BÜHNE UND KONTRAST
Farben, Muster, Textilien und Strukturen gelten als Seele von Räumen. Und wie man weiß, braucht es beim Umgang mit der Seele Fingerspitzengefühl. Heuer mehr als sonst.
Man kann nicht behaupten, dass Textilien, Muster und Farben stiefmütterlich behandelt werden, wenn es um Fragen des Wohnens geht. Allerdings muss man auch sagen, dass ihnen nicht immer die Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, die sie verdienen. Aber: »Die Haptik und die Qualität der Oberfläche sind wesentlich, da sie das Produkt, aber auch den Raum zu dem machen, was er ist«, bringt es Karin Santorso vom Designerinnenduo Lucy.D knackig auf den Punkt. Deshalb müssen Symbiosen geschaffen werden. Materialien und Formen von Gegenständen sollen mit Farben, Mustern und Textilien zusammenpassen, damit so etwas wie Atmosphäre entstehen kann.
In der Praxis heißt das, dass die Verbindung von Natur und Wohnen, die seit der Coronapandemie noch einmal an Fahrt aufgenommen hat, sich auch im Textildesign widerspiegelt. Sind Retro-Feelings im Spiel oder wird das verwendete Material härter, reagiert auch das Textildesign darauf. Aktuell sind daher weiche Texturen und amorphe Formen stark gefragt. Und dabei trifft man auf alte Bekannte. So feiert Bouclé, also der effektvolle Stoffklassiker, den man von Chanel-Kostümen kennt, ein Interior-Comeback, weil er an vergessene Dekaden erinnert, weich und strapazierfähig gleichermaßen ist. Ähnlich ergeht es übrigens dem Cord. Als Gruß aus den 1960er- und 1970er-Jahren macht es sich der Stoff gerade in den Wohnzimmern gemütlich. Und ja: Material- und Mustermix dürfen durchaus auch einmal überborden, wie die »Monster Rugs« der Künstlerin und Illustration Siri Carlén für Hem zeigen. Hier knallt Flokati-Gemütlichkeit auf giftige Fellzeichnung.
BITTE EINFÄRBEN
Das legt nahe, dass 2022 durchaus einmal in den Farbtopf gegriffen werden darf. Auch bei Wänden. Und auch mal extravagant. So erzählen etwa Tapeten der französischen Marke Élitis ebenso bunt wie clever Geschichten
und machen dabei auch eine gewisse Sehnsucht nach Farbe deutlich. Fasst man dabei die von Herstellern proklamierten Farbtrends zusammen (Grün-, Blau- und Erdtöne), merkt man schnell, dass Farben im Jahr drei mit Corona vor allem beruhigen sollen.
Aber bitte so, dass man vor lauter Entspannung nicht einschläft. Dafür bieten sich Farbakzente an, die mit Fingerspitzengefühl eingesetzt werden sollten, so Santorso: »Die können ruhig poppig sein – sie dienen als
Muntermacher, aber sie sollten auch langfristig funktionieren.« Und es kommt natürlich auch immer auf den Kontext an, in dem die Farbe eingesetzt wird. »Wir denken doch, dass es so etwas wie ein tiefes Farbwissen in unserer Gesellschaft gibt«, ist sich Karin Santorso sicher und geht ins Detail: »Hellgrau und Erdfarben beruhigen, beleben aber auch und sind mit allen anderen Farben kombinierbar. Sie bieten Bühne und Kontrast gleichzeitig.«
»Farbe ist nicht gleich Farbe. Material und die Oberflächenbeschaffenheit spielen eine wesentliche Rolle, wie etwas wirkt.« BARBARA AMBROSZ & KARIN SANTORSO Designerinnen, lucyd.com