Elektrisch fliegen – Lufttaxis und mehr
Weltweit rittern rund 75 Unternehmen um die Lufthoheit bei elektrischen Fluggeräten. Die Prototypen fliegen schon, jetzt müssen sie ihre Alltagstauglichkeit beweisen.
2025 könnten bereits 3.000 Lufttaxis über die Dächer zischen.
Jedes zweite neu zugelassene Auto in Norwegen fährt mit Batterie- oder Hybridantrieb. Dem norwegischen Staat reicht das noch lange nicht – bis 2025 sollen nur noch E-Autos zugelassen werden. Und bis 2040, so die Vorstellung des staatlichen Flughafenbetreibers Avinor, soll es in Norwegen auch nur mehr elektrische Inlandsflüge geben dürfen.
Ein ambitionierter Plan, an dem aber bereits mit Hochdruck gearbeitet wird: Im Juni testete Avinor ein Elektroflugzeug – mit mageren zwei Sitzen. Denn bevor die großen Jumbo-Jets ohne Kerosin in die Lüfte steigen werden, müssen die Flugzeugbauer vorerst kleine Brötchen backen. Zwar sollen nach Schätzungen von Boeing, Siemens und Airbus im Laufe des kommenden Jahrzehnts bereits Maschinen für bis zu 70 Passagiere elektrisch betrieben werden können. Aber derzeit lassen die technischen Möglichkeiten und vor allem die Batteriekapazitäten gerade mal eine Handvoll Reisende in die Lüfte steigen.
Wird grünes Gas gewinnen? Ob Großraumjets jemals mit Elektromotor fliegen werden, ist allerdings zweifelhaft: Selbst wenn die Energiedichte von Akkus deutlich verbessert wird, werden diese nicht annähernd die Werte von Verbrennungskraftstoffen erreichen. CO2-neutral kann die Luftfahrtbranche dennoch werden, allerdings auf anderem Weg: Als wahrscheinlichstes Szenario gilt momentan, dass synthetische Kraftstoffe das Rennen machen werden. Zum Beispiel kann man aus Wasser, Kohlendioxid und Ökostrom „grünes Methan“herstellen, aber auch mit Mikroorganismen könnten künftig Kraftstoffe gewonnen werden.
Derzeit elektrisiert das autonome Lufttaxi die Branche wie kein anderes zukunftsträchtiges Transportmittel. Mehr als 75 Unternehmen haben sich weltweit in das Rennen um das lukrative Mobilitätskonzept geworfen, immerhin könnten laut Studie der Unternehmensberatung Roland Berger 2025 bereits 3.000 Lufttaxis über die Dächer zischen, im Jahr 2050 bereits 100.000. Es herrscht Goldgräberstimmung bei den Investoren, die Milliarden locker machen – für Start-ups, aber auch für die Projekte der großen Flugzeugbauer. Einige davon verdienen besondere Aufmerksamkeit:
Chinesischer Vogel mit Innviertler
Flügeln. „EHang“ist der Name des weltweit ersten Lufttaxis, das elektrisch angetrieben sowohl senkrecht starten als auch landen kann. Die Passagierdrohne EHang 184 wurde erstmals 2016 in Las Vegas vorgestellt, mittlerweile hat das chinesische Technologieunternehmen mit Sitz in Guangzhou im Süden Chinas einen österreichischen Partner an Bord geholt. Der Innviertler Flugzeugzulieferer FACC schloss im November 2018 eine Kooperationsvereinbarung mit EHang ab, um die autonomen Luftfahrzeuge zu optimieren und zur Serienreife zu bringen. Seitdem ist einiges weitergegangen: Das Nachfolgemodell EHang 216 hob heuer im April über dem Stadion der Wiener Austria ab, allerdings nur für einen kurzen Medienauftritt.
Dabei wurden aber zumindest ein paar technische Daten bekannt – das Lufttaxi wiegt schlanke 360 Kilo, bringt es auf eine Geschwindigkeit von 130 km/h und kann bis zu 30 Minuten in der Luft bleiben. Zwei Personen finden darin Platz, die Nutzlast beträgt maximal 260 Kilogramm. „Wir haben die Überarbeitung des Vorserienmodells abgeschlossen. Dabei konnten wir 20 Kilo Gewicht einsparen, das Flugtaxi auf westliche Luftfahrtstandards bringen und das Produkt für die Serienfertigung optimieren“, sagt Andreas Perotti, Kommunikationschef bei FACC. Ein 80-köpfiges Team hat zusätzlich eine Produktionsstraße in St. Martin im Innkreis errichtet, in der die „mehreren Tausend Vorbestellungen“abgearbeitet werden sollen. „Unser Ziel ist, bis Ende 2020 die ersten 300 Stück vom Band rollen zu lassen“, sagt Perotti. Stückpreis: 300.000 Euro.
Der fliegende Teufelsrochen. 300 Kilometer in 60 Minuten zurücklegen – dafür müsste die Straße schon schnurgerade, der fahrbare Untersatz ein heißer Bolide sein. Und ziemlich heiß sieht es tatsächlich aus, das Luftfahrzeug, das dieses Transportkunststück möglich machen soll: Der Lilium Jet, ein fünfsitziges Lufttaxi, ist von Flügelspitze zu Flügelspitze durchdesignt. Inspiriert von den eleganten Kurven eines Teufelsrochens hat der Jet ein auffallend organisches Äußeres. Das Innere ist es aber, das die Kiste in die Lüfte bringt: 36 elektrisch angetriebene Mantelpropeller, die in den Flügeln verbaut sind, ermöglichen einen Senkrechtstart. In der Luft drehen sich
die Flügel dann um 90 Grad und sorgen mit den Propellern für den Schub. Diese Flexibilität erlaubt damit Start- und Landemanöver im engen urbanen Raum, erhöht im Flug aber auch gleichzeitig die Reichweite des batteriebetriebenen Jets. Erdacht wurde er in Bayern, unweit von München, von Absolventen der dortigen Technischen Universität. Das Studentenprojekt hat über 100 Millionen US-Dollar Kapital eingesammelt, 2025 ist der kommerzielle Einsatz geplant.
Hallo, Flugtaxi! Für die Schaulustigen im Hafen Marina Bay kein alltäglicher Anblick: Da surrte ein drohnenartiges Flugobjekt an ihnen vorbei, zwar nur für zwei Minuten, aber doch. Der Testflug des Volocopter 2X in der Millionenmetropole Singapur stellte Ende Oktober auch öffentlich unter Beweis, dass kommerzielle Lufttaxi-Flüge wohl nicht mehr allzuferne Zukunftsmusik sind. In 40 Meter Höhe legte das mit einem Piloten bemannte Fluggerät eine Strecke von eineinhalb Kilometern zurück. Schon 2011 konnten die beiden deutschen Ingenieure Stephan Wolf und Alexander Zosel ihre Idee eines bemannten Multicopters mit Elektroantrieb in die Tat umsetzen, mittlerweile hat ihr Unternehmen 150 Mitarbeiter in BadenWürttemberg, München und Singapur. Volocopters Ziel ist es, auf nachhaltige Weise erschwingliche Flugtaxi-Services in den Megastädten zu etablieren. 2021 sollen in Singapur die ersten kommerziellen Flüge starten.
Die Großen wollen auch. Während es vor allem die kleinen Start-ups sind, die mit Testflügen und der Vorstellung neuer Konzepte die größte Aufmerksamkeit genießen, werkeln im Hintergrund ohne viel Aufhebens die großen Flugzeughersteller an ihren eigenen autonomen Elektrofliegern. Bei Airbus heißt das Projekt „Vahana“, eine einsitzige, vollelektrische Flugdrohne, die laut Hersteller bereits über 80 erfolgreiche Testflüge auf dem Buckel hat. Die 38 Kilowattstunden fassende Batterie soll für eine Reichweite von 50 Kilometern auslangen, die Maximalgeschwindigkeit soll 220 km/h erreichen. Ähnlich wie der Lilium Jet setzt Vahana auf drehbare Flügel für den Senkrechtstart. Ganz am Anfang noch steht der amerikanische Airbus-Konkurrent Boeing mit seinem Start in die Elektromobilität. Anfang Oktober kam die Meldung, dass sich der US-Luftfahrtriese mit Porsche zusammengetan hat, um das „fliegende E-Auto“zu bauen. Abgesehen von einem hübschen Rendering sind allerdings noch kaum Informationen über das Projekt bekannt. Vielleicht werden die beiden Platzhirsche aber auch überflügelt: Startups wie Wright Electric wollen zum Tesla der Lüfte werden. Das kalifornische Unternehmen konnte für seinen Plan, bis 2030 einen hundertsitzigen Elektrojet zu entwickeln, immerhin bereits Easyjet als Partner gewinnen.
2021 sollen in Singapur die ersten kommerziellen Lufttaxi-Flüge starten.