Was Wasserstoff kann
Vom Auto bis zum Flugzeug: Wo wird die Brennstoffzelle dem Akku-Antrieb Konkurrenz machen?
Wird sich Wasserstoff oder die Batterie durchsetzen? An dieser Frage entzünden sich oft hitzige Diskussionen. Eine richtige Antwort gibt es nicht – weil schon die Frage falsch ist. Es ist kein Entweder-oder, sondern beide Technologien werden in der Mobilität von morgen eine wichtige Rolle als Energiespeicher spielen. Bei manchen Fahrzeugen ist der Akku klar im Vorteil, bei anderen die Brennstoffzelle, und bei einigen kann man noch schwer abschätzen, wer das Rennen machen wird. Sicher ist allerdings, dass dem Wasserstoff auch außerhalb von Verkehrsmitteln eine große Zukunft blüht. Aber alles der Reihe nach …
Brennstoffzelle oder Verbrennungsmotor?
Prinzipiell gibt es zwei Wege, Wasserstoff energetisch zu nutzen: Man kann mit ihm einen Verbrennungsmotor befeuern, wie mit Benzin, Diesel oder Erdgas. Oder man betreibt mit ihm eine Brennstoffzelle. Die funktioniert schematisch so: An einer Elektrode wird Sauerstoff zugeführt, an der anderen Wasserstoff. Dazwischen liegt eine Schicht, die nur Wasserstoff-Ionen durchlässt. Der Wasserstoff vereinigt sich hinter dieser Schicht mit dem Sauerstoff zu Wasser. Dabei entsteht zwischen den beiden Elektroden Spannung und elektrischer Strom fließt. Der wiederum kann dann einen direkt angeschlossenen Elektromotor antreiben – auch Brennstoffzellenautos sind also Elektroautos. „In den meisten Anwendungen ist die Brennstoffzelle der Verbrennung überlegen“, erläutert Alexander Trattner, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des einzigen Wasserstoff-Forschungszentrums Österreichs. Das HyCentA – kurz für Hydrogen Center Austria – der TU Graz beschäftigt sich seit ca. 15 Jahren mit verschiedenen Anwendungen, darunter etwa auch Speicherung und Tanktechnologien. „Die Brennstoffzelle hat den Vorteil, dass sie kein Geräusch verursacht und eine ,elektrische‘ Fahrweise ermöglicht, also ein sehr gutes Drehmoment von Beginn an“, sagt Trattner. „Vor allem aber hat sie einen höheren Wirkungsgrad als Verbrennungsmotoren.“Anders verhalte sich die Sache nur in Großmotoren, etwa in der Industrie oder in Kraftwerken: „Großmotoren mit mehreren Megawatt Leistung arbeiten sehr effizient und kommen daher den Wirkungsgraden der Brennstoffzellen sehr nahe.“
Extremer Druck zur Speicherung.
Da Wasserstoff ein sehr leichtes Gas mit einer geringen Energiedichte ist, muss man ihn zum Speichern stark komprimieren. „Die größte Energiedichte erzielt man, wenn man Wasserstoff flüssig speichert“, erklärt Trattner. „Das ist allerdings technisch sehr aufwändig und wird nur in Nischen gemacht, zum Beispiel für Raketentreibstoff und in Industrien, wo man sehr reinen Wasserstoff benötigt.“Bei Fahrzeugen setzt man dagegen auf Druckgasspeicherung. An Wasserstoff-Tankstellen wird das Gas in die Fahrzeugtanks übertragen – dabei sind 700 bar Druck für Pkws üblich. Solche Tankstellen sind allerdings aktuell rar, in Österreich gibt es nur eine Handvoll davon.
Explosiv statt umweltschädlich.
Der extreme Druck in Kombination mit der Brennbarkeit des Wasserstoffs – Stichwort Hindenburg – wirft natürlich auch Sicherheitsfragen auf. Erst dieses Jahr, am Pfingstmontag, explodierte in Norwegen eine Wasserstoff-Tankstelle. Den HyCentA-Leiter versetzt das nicht in Panik: „Die Explosionsgefahr kann mit hochentwickelten Ventilen gut vermieden werden.“An dem Unglück in Norwegen sei ein Montagefehler in Kombination mit einer veralteten Technologie schuld gewesen. „Wasserstoff ist nicht unsicherer als andere Kraftstoffe, er birgt nur andere Gefahren. Wenn Benzin und Diesel nicht schon da wären, würden sie heute wohl keine Zulassung bekommen – die sind nicht nur leicht entzündlich, sondern im Gegensatz zu Wasserstoff auch krebserregend und wasserschädigend.“Auch die Hochdrucktanks in Wasserstofffahrzeugen seien sicher, sagt Trattner: „Für die gibt es anspruchsvolle Zulassungstests wie Brandtests, Falltests und Beschusstests und sie werden unter extremen Temperaturen geprüft.“
Streitfrage Effizienz.
Die wohl größte Schwachstelle Brennstoffzellen-betriebener Fahrzeuge liegt woanders: nämlich in der Brennstoffzelle selbst, bei der Umwandlung von Wasserstoff in Strom. „Praktisch liegt der Wirkungsgrad beim Typ PEM-Brennstoffzelle bei 50 bis 60 Prozent. Theoretisch sind 83 Prozent erzielbar“, erläutert Trattner. „Auch bei der Elektrolyse lässt sich die Effizienz noch verbessern. Die Grundlagen sind gut erforscht, aber wir sind noch weit von der Optimierung entfernt.“ Manfred Schrödl, Professor am Institut für Energiesysteme und elektrische Antriebe der TU Wien, kommt bei der Analyse der aktuellen Energieketten von der Stromquelle bis zum Fahrzeug-Rad zum Schluss: „Die Energiebilanz eines direkten
Elektroantriebs ist um den Faktor zwei bis drei besser.“Neben dem Wirkungsgrad der Brennstoffzelle schlagen sich vor allem die Energieverluste bei Produktion, Speicherung und Distribution von Wasserstoff in der Bilanz nieder. Der VCÖ publiziert ähnliche Zahlen, während in Trattners Berechnungen das Batteriefahrzeug nicht zwingend besser abschneidet (siehe Grafik). Ein weiterer großer Pluspunkt batterieelektrischer Systeme ist für Schrödl die deutlich geringere Komplexität. „Das ist immer ein Vorteil, auch wenn Sie die natürliche Selektion ansehen. Die konsolidierte Ausfallswahrscheinlichkeit der Komponenten ergibt automatisch, dass ein Brennstoffzellen-Fahrzeug wartungsintensiver ist.“
Im Privatauto gewinnt die Batterie. Schrödl und Trattner kennen einander von Berufs wegen gut. Beide sehen Akkus und Brennstoffzellen nicht als Konkurrenz, sondern als sinnvolle Ergänzung zueinander. Aber die Prognosen der Forscher, wo sich welche Technologie durchsetzen wird, sind nicht ganz deckungsgleich. Keine Differenzen gibt es allerdings beim Privat-PKW – da ist auch Trattner der Meinung, dass „die Batterie die dominante Rolle spielen wird“. Je größer das Fahrzeug, je schwerer die Ladung und je länger die Strecke, desto besser schneidet Wasserstoff ab. „Ein Privatauto wird in Europa aber durchschnittlich nur eine Stunde pro Tag und für 50 Kilometer genutzt“, sagt Trattner – da kann die Brennstoffzelle ihre Vorteile nicht ausspielen. Auch der Kostenfaktor spielt wohl eine Rolle. Ein Brennstoffzellen-System mit Drucktank ist nicht gerade billig: Der Toyota Mirai und der Hyundai ix35 FCEV, die einzigen beiden derzeit in Österreich erhältlichen Modelle, starten jeweils bei knapp 80.000 Euro. Wenn höhere Stückzahlen produziert werden, könnte der Preis künftig noch sinken. Preislich konkurrenzfähig können Brennstoffzellenautos aber nur bei großen Modellen mit hoher Reichweite werden, erwartet Trattner – mit einem kompakten Stadtauto mit kleinem Akku kann die Technologie ökonomisch nicht mithalten.
Duell von LKW und Bus. Bei größeren Fahrzeugen sieht Trattner die Brennstoffzelle klar überlegen: „Bei Bussen sehen wir den höchsten Technologiereifegrad. Ein moderner Stadtbus mit Brennstoffzelle hat so gut wie denselben Energieverbrauch wie Batteriefahrzeuge.“In Österreich wurde ein Wasserstoffbus bereits getestet: Die ÖBB setzten einen solchen im Herbst 2018 drei Wochen lang probeweise ein und waren mit dem Ergebnis zufrieden. Auch im Schwerverkehr sei Wasserstoff durch die höhere Energiedichte Akkus überlegen, meint Trattner: „Weil man durch schwere Batterien so viel Zuladung verliert, ist der Energieverbrauch pro Tonnenkilometer bei Brennstoffzellen-Lkws sogar niedriger.“Schrödl argumentiert hier ähnlich, aber zurückhaltender: „Es muss einen Schnittpunkt geben, ab dem das zusätzliche Gewicht eines großen Akkus mehr kostet, als der Akku durch Effizienz bringt.“Eine Prognose möchte er noch nicht abgeben, welche Technologie sich bei Bussen und Lkws durchsetzt: „Jedes Fahrzeug lässt sich in einer Stunde zu 80 Prozent laden, auch ein Lkw. Es ist auch kein Problem, mit 3 Megawatt zu laden bei einer so großen Batterie.“Er werde gespannt ein kommendes Duell beobachten: Der E-Auto-Platzhirsch Tesla hat einen Batterie-Truck angekündigt, während mit Nikola Motors ein unbekannter Herausforderer mit Wasserstoff-Lkws an den Start geht.
Wasserstoff-Zug: Eine Frage der Reichweite.
Ähnlich verhält sich die Sache bei der Bahn, mit einem entscheidenden Unterschied: Auf elektrifizierten Strecken braucht man weder Akku noch Wasserstoff. Auf anderen Strecken kommt es vor allem auf die benötigte Reichweite an, welche Technologie die Nase vorn hat. In Niedersachsen ist seit einigen Monaten der weltweit erste Wasserstoff-Zug im Linienbetrieb unterwegs. Mit einer Reichweite von 1.000 Kilometern ist er den ganzen Tag einsatzfähig. Und im Zillertal wird 2022 die weltweit erste Schmalspurbahn mit Brennstoffzellen in Betrieb gehen. Erste Tests der ÖBB mit einem Batteriefahrzeug verliefen ebenfalls zufriedenstellend: Der Zug hat zwar nur 80 Kilometer Reichweite, „aber das ist genug, um die meisten Nebenbahnen zu bedienen“, führt Manfred Schrödl aus. Denn sobald man ins Oberleitungs-Netz kommt, ist die Reichweite ja kein Thema mehr.
Zu Wasser und in der Luft. Ganz auf den Einsatzbereich kommt es auch bei Schiffen an. Wie bei Autos ist auch hier Norwegen Vorreiter bei alternativen Antrieben: Einige Fähren und Ausflugsschiffe sind bereits mit Batterie auf kurzen Strecken oder Wasserstoff für Distanzen von einigen Hundert Kilometern unterwegs. „Für Frachter und andere große Schiffe, die lange Distanzen überwinden müssen, zeichnen sich langfristig eher synthetische Kraftstoffe als saubere Lösung ab“, prognostiziert Trattner. Das liege an der höheren Energiedichte gegenüber Wasserstoff. Für Schrödl ist „grünes“flüssiges Methan ein realistisches Szenario – es lässt sich aus Wasserstoff und Ökostrom herstellen und leicht speichern. „Wichtig ist in der Schifffahrt aber zunächst einmal, möglichst schnell von Schweröl auf Methan aus Erdgas zu wechseln“, skizziert er einen näher liegenden nächsten Schritt. Beim Fliegen spielt das Gewicht naturgemäß eine noch größere Rolle. Auch hier gibt es zahlreiche Versuche mit Batterien (siehe Seite 16), und in Deutschland wurde mit dem Modell HY4 bereits ein viersitziges Flugzeug mit Brennstoffzellen entwickelt. Doch ob sich diese beiden Technologien bei Großraumjets je gegenüber fossilen oder synthetischen Kraftstoffen durchsetzen werden, muss man schwer anzweifeln. „Wahrscheinlich wird der letzte Tropfen Öl, der auf dieser Erde gefördert wird, in einem Flugzeugtriebwerk verbrannt werden“, prognostizierte kürzlich Alexis von Hoensbroech, CEO der Austrian Airlines, in einem Interview.
„Fragen Sie nicht nur nach dem Wirkungsgrad!“ Alexander Trattner
Für mobile Maschinen. Vielversprechende Einsatzgebiete abseits des Verkehrs gibt es für Brennstoffzellen überall dort, wo Akkus zu groß wären oder es an Lademöglichkeiten mangelt. „Wasserstoff-Stapler sind in den USA ein riesiger Markt“, schildert HyCentA-Leiter Trattner, „weil dort viele Betriebe im 3-Schicht-Betrieb fahren und es keine Stehzeiten zum Laden gibt.“Auch bei Land- und Baumaschinen sieht er großes Potenzial, ebenfalls für Geräte im Bergbau. Bei Kommunalfahrzeugen, also etwa Müllabfuhr oder Kehrmaschinen, wird es stark auf die gefragte Kilometerleistung pro Tag ankommen, welche Technologie besser abschneidet.
Woher kommt der Wasserstoff? In der Theorie ist Wasserstoff ein grüner Energieträger, wenn er mittels Elektrolyse und Ökostrom hergestellt wird. In der Praxis dagegen gewinnt man ihn bisher vorwiegend aus Erdgas – das ist günstiger – und mit „schmutzigem“Strom. „Derzeit stehen wir fast bei Faktor drei bei den Kosten“, berichtet Alexander Trattner. Die Kostenschere gehe aber zu – und auch aus ökologischen Überlegungen werde sich die Produktion rasch Richtung Elektrolyse verschieben, ist er überzeugt. Die Entwicklung wirtschaftlicher Elektrolyseure sieht auch Schrödl ganz oben auf der Prioritätenliste in der Forschung. Für beide Wissenschaftler steht fest: Unser künftiges Energiesystem darf nur auf Grünstrom und „grünem“Wasserstoff basieren.
„Sauberer Alleskönner“Wasserstoff wird nämlich auch fernab jedes Fahrzeugs eine zentrale Rolle in der Wirtschaft spielen, sind sowohl Trattner als auch Schrödl überzeugt. Die chemische Industrie und auch die energieintensive Stahlindustrie können mit grünem Wasserstoff „dekarbonisiert“werden. „Wasserstoff ist ein sauberer Alleskönner“, sagt Trattner. „Er ermöglicht als Speichermedium auch die Bewirtschaftung der erneuerbaren Stromerzeugung – nicht nur für den Ausgleich von Spitzen im Stromnetz, sondern ebenso als Langzeitspeicher. Es wird Wasserstoffpipelines geben und man wird stillgelegte Erdgasfelder als riesige Untergrund-Speicher nutzen“, prognostiziert der HyCentA-Leiter. Schrödl von der TU Wien sieht das ähnlich. „In Deutschland hätten sie alleine mit dem Überschussstrom letztes Jahr 800.000 Wasserstoff-Fahrzeuge betreiben können“, sagt Trattner. Schrödl ist mit dieser Nutzung allerdings nicht einverstanden: „Verwenden wir den aus Überschussstrom gewonnenen Wasserstoff lieber für die Rückverstromung im Kraftwerk, dann können wir die Abwärme für Fernwärme nutzen. Und mit dem erzeugten Strom kommt man im Auto immer noch etwa genauso weit, wie wenn man mit Brennstoffzelle fahren würde.“Ein möglicher Pfad, den Schrödl skizziert, beginnt bei einem Windrad im Marchfeld: Der überschüssige Strom wird zur Elektrolyse genutzt, der Wasserstoff in der Kaverne in Aderklaa gespeichert und später bei Bedarf im Kraftwerk Donaustadt wieder zu Strom umgewandelt.
Treibstoff der Zukunft. Die Conclusio aus all diesen Betrachtungen: Wasserstoff ist vielleicht nicht der Treibstoff der Zukunft, aber mit Sicherheit ein Treibstoff der Zukunft. Wie groß seine Rolle wirklich wird und wie rasch er sie einnimmt, wird auch wesentlich von technologischen Fortschritten abhängen. Zum Beispiel bei der „Photo-Elektrolyse“, die unter anderem an der Uni Linz erforscht wird. Dabei geht es darum, ähnlich wie mit Photovoltaik, Energie aus Sonnenlicht zu gewinnen, aber statt Strom erhält man diese Energie in Form von Wasserstoff. Ein natürliches Vorbild sind Grünalgen, die bei der Photosynthese Wasserstoff produzieren. Einige Argumente, die für Wasserstoff ins Spiel gebracht werden, lässt Manfred Schrödl von der TU Wien nicht gelten. Zum Beispiel die Aussage, dass die Brennstoffzelle in kalten Umgebungen Akkus überlegen sei: „Moderne Akkus haben eine thermische Regulierung eingebaut, die sie auf die passende Arbeitstemperatur bringt. Die Umgebungstemperatur ist da kein Problem.“Unbestritten ist dagegen, dass Brennstoffzellen verhältnismäßig wenig Rohstoffe benötigen. „Die einzige seltene Ressource, die benötigt wird, ist Platin“, erläutert Alexander Trattner, „und auch davon nicht mehr als bei einem Benzinkatalysator. Ansonsten benötigt man vor allem Edelstahl und ganz wenig Plastik. Die Drucktanks bestehen hauptsächlich aus Kohlefaser.“Trattners Plädoyer: „Fragen Sie nicht nur nach dem Wirkungsgrad. Wenn man den Lebenszyklus betrachtet, werden zum Beispiel aufgrund des geringeren Gewichts und der energiesparenden Produktion Brennstoffzellen-Antriebe in vielen Anwendungsfällen die bessere CO2-Bilanz bieten.“Beim Pkw dürfte die Batterie in den meisten Fällen auch weiterhin die überlegene Technologie bleiben – aber man sollte nicht übersehen, was Wasserstoff alles kann.