»DIE HAMBURGER KUNSTSZENE FLORIERT«
Bettina Steinbrügge, Direktorin des Kunstvereins in Hamburg, über den Einfluss von Bürgertum und Kulturpolitik auf die Kunstwelt der Hansestadt und über die Rolle der Kunst in der Gesellschaft.
LIVING Wie hat sich die Kunstszene in Hamburg entwickelt und was macht sie aus? BETTINA STEINBRÜGGE Die Kunstszene in Hamburg ist vielfältig, engagiert und von hoher Qualität. Im Gegensatz zu den 1990erund frühen 2000er-Jahren, als es für Künstler nach dem Studium wichtig war, nach Berlin zu gehen, oder auch Galerien in die neue Hauptstadt auswanderten, hat sich die Kunstszene heute wieder konsolidiert. Man darf die Kunsthochschulen als Rückgrat und Motor einer städtischen Kunstszene nicht unterschätzen, außerdem gab es neue Förderprogramme für junge Künstler. So ist eine interessante junge Kunstszene entstanden, die mittlerweile auch international unterwegs ist. Ich würde sagen, die Hamburger Kunstszene floriert derzeit.
Welchen Einfluss hat das starke Hamburger Bürgertum auf die Kunst?
Das wohlhabende Bürgertum hat die Kunstszene in Hamburg erst ermöglicht, und zwar 1817, als es den Kunstverein in Hamburg als zweitältesten Kunstverein in Deutschland gegründet hat. Die protestantische Kaufmannschaft traf weder auf eine fürstliche noch auf eine religiöse Sammlertradition, es gab aber das Bedürfnis, zu sammeln und über Kunst zu sprechen. Aus dem Kunstverein heraus entstand dann später die Kunsthalle. Bis heute ist das Bürgertum ein wichtiger Bestandteil und der Motor der Hamburger Szene.
Was bedeutet Hamburg für Sie als kultureller Nährboden? Gibt es etwas, das nur hier funktioniert?
Derzeit funktioniert wirklich viel. Das liegt auch an der hervorragenden Kulturpolitik und den Stiftungen der Stadt, die ein großes Interesse an einer funktionierenden Kultur haben. Der Nährboden sind die Menschen, die hier arbeiten, und auch die Kunstakademie mit ihren Studierenden ist ein Pool an konstruktivem Diskurs, in dem ich mich ständig hinterfragen muss. Es gibt immer etwas zu kritisieren, aber angesichts der Tatsache, dass wir uns immer noch in einer Pandemie befinden und wir Kulturschaffenden in Hamburg von allen Seiten große Unterstützung gefunden haben, kann man auch mal ein wenig dankbar sein, dass Kultur hier noch einen gewissen Stellenwert hat.
Wie verortet sich der Kunstverein in der Hamburger Kulturlandschaft?
Der Kunstverein in Hamburg bildet das globale zeitgenössische Kunstgeschehen ab und versucht, Motor eines sich permanent entwickelnden Diskurses zu sein. Wir zeigen das, was erst in 20 bis 30 Jahren zum Mainstream wird und jetzt noch erklärungsbedürftig ist. Der Kunstverein ist sozusagen die älteste und gleichzeitig jüngste Kunstinstitution der Stadt. Dieses Paradoxon muss immer wieder neu gefüllt werden.
Kunstverein-Ausstellungen positionieren sich auch deutlich politisch-gesellschaftlich. Muss die Kunst Antworten geben oder Fragen stellen zu akuten Themen?
Nicht unbedingt, zuerst muss die Kunst erst mal überhaupt nichts. Sie hat keinen gesellschaftlichen Auftrag und genau darin liegt ihre Stärke. Sie kann sich Konventionen entziehen, anders und ungewohnt auf die Gesellschaft schauen und alles so drehen und wenden, bis Erfahrungen auf dem Kopf stehen. Wir im Kunstverein zeigen oft gesellschaftspolitische Diskurse, was aber auch an mir und meiner soziologischen Ausbildung liegt.
Welche Galerien und Museen in Hamburg würden Sie Wochenendbesuchern von außerhalb empfehlen?
Die Deichtorhallen stehen für ein experimentelles Programm und warten immer wieder mit überraschenden Großprojekten auf. Daneben zeigen sie in der Sammlung Falckenberg sorgfältig kuratierte Retrospektiven. Die Kunsthalle hat gerade einen dynamischen neuen Direktor, von dem wir im Bereich zeitgenössische Kunst noch viel hören werden, und das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt herausragende Positionen insbesondere in der zeitgenössischen Fotografie. Das kleine, aber feine Kunsthaus zeigt ebenfalls globale Positionen, widmet sich aber auch immer wieder der Hamburger Kunstszene. Galerien wie Sfeir-Semler, Karin Günther, Conradi, Produzentengalerie, 14a oder auch Wentrup aus Berlin bilden die ganze Breite des zeitgenössischen Kunstgeschehens ab und treffen auf gut informierte Sammler. Dabei belasse ich es jetzt aber, sonst wird man leicht unfair. Dann lieber noch etwas Eigenwerbung: Kommen
Sie in den Kunstverein, wir freuen uns!