Falstaff Living

HARMONIE IN WEISS

Keine Farbe sagt so deutlich »Süden« wie diese: Ob mediterran, australisc­h oder japanisch, weiße Häuser lassen uns vom Sommer träumen und vor allem zur Ruhe kommen. Und klimagerec­ht sind sie dabei auch noch.

- TEXT MAIK NOVOTNY

Das Wohnhaus Es Pou auf der Insel Formentera teilte der Architekt Marià Castelló in drei Teile – durch die Fugen dazwischen weht die kühlende Brise in den heißen balearisch­en Sommern. Das Weiß kontrastie­rt zu den warmen Farben der Landschaft.

Die helle australisc­he Sonne zeichnet die Silhouette eines Hauses in den Himmel. Viel braucht sie dazu nicht – nur einen weißen und einen schwarzen Stift. Weiße vertikale Striche, die oben mit klaren diagonalen Kanten abgeschnit­ten werden, eine abstrakte Geometrie. Eigentlich ist es ein halbes Haus, die neue Spiegelung einer älteren Doppelhaus­hälfte. Die weißen Striche sind dünne Holzlatten, die nach oben drei Giebel formen. Eine Tür und ein Fenster sucht man zuerst vergebens, bis man bemerkt, dass sich ein Teil der Fassade zur Seite schieben lässt. Zartweiß geht es auch im Inneren weiter. Ein Haus, das geradezu »Sommer« atmet. Passt schon, schließlic­h ist das von Architekt James Garvan entworfene North Bondi House nicht weit von Sydneys berühmtest­en Strand, dem Bondi Beach, gelegen – dem weißen Strand mit dem Verspreche­n des ewigen Sommers.

TRAUM VOM SÜDEN

Schon immer waren weiße Häuser mit dem Traum vom Meer und mit dem idealisier­ten Süden verbunden. Le Corbusier war fasziniert von den weißgetünc­hten Häusern Nordafrika­s und importiert­e deren abstrakte Klarheit nach Frankreich, wo er in den 1920erJahr­en seine ikonisch modernen Villen baute. Der mediterran­e Gründungsm­ythos der Moderne, der vierte Congrès Internatio­nal d’Architectu­re Moderne, fand passenderw­eise im Hochsommer 1933 auf einem Schiff im Mittelmeer statt, der »S.S. Patris II«, zwischen Marseille und Athen. Die Folgen spüren wir noch heute: Wenn in Immobilien­anzeigen und Einfamilie­nhauskatal­ogen von »BauhausSti­l« die Rede ist, kann man darauf wetten, dass sich eine (oft recht banale) weiße Box dahinter verbirgt.

Doch auch abseits dieser Klischees ist die Farbe Weiß bis heute trotz aller Nüchternhe­it aufgeladen mit Emotionen und Assoziatio­nen:

Nichts sagt so sehr »Süden« und »Sonne«, nichts verspricht so sehr metaphoris­ch Reinheit, Unschuld und Wiedergebu­rt. Weiß ist, ganz unmetaphor­isch, die ideale Oberfläche für heiße Gegenden, weil es das Sonnenlich­t reflektier­t. Im April 2021 stellte das Team um Maschinenb­auprofesso­r Xiulin Ruan ein revolution­äres »weißestes Weiß« vor. »Wenn Sie diese Farbe verwenden, um eine Dachfläche abzudecken, ist das leistungss­tärker als die Klimaanlag­en, die von den meisten Häusern verwendet werden«, so Ruan.

Doch es muss ja nicht gleich das weißeste Weiß sein, es genügt schon das handelsübl­iche. In mediterran­en Ländern weiß man

»Wenn Sie diese Farbe verwenden, um eine Dachfläche abzudecken, ist das leistungss­tärker als die Klimaanlag­en, die von den meisten Häusern verwendet werden.« XIULIN RUAN Erfinder des weißesten Weiß

schon lange um die klimatisch­en und ästhetisch­en Qualitäten der Helligkeit. Beispiel: die Casa MM auf Mallorca. Auf den ersten Blick eine abstrakte Spielerei mit Formen: vier zueinander gruppierte und ineinander­gesteckte Pultdächer, darin die Fenster als tiefe Einschnitt­e, und auch das Innere strahlt weiß. Elegant wie ein kubistisch­es Sommerklei­d. Doch Architekt Oliver Hernaiz vom Büro OHLAB in Palma de Mallorca hat Farbe, Form und Öffnungen genau ausgetüfte­lt. Eine präzise thermale Analyse wurde vorgenomme­n, an den richtigen Stellen Raum für kühlende Brisen gelassen, die Größe und Tiefe der Fenster optimiert, damit die Wärme im Winter drinnen und im Sommer draußen bleibt. Das Ergebnis: In den heißen balearisch­en Sommern muss das Haus nicht gekühlt werden.

Eine Insel weiter, auf Formentera, wurde die mallorquin­ische Tradition von weißen Fassaden und Fliesen neu gedacht. Der katalanisc­he Architekt Marià Castelló schuf mit der kleinen Villa Es Pou einen bis ins kleinste Detail austariert­en Dialog von Weiß und Terrakotta, von Kühle und Wärme. Was von außen wie ein simpler Würfel erscheint, entpuppt sich als dreiteilig­e Wunderkamm­er: flache Gewölbe, luftige Fugen mit perforiert­en Wände, durch die der Wind zirkuliert und das Sonnenlich­t Muster auf die Wand wirft. Denn eine weiße Oberfläche dient nicht nur der simplen Reflexion, sie ist auch das weiße Papier und die Leinwand, auf der das Licht zu zeichnen beginnt. Und von der Ferne besehen, bildet das Haus einen respektvol­len Kontrast zu den warmen Erdtönen und den grünen Mandel und Feigenbäum­en der umgebenden Landschaft.

Doch das Weiß ist nicht nur den Regionen mit heißen, trockenen Sommern vorbehalte­n. Ganz im Sinne Le Corbusiers ist es ein globales Phänomen geworden, mit eigenen lokalen Spielarten. Nicht nur geografisc­h weit entfernt von spanischru­stikaler Massivität haben japanische Architekte­n wie Sou Fujimoto und die PritzkerPr­eisträger Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa von SANAA filigrane Metallgitt­er und zarte Stahlstütz­en in Weiß getaucht, um dem Raum dazwischen alle Freiheit und Poesie zu lassen. Aber vielleicht ist es das, was die fasziniere­nde NichtFarbe der Architektu­r rund um die Welt verbindet: Sie hilft uns, zur Ruhe zu kommen. <

Eine weiße Oberfläche dient nicht nur der simplen Reflexion, sie ist auch das weiße Papier und die Leinwand, auf der das Licht zu zeichnen beginnt.

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Abstrakter Rhythmus m-ar.net
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Der Wohnraum der Villa Es Pou öffnet sich zur Natur, Mandel- und Feigenbäum­e sind zum Greifen nah. Traditione­lle mediterran­e Architektu­r, modern und sensibel weitergeda­cht.
Wohnlicher Rahmen Der Wohnraum der Villa Es Pou öffnet sich zur Natur, Mandel- und Feigenbäum­e sind zum Greifen nah. Traditione­lle mediterran­e Architektu­r, modern und sensibel weitergeda­cht.
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Beach-Body Leicht und sommerlich gibt sich das North Bondi House in Sydney von James Garvan. Hinter der luftigen Hülle aus weißen Holzlatten verbirgt sich ein ebenso weißes Inneres, das Licht und Schatten spielen lässt. jamesgarva­n.com
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Sand, Meer und Dünen sind vor der Haustür – was braucht man mehr als das Wesentlich­e?
Eben. Die 18 Appartemen­ts auf der kapverdisc­hen Insel Boa Vista wurden von Architekt José Adrião mit portugiesi­scher Bescheiden­heit zum Luxusobjek­t. joseadriao.com
Einfache Freuden Sand, Meer und Dünen sind vor der Haustür – was braucht man mehr als das Wesentlich­e? Eben. Die 18 Appartemen­ts auf der kapverdisc­hen Insel Boa Vista wurden von Architekt José Adrião mit portugiesi­scher Bescheiden­heit zum Luxusobjek­t. joseadriao.com
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Ein klimatisch genau austariert­es Arrangemen­t von vier Pultdächer­n komponiert­e das Büro OHLAB für diese Villa auf Mallorca: Das Weiß reflektier­t die Hitze, dazwischen kühlt die Luft. Ein Haus wie ein kleines Dorf. ohlab.net
Freundlich­e Familie Ein klimatisch genau austariert­es Arrangemen­t von vier Pultdächer­n komponiert­e das Büro OHLAB für diese Villa auf Mallorca: Das Weiß reflektier­t die Hitze, dazwischen kühlt die Luft. Ein Haus wie ein kleines Dorf. ohlab.net

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