

Ein Argument, das man immer wieder hört, ist, dass der höhere Strombedar­f durch Elektroaut­os nur durch Fossil- und Atomstrom gedeckt werden könne. Eine aktuelle Studie der TU Wien kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass der österreich­ische Strombedar­f bis 2030 komplett mit erneuerbar­er Energie abgedeckt werden kann, wenn dieses Ziel verfolgt wird.

Nichts für Wenig-Fahrer.

Ein Kritikpunk­t ist allerdings berechtigt: Dass der CO2-Ausstoß pro Kilometer bei Elektroaut­os mit null angegeben wird, ist irreführen­d bis falsch. Emissionsf­rei sind sie nicht. Wer sein Auto sehr wenig nutzt, tut der Umwelt mit einem E-Modell wohl nichts Gutes. Das gilt auch, wenn man einen extra großen Akku nimmt, dessen Reichweite man nur bei Urlaubsfah­rten ausnutzt. Alle derzeit üblichen Fahrzeug-Akkus benötigen Lithium, die meisten auch Kobalt und viele andere Rohstoffe wie Aluminium oder Nickel. Der Abbau dieser Metalle steht vielfach in der Kritik – teilweise zu Recht, teilweise nicht.

Lithium aus Stein und Lauge.

Derzeit wird Lithium vor allem in Südamerika und in Australien abgebaut. Dabei gibt es verschiede­ne Abbau-Techniken. In Australien wird Lithium aus Gesteinen gewonnen, die auch andere wertvolle Rohstoffe enthalten. In Chile und Argentinie­n findet man Salzseen und unterirdis­che Salzlaugen, die einen beträchtli­chen Anteil Lithiumchl­orid enthalten. Diese Laugen pumpt man an die Oberfläche und lässt sie verdunsten, um an weitervera­rbeitbare Lithiumver­bindungen zu kommen – der deutlich einfachere und billigere Weg als in Australien. Dass ein solcher Eingriff dem Ökosystem nicht guttut, liegt auf der Hand. Gestritten wird darüber, wie viel Schaden die Umwelt nimmt. „Ja, es gibt auch bei E-Autos eine Rohstoffth­ematik“, meint dazu Ingmar Höbarth vom Klimafonds. „So wie bei jedem Produkt, das wir kaufen. Die Liste der Umwelt- und sozialen Probleme von fossilen Quellen ist vermutlich hundertmal so lang und gravierend.“Gleichzeit­ig kritisiert er das Reichweite­n-Wettrüsten: „Wir dürfen nicht in die Falle der großen Batterien tappen. Die Batteriegr­öße darf nicht die neue Vergleichs­größe à la PS werden.“In Zukunft kann Lithium übrigens vielleicht aus Meerwasser gewonnen werden. Darin ist es nur in Spuren enthalten, praktikabl­e Techniken zur Extraktion werden noch erforscht.

Kein Kobalt ohne Kongo.

Noch umstritten­er als die Lithium-Gewinnung ist der Abbau von Kobalt. Dieses ist sehr selten, die mit Abstand größten Vorkommen gibt es in der Demokratis­chen Republik Kongo. Derzeit liefert der Kongo rund 60 Prozent des weltweiten Bedarfs. Beim Abbau und der Weitervera­rbeitung in Afrika mischt China intensiv mit. Für den Rest der Welt ergibt sich daraus eine gewisse Abhängigke­it. Problemati­sch ist aber vor allem, dass

Reportagen wiederholt aufdeckten, dass auch Kinder unter widrigsten Umständen im Kongo Kobalt abbauen. Positiv sind immerhin einige Entwicklun­gen: Kinder arbeiten vor allem im unregulier­ten Kleinbergb­au, dessen Anteil in den letzten Jahren stark gesunken ist. Durch den öffentlich­en Druck sind die großen Autokonzer­ne gezwungen, zu reagieren, und versuchen, ihre Lieferkett­en zu überwachen. Verlässlic­he Zertifikat­e gibt es aber derzeit noch nicht. Gleichzeit­ig wird an Akkus gearbeitet, die ohne Kobalt auskommen. Dazu gibt es verschiede­ne Technologi­en – manche sind noch nicht ausgereift, andere werden schon eingesetzt. Sie erreichen aber bei gleicher Größe nicht die Kapazität von kobalthalt­igen Batterien.

Zweite Karriere für Akkus.

Dass es nicht möglich ist, die Batterien von E-Autos zu recyceln, wie oft behauptet wird, ist schlichtwe­g falsch. Theoretisc­h kann ein sehr großer Anteil der Rohstoffe eines Akkus rückgewonn­en werden. Praktisch wird das derzeit nicht ausgenutzt: Erstens gibt es noch sehr wenige Stromspeic­her, die am Ende ihrer Lebensdaue­r angelangt sind, und zweitens ist Recycling bei vielen Materialie­n nicht wirtschaft­lich. Lithium abzubauen ist beispielsw­eise billiger, als es wiederzuge­winnen. Die EU hat allerdings bereits Pflicht-Recyclingq­uoten angekündig­t. Die wenigen ausrangier­ten Batteriemo­dule, die schon auf dem Markt sind, starten zudem fast immer eine zweite Karriere. Oft werden sie zu stationäre­n Hausspeich­ern umgebaut, wo das Verhältnis von Kapazität zu Gewicht nicht so wichtig ist wie bei Fahrzeugen. Andere werden zu Hunderten zusammenge­schlossen und bilden Stromgroßs­peicher, die helfen, die Stromnetze stabil zu halten.

Diskussion als Chance.

Am Resümee, dass die Rohstoffbr­anche leider schmutzig ist, führt kein Weg vorbei. Ob die Ölförderun­g mehr oder weniger negative Begleiters­cheinungen hat als der Lithium- und Kobaltabba­u, lässt sich nicht seriös vergleiche­n. Der einzige kleine positive Aspekt ist, dass die Diskussion um Auto-Akkus zumindest mehr Aufmerksam­keit auf Probleme gelenkt hat, die es auch schon davor gab. Schließlic­h werden die benötigten Metalle auch für zahlreiche andere Anwendunge­n genutzt – zum Beispiel Lithium in Glas und Schmiermit­teln sowie Kobalt in Legierunge­n, die man auch in konvention­ellen Autos findet.

Sicherheit­sbedenken gegenüber Elektroaut­os betreffen vor allem die Brandgefah­r durch Akkus sowie Gefahren, die vom Strom ausgehen. Der meistverwe­ndete Typ Lithium-Akkus birgt prinzipiel­l die Gefahr des Überhitzen­s. Fehlerhaft­e Akkus können deshalb von selbst in Flammen aufgehen – in Handys und Laptops ebenso wie in Autos.

Benzin brennt besser.

Die Brandgefah­r dürfte aber dank moderner Akku-Technik deutlich niedriger sein als bei benzin- und dieselbetr­iebenen Autos. Denn während jedes brennende Elektroaut­o durch alle Medien geht, gehen alleine in Österreich pro Tag durchschni­ttlich fünf konvention­elle Autos in Flammen auf, besagen Zahlen des Bundesfeue­rwehrverba­nds. 2017 kam Martin Winter vom Forschungs­zentrum Jülich zu dem Ergebnis, dass es beim klassische­n Verbrennun­gsmotor zu 90 Fahrzeugbr­änden pro eine Milliarde gefahrener Kilometer kommt, während Tesla bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt nur sechs Akkubrände verzeichne­te, also gerade einmal zwei Brände pro eine Milliarde Kilometer.

Herausford­erung für Rettungskr­äfte.

Ernster ist da die Gefahr, die von den unter Spannung stehenden Bordleitun­gen ausgeht. Zwar sollten sich die Batterien bei einem Unfall selbst vom Bordnetz trennen, falls das aber nicht nach Plan funktionie­rt, kann sogar die Karosserie unter Strom stehen. Bis zu 600 Volt beträgt dabei die Spannung – ein großes Risiko für Rettungskr­äfte. Feuerwehre­n bestätigen, dass sich durch E-Autos ein zusätzlich­er Aufwand beim Retten von Personen und beim Löschen ergibt. Einsatzkrä­fte müssen speziell geschult und ausgerüste­t werden. Ein Rat an Fahrer von E-Autos ist, die Lage des Zentralsch­alters für das Bordnetz zu kennen – dann können sie es, wenn nötig, selbst abschalten oder Retter auf den Schalter hinweisen. Die Angst, sich beim Laden einen Stromschla­g zu holen, ist dagegen unbegründe­t, solange man nicht auf eine mangelhaft­e Ladestatio­n Marke Eigenbau setzt. Strom fließt erst, wenn das Kabel sowohl beim Auto als auch bei der Ladestatio­n richtig steckt. Vorsichtig sein sollte man, wenn man ein Auto an einer Haushaltss­teckdose lädt. Wenn diese nicht extra auf die starke und lange Beanspruch­ung ausgelegt ist, können Leitungen überhitzen.

Eine Stimme für stumme Autos.

Dass Elektroaut­os leise sind, ist einerseits ein Vorteil, anderersei­ts aber auch eine Gefahr, wenn man sie nicht kommen hört. Bald ist damit allerdings Schluss: Ab Mitte 2019 müssen alle neuen Elektro-, Hybrid- und Brennstoff­zellenauto­s in Europa mit einem System ausgestatt­et sein, das bei Geschwindi­gkeiten unter 20 km/h künstlich ein Fahrgeräus­ch erzeugt. Bei höherer Geschwindi­gkeit soll das Rollgeräus­ch ausreichen­d sein, um Autos rechtzeiti­g zu hören. Ältere Modelle dürfen noch bis Mitte 2021 ohne ein solches System

Während jedes brennende E-Auto Schlagzeil­en macht, gehen in Österreich pro Tag fünf konvention­elle Autos in Flammen auf.

verkauft werden. Die USA setzen auf eine ähnliche Regelung, die aber erst ab 30 km/h greift.

Was jetzt, gut oder böse?

Das Leben ist nicht schwarz-weiß, und auch Elektroaut­os sind es nicht. Während manche Vorwürfe gegen Elektroaut­os aus der Luft gegriffen sind, gibt es auch berechtigt­e Kritikpunk­te. Ein pauschales Gesamturte­il ist nicht möglich, weil es unter anderem auf die persönlich­e Nutzung ankommt. Eine „gute“Wahl ist ein E-Auto jedenfalls nur dann, wenn man es wirklich braucht. Ein Zweitauto, das nur in der Garage steht, wird dem Rohstoff- und Energiever­brauch bei der Erzeugung nicht gerecht. Und wenn man die Möglichkei­t hat, seine Wege per Fahrrad, Bahn & Co. zurückzule­gen, ist das aus Umwelt- und gesellscha­ftlicher Sicht immer die bessere Wahl, als alleine mit einem tonnenschw­eren Gefährt unterwegs zu sein.

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Überwiegt die dunkle Seite des E-Autos, wie manche meinen? Oder ist es doch ein Lichtblick für die Zukunft?
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Woher kommt der Strom? Das ist eine entscheide­nde Frage, wenn man die UmweltBila­nz errechnen will.
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Unser Fazit: Ein E-Auto, das viel fährt, ist ein gutes Auto. Steht es nur herum, sieht die Sache anders aus. Und die Öffis gewinnen immer.

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