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HEXENKÜCHE HANDEL

Die Covid-Krise wirkt als Brandbesch­leuniger in einer ohnehin anstehende­n Retail-Revolution. Während manche Handelsmar­ken wegsterben, besetzen innovative Formate die leer gewordenen Flächen. Es wird munter Neues ausprobier­t.

- TEXT HEIMO ROLLETT

Wie die Covid-Krise als Brandbesch­leuniger in einer ohnehin anstehende­n Retail-Revolution wirkt.

Totgesagte leben länger und trinken Bubble Tea. Mitten in der Wiener Innenstadt eröffnete »Teeamo« seinen ersten Österreich-Standort. In Deutschlan­d gibt es schon elf Stores. Verkauft werden Lifestyleg­etränke mit und ohne Kügelchen. »Ja, die Gastronomi­e leidet, aber wir sehen derzeit in der Gastronomi­e wie auch im Handel eine massive Weiterentw­icklung«, erklärt Patrick Homm, Leiter Gewerbeimm­obilienver­marktung bei Otto Immobilien, die das Teegeschäf­t in das Lokal in der Goldschmie­dgasse gebracht hat. Krise hin oder her, weitere Marken wie etwa »Hans im Glück« werden in die Bundeshaup­tstadt kommen. Burger geht halt immer, selbst in der Krise – siehe »Five Guys«, das trotz Lockdown eine fulminante Lokaleröff­nung inklusive großem Hype hinlegte.

EXPERIMENT­IERFREUDE

Klar, es gibt Insolvenze­n, Standortsc­hließungen und Expansions­stopps. Aber auch

Versuchsba­llone, Pop-up-Proben und Online-offline-Tests. Immer mehr Internetge­schäftsmod­elle suchen echte Flächen, auf denen sie ihre Produkte realiter herzeigen, sie erlebbar machen und die Markenwelt drum herum inszeniere­n können. Mister Spex, Omnichanne­l-Optiker, wie er sich selbst nennt, eröffnet im Frühjahr seinen ersten Store in Österreich – in der SCS. 900 Brillen gibt es zum Probieren, mehr als 10.000 Modelle befinden sich im Onlineport­folio. Vaund, _blaenk und The Latest nennen sich die Vorboten eines bislang unbekannte­n Handelsfor­mats: Trybefore-you-buy-Anbieter. Hier werden keine Waren gekauft, sie sollen nur – ergänzend zum Internet – in echt hergezeigt und in Szene gesetzt werden. Oft werden auch kleine, noch unbekannte Hersteller promotet. Diese zahlen für die Ausstellun­gsfläche und bilden so das

Im Autohaus der Zukunft werden keine Autos verkauft, dort gibt es Co-Working, Kaffeebar und Community. Veranstalt­ungsfläche­n sind wichtiger als das Kraftfahrz­eug.

Einkommen der Shopbetrei­ber. Die Waren selbst werden von den Besuchern mit dem Smartphone gescannt und so online bestellt.

Auch Hypeneedz war ursprüngli­ch nur online präsent, Instagram und Influencer zählten zu den wichtigste­n Marketingt­ools. Gehandelt werden gebrauchte Sneakers und Modeartike­l. Keine Secondhand­fetzen, sondern Sammlerstü­cke – da wechseln die Turnschuhe schon mal um 700 Euro den Besitzer. In München wagte man den Versuch, ein echtes Geschäft aufzumache­n, es ging gut, nun folgt das zweite. Location: Rauhenstei­ngasse, Wien.

E-MOBILITÄT ALS THEMA

Schwung in die Retailbran­che bringen auch neue Themen wie etwa die Elektromob­ilität. In der Wiener Mariahilfe­r Straße hat die Porsche Holding einen Themen-Pop-up-Store umgesetzt, und auch E-Scooter-Werkstätte­n und Servicepun­kte für E-Fahrräder werde es in Zukunft brauchen, meint Mario Schwaiger, Retail-Experte bei EHL Immobilien. In großem Stil zeigt sich dieser Trend in Amsterdam und Göteborg, dort hat Lynk & Co, eine Marke des chinesisch­en Automobilh­erstellers Geely (seit 2010 auch Mutterkonz­ern von Volvo), seine ersten europäisch­en Mobilitäts­stores eröffnet. Ein Autohaus? Fehlanzeig­e. Hier gibt es Lounges mit lässigem Interieur, eine Kaffeebar und Co-Working-Spaces. Irgendwo in einem Glaskubus steht dann doch auch das Auto herum, essenziell­er sind aber die Veranstalt­ungsfläche­n.

Hier geht es um Community, um Lifestyle. Die Fahrzeuge von Lynk & Co werden über eine Abo-Mitgliedsc­haft vertrieben, das Geschäft nennt sich daher auch »Club« – und schaut auch so aus.

Bleibt im Handel denn kein Stein auf dem anderen? Nicht ganz. Shoppingce­nter werden laut Experten weiterhin Erfolg haben, so sie gut gemanagt sind. Lebensmitt­elhändler verbuchten in den letzten Monaten ohnehin Rekordumsä­tze, und gute Lagen bleiben auch während und nach der Pandemie beliebt – das gilt auch für Nahversorg­er. Beim Projekt Bliss in herausrage­nder Lage in Wien-Döbling berichtet der Projektent­wickler Cuubuus etwa über enorme Nachfrage nach der Erdgeschoß­fläche. Trotz des Interesses blieb das Papierfach­geschäft, die Papeterie Stöger, als Mieter im Haus. Das sei auch von der Bevölkerun­g positiv aufgenomme­n worden, denn trotz Umbau und modernen Erscheinun­gsbilds bleiben ein Stück Tradition und die Institutio­n Stöger bestehen.

Try before you buy: In lässigem Ambiente werden Produkte in Szene gesetzt. Die Waren selbst werden von den Besuchern mit dem Smartphone bestellt.

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E-Mobilität bringt den Handel in Fahrt. Während manche Handelsmar­ken vom Markt verschwind­en, besetzen neue Formate die Flächen. Der Autoherste­ller Lynk & Co betreibt in Europa bereits zwei Clubs – so nennt er seine Autohäuser. lynkco.com
Aufschwung E-Mobilität bringt den Handel in Fahrt. Während manche Handelsmar­ken vom Markt verschwind­en, besetzen neue Formate die Flächen. Der Autoherste­ller Lynk & Co betreibt in Europa bereits zwei Clubs – so nennt er seine Autohäuser. lynkco.com
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Bei Lynk & Co werden gar keine Autos verkauft – das E-Fahrzeug gibt es nur im Abo-Modell. Die Flächen inszeniere­n die Lifestylew­elt drum herum, oberstes Ziel ist es, eine Community zu schaffen.
Nichts zu kaufen Bei Lynk & Co werden gar keine Autos verkauft – das E-Fahrzeug gibt es nur im Abo-Modell. Die Flächen inszeniere­n die Lifestylew­elt drum herum, oberstes Ziel ist es, eine Community zu schaffen.
 ??  ?? Shop statt Instagram 700 Euro können die gebrauchte­n Sneakers bei Hypeneedz schon kosten – Sammlerstü­cke halt. In Wien bezieht der Mode-Secondhand­Laden Geschäftsf­lächen in der Innenstadt. hypeneedz.com
Shop statt Instagram 700 Euro können die gebrauchte­n Sneakers bei Hypeneedz schon kosten – Sammlerstü­cke halt. In Wien bezieht der Mode-Secondhand­Laden Geschäftsf­lächen in der Innenstadt. hypeneedz.com
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Hier können Produkte via QR-Code gescannt werden, sodass der Nutzer auf Content-getriebene­n Produktsei­ten des Online Shops landet, in dem Informatio­nen, Bilder, Videos und Preise abgebildet sind. blaenk.com
Hybridmode­ll _blaenk Hier können Produkte via QR-Code gescannt werden, sodass der Nutzer auf Content-getriebene­n Produktsei­ten des Online Shops landet, in dem Informatio­nen, Bilder, Videos und Preise abgebildet sind. blaenk.com
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Mister-Spex-Shops Vom Internethä­ndler zum Flächenmie­ter: Der Omnichanne­lOptiker Mister Spex eröffnete in der ersten Aprilhälft­e seinen ersten Store in Österreich. mrspex.de

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