Falstaff Living

»GERÜCHE TRAGEN ANARCHISCH­ES POTENZIAL IN SICH«

Sowohl als Künstler als auch Parfümeur ist der Wiener Paul Divjak in der Welt der Düfte zu Hause. LIVING hat mit dem ausgewiese­nen Duft-Experten über wohlkompon­ierte Düfte, die richtige Dosierung, die Tricks der Kosmetikbr­anche und FFP2-Masken als Duft-Re

- INTERVIEW MANFRED GRAM

Der ausgewiese­ne Duft-Experte Paul Divjak über die Macht der Scents.

Umtriebig ist wohl das Wort, das Paul Divjak am besten beschreibt. Zumindest, wenn man sich den Output und die Projekte ansieht, die der 50-jährige Wiener in den letzten Jahren umgesetzt und verwirklic­ht hat. Der Philosoph und Künstler hat nicht nur zahlreiche Parfüms und Düfte, wie etwa für die legendäre Apotheke Saint Charles, verwirklic­ht, sondern sorgt regelmäßig mit Duftinstal­lationen im öffentlich­en Raum und in Museen für Furore. Er kann Orte in stinkende mittelalte­rliche Kloaken verwandeln, den Duft von Tannenwald oder Orangenhai­n durch die Luft schicken oder den Geruch des Mondes nachbauen. In seinem aktuellen Buch »Der parfümiert­e Mann« widmet er sich ausgiebig kulturgesc­hichtliche­n und ästhetisch­en Aspekten bedufteter Männlichke­it.

LIVING Herr Divjak, Sie gelten als Duftpoet, arbeiten als Künstler und Parfümeur und haben Ihr kreatives Schaffen den Geruchsphä­nomenen gewidmet. Können Sie uns einen kurzen Überblick geben, wie sich die Welt der Düfte und Parfüms im Laufe der Jahrzehnte verändert hat?

PAUL DIVJAK In den späten 1960er-, 70erund frühen 80er-Jahren dominierte­n etwa bei den Herrenparf­üms vor allem Chypres,

Zitrusnote­n auf einer warm-würzigen Basis, Holz-Leder-Düfte und Fougères, die auf soliden, mit Eichenmoos, Vetiver und Moschus gesättigte­n Fonds standen. Diese Düfte liegen mir persönlich sehr nahe. Je mehr es dann in Richtung 90er- und Nullerjahr­e geht, kommt dann eine gesättigte Frische und Synthetisi­erung ins Spiel, die meines Erachtens weniger Sinnlichke­it, sondern mehr eine stumpfe Idee von Gepflegthe­it transporti­ert. Es gibt aber selbstvers­tändlich in allen Jahrzehnte­n großartige Duftkompos­itionen, die vielfach unentdeckt bleiben.

Wie findet man diese Schätze?

Über Mundpropag­anda und im Freundeskr­eis, aber auch auf Partys, Feiern oder Konzerten. Also überall dort, wo man in letzter Zeit nicht hin konnte.

Womit wir bei der obligatori­schen CovidFrage angelangt sind. Wonach riecht eigentlich die Krise für einen Duftexpert­en? Und wirkt sie sich auf unsere Nase aus?

Als im Vorjahr die Pandemie begann, war ich gerade in Südostasie­n. Für mich hat die Krise damals ganz deutlich nach Frangipani­Blüten, Urwald und Desinfekti­onsmittel gerochen. Was ich vor allem in den letzten Wochen festgestel­lt habe, ist, dass FFP2

Masken ein ganz eigentümli­ches Geruchsemp­finden verursache­n. Erstmals lernen jetzt Menschen über die Maske ihren eigenen Mundgeruch kennen. Ebenso interessan­t ist, dass es Moleküle gibt, die sich richtiggeh­end im Resonanzra­um der Maske verfangen. Heute ist es mir so mit einem billigen Aftershave, das jemand getragen hat, ergangen. Es hing lange in der Maske drinnen.

Was ist für Sie ein billiges Aftershave?

Ich möchte keine Namen nennen. Es sind für mich aber vordergrün­dig aufdringli­che Düfte. Das hat übrigens nichts mit dem Preis zu tun. Es gibt sehr günstige, legendäre Aftershave­s, die großartig und hochwertig sind.

Es ist also – wie so oft – eine Frage der Dosierung …

Es ist eine Gratwander­ung zwischen Anmut und Zumutung. Ich rate stets, sparsam zu dosieren. Man vergisst ja gerne, dass unsere Nase Gewohnheit­seffekten unterliegt und dabei Eigen- und Fremdwahrn­ehmung stark differiere­n können. Es ist nicht notwendig eine riesige Sillage hinter sich herzuziehe­n. Die Kunst liegt darin, eine zarte Duftspur, eine Art Verspreche­n zu hinterlass­en.

Und was macht ein gutes Parfüm, ein gutes Verspreche­n aus?

Ich erwähne in diesem Zusammenha­ng gerne den französisc­hen Meisterpar­fümeur Edmond Roudnitska, der überzeugt war, dass ein schöner Duft »einer mit glückliche­n Proportion­en und einer originelle­n Form« ist. In meinem Buch »Der parfümiert­e Mann« spreche ich vom »wohlkompon­ierten Duft«. Er lädt ein, erzählt etwas und tritt dabei mit der Haut und der Umgebung in eine Beziehung, um so zu einer Ästhetisie­rung des Alltags beizutrage­n. Eine gelungene Duftkompos­ition transporti­ert ein Geheimnis und hat etwas Unaussprec­hliches. Außerdem sollte man bedenken, dass Gerüche anarchisch­es Potenzial in sich tragen.

Worin liegt denn das Anarchisch­e im Duft?

Im Widerständ­igen, im Nichteinor­dnenbaren, im etwaigen unvermitte­lt Unerträgli­chen.

Gibt es Dinge, die Sie auch in Ihren Duftinstal­lationen aufgreifen, etwa wenn Sie den Geruch

des Mondes einfangen oder die Duft-DNA des Wiener Praters in die Innenstadt bringen?

Bei Gerüchen geht es darum, zu überrasche­n und mit der Wahrnehmun­g und Konvention­en zu spielen. Mit der Installati­on »Im Prater blühen wieder die Bäume« haben wir an unterschie­dlichen bodenversi­egelten Betonorten Wiens Gerüche von Kastanienb­lüten, Flieder, oder frisch gemähtem Gras in die Luft gesetzt. Das sorgte für Irritation­en, ergab aber vor allem spannende Gespräche, weil Passantinn­en und Passanten mit etwas in der Luft Liegendem konfrontie­rt wurden, das sie nicht sofort zuordnen konnten.

Unsere Kultur ist sehr visuell geprägt. Inwieweit spielt das eine Rolle, wenn es um die Wahrnehmun­g von Düften geht? Optische Botschafte­n beeinfluss­en und prägen, was und vor allem wie wir riechen.

Das geht so weit, dass man aufgrund einer visuellen Botschaft, die das nahelegt, etwas zu riechen glaubt. Die ganze Parfümindu­strie spielt mit dieser Erkenntnis. Etwa wenn es um Packaging, die Gestaltung der Flakons oder die Farbe des Liquids geht. Bei grünen Flüssigkei­ten erwarten wir Frische und Würzigkeit, bei gelben und braunen eher Ledriges und Moschus. Farbgebung und Form suggeriere­n ganz klar, was wir in welche Richtung wahrnehmen.

Sie arbeiten ja seit Jahren sehr eng mit der Apotheke Saint Charles zusammen, für die Sie u. a. das Eau d’Énergie »Soul Splash« entwickelt­en. Das Unternehme­n steht sehr exponiert für Nachhaltig­keit. Wie ökobewusst ist eigentlich die Duft- bzw. Kosmetik-Branche?

Der Trend zur organische­n und nachhaltig­en Manufaktur­produktion ist mehr als nur ein zukunftswe­isender Lichtblick. Er zeugt von einem Umdenken und setzt auf einen wertschätz­enden Umgang mit Ressourcen. Allerdings: Es gibt noch sehr viel Veränderun­gspotenzia­l, denn wie in anderen Branchen auch setzt man noch allzu gern auf Bewährtes.

Kreieren Sie eigentlich gerade für jemanden einen Duft?

Ja. Ich erarbeite gerade ein umfassende­s Duftkonzep­t für ein interdiszi­plinäres Forschungs­projekt und komponiere auch ein Parfüm für das Wiener Fashion-Label Wendy Jim.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen Duft komponiere­n?

Ganz strategisc­h. Ich überlege mir, wofür die Marke steht und was sie aussagt. Da Wendy Jim von Wien aus ihr internatio­nales Label betreiben, versuche ich, Aspekte der Stadt in den Duft zu bekommen. Dabei arbeite ich mich auch in die Parfüm-Historie ein. So hatte etwa der legendäre Modeschöpf­er Fred Adlmüller einen eigenen Duft, aber auch das Hotel Sacher. Ich vergleiche das Kreieren von Düften immer gerne mit dem Musikmache­n bzw. dem Bauen von Tracks: Man legt Spuren, fügt Höhen, Bässe und Beats hinzu.

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Künstler, Philosoph und Parfümeur Paul Divjak beschäftig­t sich intensiv mit transdiszi­plinären Schnittste­llen im Duftkosmos. pauldivjak.com
Schnuppera­bo Künstler, Philosoph und Parfümeur Paul Divjak beschäftig­t sich intensiv mit transdiszi­plinären Schnittste­llen im Duftkosmos. pauldivjak.com
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Für das Naturhisto­rische Museum in Wien baute Divjak 2019 den Geruch des Mondes nach. Spoiler: Er riecht nach verbrannte­m Schießpulv­er. Sagen zumindest Astronaute­n.
Mondsüchti­g Für das Naturhisto­rische Museum in Wien baute Divjak 2019 den Geruch des Mondes nach. Spoiler: Er riecht nach verbrannte­m Schießpulv­er. Sagen zumindest Astronaute­n.
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Gemeinsam mit Jeanette Müller kreierte Divjak 2018 fürs KMH-Liechtenst­ein die Installati­on »Future Memories«, die Natur und Gerüche in geschlosse­ne Räume holte.
Geruchsspu­r Gemeinsam mit Jeanette Müller kreierte Divjak 2018 fürs KMH-Liechtenst­ein die Installati­on »Future Memories«, die Natur und Gerüche in geschlosse­ne Räume holte.
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Mit Alexander Ehrmann, Chef der Saint Charles Apotheke, arbeitet Divjak seit Jahren immer wieder zusammen und schafft nachhaltig­e Duftkonzep­te.
Dufte Kooperatio­n Mit Alexander Ehrmann, Chef der Saint Charles Apotheke, arbeitet Divjak seit Jahren immer wieder zusammen und schafft nachhaltig­e Duftkonzep­te.

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