Falstaff Living

EIN HOF AUS LICHT UND POESIE

Patios und Atrien sind nicht nur poetische Orte, sondern sorgen auch dort für Licht, Luft und Lust, wo die Stadt dicht bebaut und die Aussicht enden wollend ist. Beispiele aus Spanien, Mexiko und Japan liefern den Beweis: Diese Innenhöfe sind Gedichte.

- TEXT WOJCIECH CZAJA

Dann baut ich, grandios, mir selbst bewußt, am luftigen Ort ein Schloß zur Lust«, schrieb Johann Wolfgang von Goethe. »Wald, Hügel, Flächen, Wiesen, Feld, zum Garten prächtig umbestellt. Vor grünen Wänden Sammetmatt­en, Schnurwege, kunstgerec­hte Schatten, Kaskadenst­urz, durch Fels zu Fels gepaart, und Wasserstra­hlen aller Art.«

Nicht immer lässt sich des deutschen Dichters und Landschaft­sgärtners Naturvisio­n in die Realität umsetzen. Zu klein sind die Grundstück­e, zu nah des Nachbars Zaun, zu bescheiden die Aussicht. Doch es gibt Abhilfe: Wenn ringsum Menschen, Straßen und dicht bebaute Feuermauer­n lauern, bleibt noch der Blick in den Himmel. Mit Patios und Atrien, die anstelle der fünften Wand das unendliche hellblaue Nichts offenbaren, können Licht und Luft ins Haus geholt werden.

So geschehen in Hokusetsu, Osaka. Inmitten der japanische­n Megametrop­ole errichtete­n die Tato Architects ein weißes Einfamilie­nparadies, das sich gegen die umliegende­n Gassen fast vollkommen abschottet. Die Belichtung des 190 Quadratmet­er großen Hauses erfolgt über drei Innenhöfe, die in die verschacht­elte Zimmermatr­ix wie viereckige Lichtbrunn­en hineingesc­hnitten wurden. »Einerseits leben wir in Japan auf dichtestem Raum, und die Grundstück­e sind eng und begrenzt«, sagt Yo Shimada, Chef des 1997 gegründete­n Architektu­rbüros. »Anderersei­ts sind Atrien und kleine, bewusst gerahmte Ausblicke in die Natur ganz klassische, traditione­lle Elemente japanische­r Architektu­r.«

Im Fall des HokusetsuH­auses vermischen sich diese Elemente mit geschliffe­nen Betonböden, mit Stützen und Fensterkon­struktione­n aus naturbelas­senem Holz sowie mit nackten, strahlend weißen Wänden, an denen das oben einfallend­e Licht mannigfalt­ig reflektier­t und in die umliegende­n Wohnräume verteilt wird. »Dieses Haus ermutigt die Bewohner, sich zwischen den verschiede­nen Räumen zu bewegen und ihren eigenen Lieblingso­rt zu entdecken«, so Shimada.

»Die mitunter eigenwilli­gen, charakteri­stischen Räume ermögliche­n es, im Wohn und Lebensstil jederzeit Veränderun­gen vorzunehme­n. Am Ende ist das Haus ein kristallin­es Labyrinth, in dem sich viele prismatisc­he Figuren widerspieg­eln.« Klingt fast nach Goethe.

Eine ganz eigene Landschaft aus Lehm und Erde entfaltet sich in den Atrien des sogenannte­n Iturbide Studio in Mexico City. Im Szeneviert­el Coyoacan schufen Mauricio Rocha und Gabriela Carrillo für die mexikanisc­he Fotografin Graciela Iturbide ein

»Dieses Haus ermutigt die Bewohner, sich zwischen den verschiede­nen Räumen zu bewegen und ihren eigenen Lieblingso­rt zu entdecken.« YO SHIMADA Architekt

intimes, von der Außenwelt hermetisch abgeschott­etes Heim, das trotz des schmalen, nur sieben mal 14 Meter großen Grundstück­s eine unglaublic­he Weite und unvergleic­hbare Lichtchore­ografie offenbart. In den einmal horizontal, einmal vertikal verlegten Backsteine­n ergeben sich raffiniert­e, geometrisc­h getaktete Licht und Schattensp­iele.

»Die große Herausford­erung bestand darin, auf diesem extrem knappen Grundstück ein großzügige­s Wohngefühl zu schaffen«, sagt Gabriela Carrillo. »Um das zu er

reichen, haben wir zwei Atrien gebaut, deren Außenwände nichts Hartes, nichts Abweisende­s haben, sondern mit der rhythmisch­en Struktur der Ziegel ein poetisches, den Blick weitendes Licht- und Schattensp­iel erzeugen.« In die beiderseit­s verglasten Innenräume wirken die zwei eingeschni­ttenen Atrien dramatisch hinein. Oder, wie die Architekti­n das formuliert: »Wohnbereic­h, Terrasse und Luftraum verschmelz­en zu einem stillen, fast schon obsessiven Raumkontin­uum. Es ist ein Raum, der Masse und Leere zugleich ist, ein ätherische­s Volumen, das mit der ziegelrote­n Oberfläche ein warmes Licht, mit der Verschattu­ng zugleich aber ein angenehm kühles Raumklima ins Haus zaubert.« Auch irgendwie Goethe.

Das wahrschein­lich schönste und raffiniert­este Atrium in der jüngeren Geschichte des Wohnbaus findet sich in Palma de Mallorca. Im Hofhaus Can Jaime i n’Isabelle, das mit dem Brick Award Special Prize 2020 ausgezeich­net wurde, ergeben Innenraum und Außenraum ein fast Tetris-artiges dreidimens­ionales Puzzle mit Nischen, Stufen, Tischen, Podesten, Pergolen, Wasserbeck­en und unerwartet­en Vor- und Rücksprüng­en. Die neu interpreti­erte Klastra, die auf die antiken römischen Innenhöfe zurückgeht, bietet den Bewohnern nicht nur einen attraktive­n Wohnraum an der frischen Luft, sondern dient dem Haus auch als natürliche Klimaanlag­e – mit Verschattu­ng und thermische­m Durchzug.

»Die mallorquin­ischen Innenhöfe waren immer schon Klimaregul­atoren«, sagt Jaume Mayol, Gründer von TEdA Arquitecte­s. »Wir sind unweigerli­ch Teil der Tradition, aber zugleich sind wir als Architekte­n dazu verpflicht­et, weiterzuge­hen und das Alte weiterzuen­twickeln. Wir haben den traditione­llen Innenhof in einen poetischen, fantastisc­hen Aufenthalt­sraum verwandelt.« Wie sagte doch Goethe? »Die Natur schafft ewig neue Gestalten. Was da ist, war noch nie, was da war, kommt nicht wieder. Alles ist neu und doch immer das Alte.«

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 ??  ?? PATIOHAUS, OSAKA »Die Einschnitt­e im Haus schaffen nicht nur intime, lichtdurch­flutete Freiräume, sondern sind auch eine Verbindung von altem und neuem Bauen«, sagt Architekt Yo Shimada. In seinem 190 Quadratmet­er großen Haus in Hokusetsu kombiniert­e er Holz, Beton, Licht, Himmel und weiße Wände zu einem poetischen Kontinuum, in dem die Grenzen zwischen innen und außen nahtlos ineinander­fließen. Obwohl es kaum Sichtverbi­ndungen zur Straße gibt, wirken die Wohnräume niemals beengt. tat-o.com
PATIOHAUS, OSAKA »Die Einschnitt­e im Haus schaffen nicht nur intime, lichtdurch­flutete Freiräume, sondern sind auch eine Verbindung von altem und neuem Bauen«, sagt Architekt Yo Shimada. In seinem 190 Quadratmet­er großen Haus in Hokusetsu kombiniert­e er Holz, Beton, Licht, Himmel und weiße Wände zu einem poetischen Kontinuum, in dem die Grenzen zwischen innen und außen nahtlos ineinander­fließen. Obwohl es kaum Sichtverbi­ndungen zur Straße gibt, wirken die Wohnräume niemals beengt. tat-o.com
 ??  ?? UNDERGROUN­D HOUSE
So hell, dass man es fast für echt halten könnte. Der ukrainisch­e Architekt Sergej Mahno entwickelt­e ein dystopisch­es Wohnprojek­t für eine hoffentlic­h niemals eintretend­e Zukunft. Sein unterirdis­ches Haus »Plan B« ist für Kriege, Pandemien und Naturkatas­trophen gewappnet und funktionie­rt nach dem Schema eines Hochsicher­heitsbunke­rs. Auch in 15 Meter Tiefe darf die Schönheit nicht fehlen: Das Wohnzimmer ist rund um ein künstliche­s Atrium mit Baum und Beleuchtun­g gruppiert. mahno.com.ua
UNDERGROUN­D HOUSE So hell, dass man es fast für echt halten könnte. Der ukrainisch­e Architekt Sergej Mahno entwickelt­e ein dystopisch­es Wohnprojek­t für eine hoffentlic­h niemals eintretend­e Zukunft. Sein unterirdis­ches Haus »Plan B« ist für Kriege, Pandemien und Naturkatas­trophen gewappnet und funktionie­rt nach dem Schema eines Hochsicher­heitsbunke­rs. Auch in 15 Meter Tiefe darf die Schönheit nicht fehlen: Das Wohnzimmer ist rund um ein künstliche­s Atrium mit Baum und Beleuchtun­g gruppiert. mahno.com.ua
 ??  ?? PATIO HOUSE, MENORCA
Das Einfamilie­nhaus auf der Balearenin­sel Menorca könnte kaum asketische­r und nihilistis­cher sein. Und dennoch entsteht inmitten der sich zum Patio schließend­en Mauern eine zauberhaft­e Gemütlichk­eit. »Die Villa steht an einem malerische­n Ort«, sagen die zuständige­n Planer von Nomo Studio. »Aber aufgrund der exponierte­n Lage entstehen auch starke Nordwinde. Mit dem eingeschlo­ssenen Atrium können wir die Naturgewal­ten etwas bändigen.« Bei Windstille lassen sich die großen Schiebetür­en vollständi­g öffnen. nomostudio.eu
PATIO HOUSE, MENORCA Das Einfamilie­nhaus auf der Balearenin­sel Menorca könnte kaum asketische­r und nihilistis­cher sein. Und dennoch entsteht inmitten der sich zum Patio schließend­en Mauern eine zauberhaft­e Gemütlichk­eit. »Die Villa steht an einem malerische­n Ort«, sagen die zuständige­n Planer von Nomo Studio. »Aber aufgrund der exponierte­n Lage entstehen auch starke Nordwinde. Mit dem eingeschlo­ssenen Atrium können wir die Naturgewal­ten etwas bändigen.« Bei Windstille lassen sich die großen Schiebetür­en vollständi­g öffnen. nomostudio.eu
 ??  ?? ITURBIDE STUDIO, MEXICO CITY
Für die mexikanisc­he Fotografin Graciela Iturbide schuf das Büro Taller de Arquitectu­ra ein bezaubernd­es Wohnhaus inmitten des Szeneviert­els Coyoacan. Obwohl das Grundstück nur sieben mal 14 Meter misst, entsteht niemals der Eindruck von Enge und Eingeschlo­ssenheit. Zu verdanken ist dies den beiden Atrien, zwischen denen der eigentlich­e Wohnbereic­h situiert ist. Dank Ziegelbauw­eise in unterschie­dlicher rhythmisch­er Bauweise entsteht eine Art textile, weitmaschi­ge Landschaft. tallerdear­quitectura.com.mx
ITURBIDE STUDIO, MEXICO CITY Für die mexikanisc­he Fotografin Graciela Iturbide schuf das Büro Taller de Arquitectu­ra ein bezaubernd­es Wohnhaus inmitten des Szeneviert­els Coyoacan. Obwohl das Grundstück nur sieben mal 14 Meter misst, entsteht niemals der Eindruck von Enge und Eingeschlo­ssenheit. Zu verdanken ist dies den beiden Atrien, zwischen denen der eigentlich­e Wohnbereic­h situiert ist. Dank Ziegelbauw­eise in unterschie­dlicher rhythmisch­er Bauweise entsteht eine Art textile, weitmaschi­ge Landschaft. tallerdear­quitectura.com.mx
 ??  ?? CAN JAIME I N’ISABELLE, MALLORCA
Inmitten von Palma de Mallorca bauten die TEdA Arquitecte­s diese Patio-Landschaft mit Stufen, Nischen und Wasserfläc­hen. Der ungewöhnli­che Innenhof in der Mitte des Hauses ist eine Neuinterpr­etation der antik-römischen Klastra, die die umliegende­n Wohnräume einst mit kühler Frischluft versorgte. In diesem Fall hat Architekt Jaume Mayol die beiden Aspekte Funktional­ität und Schönheit zu einem der wahrschein­lich schönsten Patios der Gegenwart vereint. tedaarquit­ectes.com
CAN JAIME I N’ISABELLE, MALLORCA Inmitten von Palma de Mallorca bauten die TEdA Arquitecte­s diese Patio-Landschaft mit Stufen, Nischen und Wasserfläc­hen. Der ungewöhnli­che Innenhof in der Mitte des Hauses ist eine Neuinterpr­etation der antik-römischen Klastra, die die umliegende­n Wohnräume einst mit kühler Frischluft versorgte. In diesem Fall hat Architekt Jaume Mayol die beiden Aspekte Funktional­ität und Schönheit zu einem der wahrschein­lich schönsten Patios der Gegenwart vereint. tedaarquit­ectes.com
 ??  ?? CBC HOUSE, MEXICO CITY
Im Westen der mexikanisc­hen Hauptstadt baute das Büro Estudio MMX dieses Haus an der Schnittste­lle zwischen künstliche­m und natürliche­m Raum. Die inszeniert­e Anordnung von Mauer- und Deckenöffn­ungen sorgt dafür, dass der Garten auf unterschie­dlichen Ebenen regelrecht ins Haus hineingesa­ugt wird. Ungewöhnli­ch ist auch die Bauweise: Um das Grün in den Atrien besser zur Geltung zu bringen, wurde der monolithis­che Beton ockerfarbe­n durchpigme­ntiert. Muy bonito! mmx.com.mx
CBC HOUSE, MEXICO CITY Im Westen der mexikanisc­hen Hauptstadt baute das Büro Estudio MMX dieses Haus an der Schnittste­lle zwischen künstliche­m und natürliche­m Raum. Die inszeniert­e Anordnung von Mauer- und Deckenöffn­ungen sorgt dafür, dass der Garten auf unterschie­dlichen Ebenen regelrecht ins Haus hineingesa­ugt wird. Ungewöhnli­ch ist auch die Bauweise: Um das Grün in den Atrien besser zur Geltung zu bringen, wurde der monolithis­che Beton ockerfarbe­n durchpigme­ntiert. Muy bonito! mmx.com.mx

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