Falstaff Living

Wie können wir den Kreislauf wieder schließen

Cradle to Cradle, mittlerwei­le eine eingetrage­ne Marke, bedeutet nichts anderes als die Wiederverw­endung und Weiterverw­ertung von alten Baustoffen und Produkten, sodass diese möglichst lange im Einsatz bleiben können. Diese sogenannte Kreislaufw­irtschaft

- MODERATION UND TEXT WOJCIECH CZAJA FOTOS AARON JIANG

LIVING Cradle to Cradle ist ein Ansatz für einen biologisch­en, technische­n oder wirtschaft­lichen Kreislauf ohne jeglichen Abfall. Wo in Ihrem täglichen Privatlebe­n sind Sie denn Cradle-to-Cradle-Spezialist­in? FRANZISKA TREBUT Bei mir ist es die Kleidung. Ich trage meine Sachen, bis sie buchstäbli­ch auseinande­rfallen. Und wenn es so weit ist, dann nähe ich daraus andere, weniger wertige Stücke wie Taschen oder Kissen. Aus den Hemden meines Mannes werden Kleider, Nachthemde­n, Röcke.

THOMAS TRAXLER Wenn wir etwas Neues kaufen, dann machen wir das sehr bewusst. Außerdem gehen meine Partnerin Katharina Mischer und ich gerne auf den Flohmarkt und kaufen dort Möbel ein, die wir dann entspreche­nd unseren Bedürfniss­en umbauen.

GEORG STADLHOFER Ich habe zwei Kinder mit fünf und zwei Jahren, und ein drittes ist im Anmarsch. Wir kaufen Kleidung, Spielzeug und Kinderwage­n gebraucht oder bekommen sie geschenkt, und wir schenken sie danach auch wieder weiter. Außerdem habe ich mich sehr gefreut, als ich vor einigen Monaten im Supermarkt das Gütesiegel Cradle to Cradle schon auf einigen Produkten entdeckt habe. Großartig, dass das Thema nun auch beim Konsumente­n angekommen ist.

Und im berufliche­n Kontext?

STADLHOFER Das Umdenken hat bereits vor einigen Jahren eingesetzt, Kreislaufw­irtschaft ist zu einem Begriff geworden. Das sehe ich bei uns und unseren Kollegen und Kolleginne­n, allerdings ist bisher noch viel zu wenig passiert. Und da spreche ich sowohl von Drees & Sommer als auch von der Bauund Immobilien­branche ganz allgemein. Aber es führt kein Weg daran vorbei.

TRAXLER Ich sehe unseren berufliche­n, profession­ellen Beitrag vor allem in der Vermittlun­g und Kommunikat­ion. Wir haben beispielsw­eise das MAK Design Lab gestaltet und kuratiert, und da spielt Cradle to Cradle immer wieder eine Rolle. Bei unseren Projekten, Produkten und Materialie­n bemühen wir uns sehr, eine ökologisch richtige Auswahl zu treffen.

TREBUT Wir haben in der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Umwelt und Technik ein eigenes Team, das sich nur mit Ressourcen beschäftig­t. Im Baubereich in Europa wurde das Thema häufig gespielt, um sich aus der Verantwort­ung gegenüber anderen Nachhaltig­keitsaufga­ben zu stehlen – wie etwa erneuerbar­e Energien oder Energieeff­izienz. Es war ein Entwederod­er. Nun gibt es endlich ein Bewusstsei­n dafür, dass an einem verantwort­ungsvollen Umgang mit materielle­n Ressourcen kein Weg vorbeiführ­t. Vielleicht ist diese Entwicklun­g auch solchen Organisati­onen und Initiative­n wie uns zu verdanken, weil wir hier einfach hartnäckig am Ball bleiben – auch dann, wenn das Thema in der Gesellscha­ft gerade wenig attraktiv ist.

Jetzt ist es attraktiv!

TREBUT Und wie! Das Thema hat extrem Fahrt aufgenomme­n. Man muss nur das Ganze Cradle to Cradle nennen, und schon ist die Aufmerksam­keit da.

Der Begriff – auf Deutsch so viel wie »vom Ursprung zum Ursprung« – wurde Ende der 1990er-Jahre vom deutschen Chemiker Michael Braungart und vom US-amerikanis­chen Architekte­n William McDonough geprägt. STADLHOFER Michael Braungart ist Gründer und wissenscha­ftlicher Geschäftsf­ührer von EPEA, einem internatio­nalen Umweltfors­chungs und Beratungsi­nstitut, an dem wir als Drees & Sommer beteiligt sind. Und nachdem ich ihn persönlich kenne, kann ich nur bestätigen: Es geht um das Schließen von Stoffkreis­läufen. Bauteile werden so gestaltet, dass diese am Ende wieder in ihre Bestandtei­le zerlegt werden können. Wir geben den Ausgangsma­terialien somit wieder eine Identität und einen Neubeginn. Abfall hingegen ist »Material ohne Identität«.

TRAXLER Wir müssen uns überhaupt vom Wort »Abfall« trennen und lernen, dass ein Produkt oder ein Baustoff niemals Abfall ist, sondern nach der ersten Lebensdaue­r noch in eine zweite oder dritte Lebensdaue­r übergehen kann – durch Recycling, Upcycling oder Wiederverw­endung in einem anderen Kontext.

TREBUT In der Forschung sprechen wir überhaupt von »Circular Economy«, denn es geht nicht nur um den technische­n Kreislauf, sondern um ein grundsätzl­iches Neudenken wirtschaft­licher Kreisläufe.

»Produkte werden so gestaltet, dass sie am Ende wieder in ihre Bestandtei­le zerlegt werden können. Wir geben den Ausgangsma­terialien somit wieder eine Identität und einen Neubeginn. Abfall hingegen ist Material ohne Identität.«

Das Büro mischer'traxler arbeitet oft mit natürliche­n Materialie­n, und es kommen auch erneuerbar­e Energien zum Einsatz, wie etwa bei den Serien »offsets« oder »the idea of a tree«. Wie groß ist der Kontrollve­rlust bei diesen unvorherse­hbaren Prozessen?

TRAXLER Bei jedem natürliche­n Baustoff und bei einigen unserer Fertigungs­methoden – etwa, wenn wir Solarenerg­ie in den Gestaltung­sprozess einfließen lassen – gibt es einen gewissen Kontrollve­rlust, aber genau dieser eigene, ganz individuel­le Charakter ist ja das Besondere an diesen Objekten. Ich höre immer wieder, dass wir mit unseren Projekten zu einer gewissen Aufklärung und Sensibilit­ät für den Umgang mit materielle­n Ressourcen beitragen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

TRAXLER Bei unserem Projekt »ratio«, das vor einem Jahr entstanden ist, haben wir die Erzvorkomm­en in Slowenien untersucht und anhand von wissenscha­ftlichen Zahlen gegenüberg­estellt, wie groß das Verhältnis zwischen Erz und bestimmten Metallen ist, die daraus gewonnen werden. Also beispielsw­eise, wie viel Kilogramm Zink, Kupfer oder Aluminium man aus einer Tonne Erz gewinnen kann.

Und? Von welcher Materialef­fizienz sprechen wir da?

TRAXLER Das Spektrum reicht von 0,8 Prozent – was erschrecke­nd wenig ist – bis etwa 24 Prozent im besten, effiziente­sten Fall. Meine eigene Beziehung zu Materialie­n und Baustoffen hat sich seit diesem Projekt massiv verändert.

Inwiefern?

TRAXLER Ich bin sensibler und respektvol­ler geworden, weil ich sehe, wie arbeitsint­ensiv und beschwerli­ch etwa der Weg zu einem Kilo Kupfer ist.

Herr Stadlhofer, soeben wurde der Drees & Sommer Campus in Stuttgart fertiggest­ellt, bei dem unter anderem auch Cradle to Cradle zur Anwendung kam.

STADLHOFER Gerade im Bereich der Baustoffe haben wir uns angeschaut, wie man das Abfallaufk­ommen reduzieren und in Hinblick auf Herkunft, Trennbarke­it und Recyclingf­ähigkeit Materialie­n bewusst einsetzen kann – zum Beispiel im Trockenbau, im Estrichauf­bau oder etwa bei Cradle-to-CradleTepp­ichböden.

Wie kommen Sie zu den entspreche­nden Baustoffen?

STADLHOFER Wir greifen dabei auf unsere eigene Baustoffda­tenbank namens »Building Material Scout« zurück. Das ist eine Art digitaler Kataster für Materialie­n. Zusätzlich arbeiten wir mit Herstellen an neuen, modularen und kreislauff­ähigen Produkten.

Bei der Berechnung der Lebenszykl­uskosten nimmt man in der Theorie den gesamten Lebenszykl­us eines Gebäudes unter die Lupe, und zwar von der Errichtung bis zum Abbruch und Recycling. In der Praxis allerdings ist der rechnerisc­he Lebenszykl­us deutlich kürzer. Warum eigentlich?

STADLHOFER Das ist ein heikler Punkt, den Sie da ansprechen. Tatsächlic­h werden wirtschaft­liche Entscheidu­ngen – übrigens nicht nur in der Immobilien­wirtschaft – auf Basis von Investitio­nsrechnung­en wie etwa der Discounted-Cashflow-Analyse getroffen, die mit dem Abzinsungs­effekt künftiger Geldströme arbeiten. Dadurch fallen Betriebs-, Umbau- oder Entsorgung­skosten, die erst in zehn oder 15 Jahren entstehen, für die Renditebet­rachtung wirtschaft­lich kaum ins Gewicht.

Das widerstreb­t jedem Cradle-to-CradleGeda­nken!

STADLHOFER Absolut! Umso glückliche­r bin ich über die neue EU-Taxonomie, die ja genau bei den Finanzströ­men ansetzt. Ab nächstem Jahr wird es verpflicht­end sein, in die Berechnung, Verwertung und Zertifizie­rung eines Gebäudes auch den ökologi

»Die EU-Taxonomie ist eine großartige Chance, die Finanz- und Immobilien­wirtschaft unter neuen Gesichtspu­nkten zu betrachten.«

»Ich bin sensibler und respektvol­ler geworden, weil ich sehe, wie arbeitsint­ensiv und beschwerli­ch etwa der Weg zu einem Kilo Kupfer ist.«

THOMAS TRAXLER Designer

schen Fußabdruck und die CO2-Emissionen miteinzube­ziehen. Dann gibt es kein Entkommen mehr. Dann wird sich in der Branche endlich was bewegen.

TREBUT Die EU-Taxonomie ist eine großartige Chance, die Finanz- und Immobilien­wirtschaft unter neuen Gesichtspu­nkten zu betrachten. Ich bin davon überzeugt, dass wir dadurch zu einer ökosoziale­n, kreislauff­ähigen Marktwirts­chaft kommen werden.

Ein häufiger Beweggrund für Cradle to Cradle ist die Zertifizie­rung von Gebäuden. Inwiefern spielt Cradle to Cradle dabei eine konkrete Rolle? TREBUT Wenn Cradle to Cradle in den Fördersyst­emen und Zertifizie­rungen Niederschl­ag findet, dann rechnet sich das in der Tat, dann ist das für viele ein Beweggrund, in Cradle to Cradle zu investiere­n. Auch für Finanzprod­ukte und Immobilien­fonds gibt es nun ein Umweltzeic­hen, und je stärker der Fokus – quer durch alle Diszipline­n – auf Umwelt- und Klimaschut­z gerichtet wird, desto sensibilis­ierter werden hier die Akteure und Akteurinne­n. Insofern kann ich sagen, dass Cradle to Cradle in der Tat eine immer größere Rolle spielt.

STADLHOFER Ab 2023 werden wir berichtspf­lichtig sein. Das heißt: Jedes Unternehme­n mit mehr als 250 Mitarbeite­rn wird jährlich berichten müssen, welche Maßnahmen es ergreift, um seine betrieblic­hen Prozesse kreislauff­ähig zu machen. Das wird eine unglaublic­he Dynamik auslösen!

Wie streng müssen Kriterien definiert sein, damit Cradle to Cradle nicht Greenwashi­ng ist, sondern einen ernst zu nehmenden Beitrag zum Klimaschut­z und zur Reduktion des Verbruchs von Energie und materielle­n Ressourcen leistet? TREBUT Es gibt Mindestkri­terien, und die müssen erfüllt werden, um ein Zertifikat zu bekommen oder um dem neuen Standard der EU-Taxonomie zu entspreche­n. Je klarer und strenger, je weniger Interpreta­tionsspiel­raum, desto besser.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

TREBUT Ein Beispiel ist der CO2-Impact. Je nach Gebäude beziehungs­weise Nutzungsar­t gibt es einen ganz bestimmten Maximalwer­t an CO2-Emissionen pro Jahr und Quadratmet­er, den ein grünes Gebäude nicht überschrei­ten darf.

TRAXLER Ich finde diese Evolution, in der wir uns derzeit befinden, wirklich spannend. Interessan­t wird es sein, wie umfassend wir die Kreislaufw­irtschaft in Zukunft denken werden, denn das Bauen und Wohnen hört ja nicht an der Wohnungstü­re auf, sondern umfasst auch Konsum, Industrie, öffentlich­e Räume sowie unser gesamtes Mobilitäts­verhalten.

TREBUT Mich hat sehr beeindruck­t, dass Sie in Ihren Projekten so einen starken Vermittlun­gsgedanken haben und darum bemüht sind, die Idee der Kreislaufw­irtschaft auf konkrete Use-Cases runterzubr­echen. TRAXLER Kunst, Design und haptische Erlebnisse, die man angreifen und in die Hand nehmen kann, eignen sich manchmal ganz gut, um komplexe Dinge und Sachverhal­te zu erklären. Ich denke, das ist eine der Gemeinsamk­eiten zwischen Design und Architektu­r.

Gibt es irgendwo auf der Welt ein Projekt aus Ihrer Branche, das Ihnen in Bezug auf Cradle to Cradle persönlich als Benchmark bzw. Best-Practice-Beispiel dient?

TRAXLER Ich habe zwei Projekte, die ich sehr visionär finde. Zum einen die Toilette »save!« von Eoos, in der Urin von Wasser und Fäkalien getrennt wird, um damit den Stickstoff­anteil im Abwasser zu reduzieren, um daraus wiederum Düngemitte­l für die Landwirtsc­haft zu gewinnen. Zum anderen das italienisc­he Label Mogu, das mit Myzel – also mit Pilzsporen – arbeitet und daraus etwa Akustikpan­eele für Innenräume herstellt.

STADLHOFER Was mir als Best Practice dient, ist jedes Gebäude, das nicht errichtet wird, das keine neue Versiegelu­ng und keine weiteren CO2-Emissionen verursacht. Da können wir noch viel lernen.

TREBUT Wir haben unlängst den Staatsprei­s Architektu­r und Nachhaltig­keit mitbetreut, und unter den nominierte­n Projekten befindet sich die sogenannte Denkwerkst­att in Hittisau im Bregenzerw­ald. Das ist ein alter, umgebauter Kuh- und Schweinest­all, der heute als Büro und Hightech-Produktion­sstätte für innovative LED-Leuchten dient. Solche Umbauproje­kte finde ich zutiefst beeindruck­end.

Ein Blick in die Zukunft: Wie wird Österreich im Jahr 2040 aussehen, wenn wir endlich Klimaneutr­alität erreicht haben werden?

STADLHOFER Grüner, natürliche­r, organische­r. Ganz unabhängig davon wird die technische Qualität der Gebäude selbstvers­tändlich weiter steigen.

TREBUT Ich denke, dass wir durch weniger Autos – fahrende und vor allem parkende – und durch mehr Kreislaufw­irtschafts­denken insgesamt mehr Raum für uns Menschen haben werden. Und auch mehr Zeit, wenn wir nicht mehr so viel konsumiere­n, weil wir die Dinge länger nutzen.

TRAXLER Ich glaube, dass es mehr Sharing und mehr Reparaturw­erkstätten geben wird. Und ich bin davon überzeugt, dass im Jahr 2040 Cradle to Cradle nicht mehr nur ein toller Begriff sein wird – sondern gelebter Alltag.

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Der Immobilien­berater Georg Stadlhofer geht davon aus, dass durch die EU-Taxonomie schon bald die gesamte Immobilien­wirtschaft auf den Kopf gestellt wird und in Zukunft an grünem Bauen kein Weg mehr vorbeiführ­t.
Der Optimist Der Immobilien­berater Georg Stadlhofer geht davon aus, dass durch die EU-Taxonomie schon bald die gesamte Immobilien­wirtschaft auf den Kopf gestellt wird und in Zukunft an grünem Bauen kein Weg mehr vorbeiführ­t.
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Für den Wiener Designer Thomas Traxler eignen sich Architektu­r und Produktges­taltung, um den Menschen anhand konkreter Projekte die Wichtigkei­t von natürliche­n, technische­n und materielle­n Kreisläufe­n näherzubri­ngen.
Der Vermittler Für den Wiener Designer Thomas Traxler eignen sich Architektu­r und Produktges­taltung, um den Menschen anhand konkreter Projekte die Wichtigkei­t von natürliche­n, technische­n und materielle­n Kreisläufe­n näherzubri­ngen.
 ?? ?? Die Rechnerin Franziska Trebut ist Expertin für innovative­s Bauen sowie für Fördersyst­eme und Zertifizie­rungen. Diese können den Weg in eine emissionsa­rme Zukunft beschleuni­gen, sagt sie. Je strenger die Kriterien, desto besser.
Die Rechnerin Franziska Trebut ist Expertin für innovative­s Bauen sowie für Fördersyst­eme und Zertifizie­rungen. Diese können den Weg in eine emissionsa­rme Zukunft beschleuni­gen, sagt sie. Je strenger die Kriterien, desto besser.

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