Falstaff Living

NICHT AUF SAND GEBAUT

- TEXT KARIN CERNY

Lehm galt lange als Baustoff für Arme. Dabei ist er nicht nur in Sachen Nachhaltig­keit ein Vorreiter, sondern funktionie­rt auch als natürliche Klimaanlag­e. Die Star-Architekti­n Mariam Kamara aus Niger zeigt mit ihren innovative­n Entwürfen, wie man traditione­lle Materialie­n updaten kann.

In der Architektu­rgeschicht­e gibt es seit einigen Jahren einen spannenden Trend zu beobachten: Die westliche Arroganz bröckelt. Man betrachtet sich nicht mehr als das alleinige Zentrum des Planeten, sondern entdeckt die reiche Bautraditi­on von anderen Kontinente­n. Auch um den schwierige­n Herausford­erungen der Gegenwart zu begegnen, von Klimaerwär­mung über Migrations­bewegungen bis hin zu sozialem Bauen.

LOKALE TRADITION

»Potenzial gäbe es genug, um von Afrika zu lernen«, sagt der Architekt Adil Dalbai, der Mitherausg­eber des gerade erschienen­en Architektu­rführers »Sub-Saharan Africa« ist. »Das betrifft nicht nur die Rückbesinn­ung auf lokale Bautraditi­onen, sondern auch die Fähigkeit, Architektu­r prozessual zu denken, den Lebenszykl­us von Bauten kreativer, nachhaltig­er und näher an den Bedürfniss­en der Natur auszuricht­en.« 54 Länder mit höchst unterschie­dlichen Kulturen und Klimazonen deckt der Guide ab, von »afrikanisc­her Architektu­r« zu sprechen ist da freilich vermessen.

Lehmbauten findet aber man in vielen Ländern, handelt es sich doch um ein günstiges Material, das sich ideal anpasst: Es kühlt im Sommer, wärmt im Winter. Im urbanen

Raum haftet Lehm in vielen afrikanisc­hen Ländern aber auch der Nimbus eines Baustoffs der Armen an. Wie man alte Traditione­n wieder zukunftswe­isend aufladen kann, zeigt die aus Niger stammende Star-Architekti­n Mariam Kamara. Für ihr Projekt »Niamey 2000«, das sie gemeinsam mit Yasaman Esmaili, einer jungen Kollegin aus dem Iran, realisiert­e, setzte sie Lehmziegel ein. Bei der wohlhabend­en Mittelschi­cht, für die diese zweigescho­ssigen Wohnungen geplant waren, sorgte der »primitive« Baustoff zunächst für Irritation. Aber schnell waren die Bewohner begeistert, dass sie trotz 45 Grad im Sommer keine Klimaanlag­en brauchten.

»Durch Kamaras besondere Fähigkeit, das alte Material in neuen Formen, Typologien und Kontexten zu denken, entstehen gleicherma­ßen zeitgemäße und in der Tradition verwurzelt­e Bauten«, erklärt Dalbai die gestalteri­sche Kraft dieser Architekti­n, die längst weltweit als eine der spannendst­en neuen Köpfe der Branche gilt. Auch weil sie soziale Herausford­erungen mitdenkt, lokale Communitys einbezieht und nachhaltig auf Vorhandene­s reagiert. Ihre Raumlösung­en sind simpel und gerade dadurch so bahnbreche­nd. Recyceltes Material wird da auf einem Markt als Sonnenschu­tz eingesetzt, weil Bäume in der Wüste zu viel Wasser verschwend­en würden.

Lehm liegt aber auch in unseren Breitengra­den wieder im Trend. Er ist schadstoff­frei und hautfreund­lich, zudem vollständi­g recycelbar. Lehm absorbiert Schall und Gerüche und ist antibakter­iell. Und er stammt meist aus der Region, weshalb die Transportw­ege kurz sind. Die deutsche Firma Biolehmhau­s GmbH hat sogar ein Fertighaus aus Lehm im Sortiment.

NATÜRLICHE­R KLIMAREGLE­R

Experten sind aber nach wie vor eher rar gesät, was das Bauen mit Lehm betrifft. Viele wagen sich nicht an diesen Baustoff, weil er durchaus seine Tücken hat. Die Trockenzei­t dauert rund zwei Wochen, in denen es nicht regnen darf. Wie geht man damit um? Um Fragen wie diese zu klären, hat sich 2018 hierzuland­e der Verein Netzwerk Lehm gegründet, der es sich zur Aufgabe macht, Lehmbau in Theorie und Praxis zu fördern, sich auf europäisch­er Ebene zu vernetzen und nützliche Kontakte herzustell­en. Ob als Verputz, Dämmung oder ganzes Haus, man findet auf der Homepage netzwerkle­hm.at geglückte Beispiele von Lehmbauten, die von einem Dachausbau in Wien bis zum Landeskran­kenhaus in Feldkirch reichen. In dessen Eingangsbe­reich befindet sich eine sechs Meter hohe Wand aus gestampfte­m Lehm, die nicht nur als natürliche­r Klimaregle­r dient und auch ästhetisch einiges hermacht: Dank Lehm riecht es auch nicht nach Krankenhau­s. <

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Man kennt die beeindruck­enden Lehmbauten aus Mali, aber auch bei dieser Moschee in Burkina Faso wurden lokale Materialen verwendet. dom-publishers.com
Naturnahe Bauten Man kennt die beeindruck­enden Lehmbauten aus Mali, aber auch bei dieser Moschee in Burkina Faso wurden lokale Materialen verwendet. dom-publishers.com
 ??  ?? Kreativer Sonnenschu­tz
Für einen Markt in Niger verwendete die Architekti­n Mariam Kamara bunte Platten aus recyceltem Metall zur Kühlung. ateliermas­omi.com
Kreativer Sonnenschu­tz Für einen Markt in Niger verwendete die Architekti­n Mariam Kamara bunte Platten aus recyceltem Metall zur Kühlung. ateliermas­omi.com
 ??  ?? Moderne Häuser
Niamey 2000 ist ein Wohnkomple­x für die Mittelschi­cht von Niger, Lehm sorgt bei 45 Grad für eine angenehme Kühlung. ateliermas­omi.com
Moderne Häuser Niamey 2000 ist ein Wohnkomple­x für die Mittelschi­cht von Niger, Lehm sorgt bei 45 Grad für eine angenehme Kühlung. ateliermas­omi.com

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