»DAS BALTIKUM HAT EIN PERFEKTES KUNST-ÖKOSYSTEM«
Die lettische Kuratorin Inga Lāce über die Kunstszene in Riga, baltische Gemeinsamkeiten wie Unterschiede und ihre Erfahrung am MoMA in New York.
LIVING Wie hat sich die Kunstszene in Riga in den letzten Jahren entwickelt?
INGA LĀCE Im Moment gibt es mehrere unsichtbare Ausstellungen, die fertig sind, aber wegen Covid-19 nicht eröffnen durften. Gleichzeitig freue ich mich, eine junge Künstlergeneration zu sehen, die interdisziplinär zusammenarbeiten. Viele haben im Ausland studiert und kehren jetzt zurück. Der Feminismus ist sehr stark in der Kunst präsent, und das Latvian Drag King Collective hat mit Events für die Rechte von LGBGQIA+ in den baltischen Staaten gekämpft.
Wie unterscheidet sich die lettische Kunstszene von der in den baltischen Nachbarstaaten?
Ich denke, wir sollten weniger auf die Unterschiede schauen und mehr auf die Nähe und den Dialog. Denn wenn wir alle drei Staaten zusammen betrachten, haben wir ein perfektes Kunst-Ökosystem! Estland hat mit Temnikova & Kasela die international sichtbarste zeitgenössische Galerie und die brillanten Ausstellungskonzepte des Kumu Art. Litauen hat tolle Residency-Programme und die Baltische Triennale in Wilna. Das Contemporary Art Festival Survival Kit und die Biennale RIBOCA finden in Riga statt.
Riga bietet staatliche Kunstinstitutionen wie das Nationalmuseum LNMM und unabhängige Art Spaces wie LOW. Gibt es da Verbindungen, oder sind dies ganz verschiedene Welten? Die jüngeren Orte wie 427 und Low setzen stark auf Kooperation. Es ist auch nicht unüblich, dass diese Künstler in Ausstellungen im LNMM auftauchen, obwohl sich dieses natürlich eher auf das nationale Erbe konzentriert als auf experimentelle oder internationale Kunst. Das Lettische Centre for Contemporary Art, an dem ich beteiligt bin, plant forschungsbasierte Gruppenausstellungen, die auch soziale und politische Fragen behandeln. Es gibt auch eine wichtige Fehlstelle im lettischen Kunst-Ökosystem, und das ist ein Museum für zeitgenössische Kunst – ein fertiges Projekt dafür gibt es zwar schon, aber nicht den politischen Willen, es umzusetzen.
Zurzeit sind Sie C-MAP-Stipendiatin am MoMA in New York. Woran arbeiten Sie dort, und was sind Ihre Eindrücke vom Innenleben des MoMA?
Meine Hauptarbeit besteht darin, die MoMAKuratoren mit der baltischen Kunstszene zu vernetzen. C-MAP ist ein Forschungsprogramm für Afrika, Asien, Lateinamerika und Mittel- und Osteuropa, und es gibt hier sehr viel Austausch zwischen den Fellows. Im Juni werden wir gemeinsam eine Reihe von Seminaren veranstalten. Ich habe in New York sehr viel gelernt darüber, wie ein Museum funktioniert und wie man auch mit einer Dauerausstellung immer wieder neue Geschichten erzählen kann.
Sie sind international als Kuratorin tätig, von der Kunstbiennale Venedig bis Amsterdam, Stockholm, Paris. Wie erfahren Sie den internationalen Blick auf Lettland und seine Kunst?
Inzwischen haben alle, die ich treffe, schon einmal einen lettischen Künstler kennengelernt oder waren selbst dort. Aber natürlich gibt es immer noch diese Klischees, die mich auf die Palme bringen, wie: «Oh, ihr Letten seid so naturnah!« Sind wir natürlich auch, wir halten diesen Mythos ja selbst am Leben. Aber wenn man genauer hinschaut, hat diese empfundene Naturnähe unsere Haltung zum Klimawandel nicht beeinflusst, also kann hier etwas nicht ganz stimmen.
Welche Museen, Galerien und Gegenden in Riga würden Sie einem Besucher empfehlen? Man sollte das LNMM und seine Zweigstellen besuchen und in der Gegend herumstreunen, wo sich das LOW, das Zuzeum und das 427 befinden. Wenn man in Richtung des Hafengebiets Andrejsala spaziert, kommt man am Jugendstilviertel vorbei, das Museum für Medizingeschichte dort ist großartig, was Sammlung und Präsentation betrifft. Am anderen Flussufer erinnert das Žanis Lipke Museum an den Mut einer Familie, die Juden vor der Ermordung rettete. Auf jeden Fall lohnt sich ein Ausflug nach Jūrmala. Eine halbe Zugstunde entfernt an der Küste, hat es wunderschöne Holzarchitektur, FerienortAtmosphäre und mit der Dubulti Art Station auch ein interessantes Kunstprogramm.