»UNSER TURM IST DER HÖCHSTE UND DER SCHÖNSTE!«
Neben der Autobahnabfahrt in St. Marx wird gerade das Hochhaus »the one« hochgezogen – ein komplexes Projekt mit 412 Wohnungen und klarerweise vielen Kompromissen im jahrelangen Planungsprozess. Doch wie genau hat die Zusammenarbeit ausgesehen? Dazu haben
RESIDENCES Das Stadtentwicklungsprojekt »The Marks« ist ein Kooperationsvorhaben mehrerer Bauträger und Architekt:innen. Wie genau kam Ihre Partnerschaft zustande?
LINA STREERUWITZ Ganz zu Beginn gab es ein städtebauliches kooperatives Planungsverfahren, an dem wir uns beteiligt haben. Im Anschluss wurde ein städtebaulicher Architekturwettbewerb ausgeschrieben, den wir mit unserem Projekt in der ersten Stufe gewinnen konnten. Das Spannende war, dass wir mit dem zweitplatzierten Büro, Rüdiger Lainer + Partner, und dem drittplatzierten Büro, BEHF Architects, daraufhin in die zweite Stufe gegangen sind. Im Anschluss an die städtebauliche und architektonische Konzeption schließlich wurde das Projekt neben der A23-Abfahrt auf den Markt gebracht. GEHBAUER Da kamen wir ins Spiel. Die MCM Modecenter Großhandelsgesellschaft, vertreten durch Ariel Muzicant, hatte die Vision, eine Gruppe von Bauträgern zusammenzustellen, die einander kennen und die sich vorstellen können, das Projekt gemeinsam zu realisieren. Alles in allem also hat sich der kooperative Charakter also vom Anfang bis zum Ende komplett durchgezogen!
Es gab vier Bauträger für drei Türme. Wie hat die Aufteilung ausgesehen?
MICHAEL GEHBAUER Für den gemeinnützigen Bauträger Neues Leben und uns war klar, dass wir so einen großen Turm nicht im Alleingang stemmen wollen. Also haben wir beschlossen, unseren Tower »the one« gemeinsam zu errichten. Die anderen beiden Bauträger, ÖSW und Buwog, haben ihre Türme selbstständig hochgezogen.
Die WBV-GPA entwickelt immer wieder Projekte in Kooperation mit Partnern. Warum in diesem Fall?
GEHBAUER Im Gegensatz zu unseren meisten Projekten, die wir gefördert errichten, handelt es sich hier um ein freifinanziertes Projekt, bei dem die Wohnungen zum Teil freifinanziert verkauft beziehungsweise nach dem Modell der Wohnbau-Initiative vermietet werden. Als gemeinnütziger Bauträger liegt unser Fokus am geförderten Wohnbau, daher haben wir es als unsere Pflicht gesehen, uns risikoavers zu positionieren und das Risiko auf zwei Bauträger aufzuteilen.
Ein Architekturbüro, zwei Bauträger: Wie war das für Sie?
STREERUWITZ Das Tolle ist: Beide Bauträger sind für ihr Qualitätsbewusstsein sowie für ihre Souveränität und Handschlagqualität bekannt. Gleichzeitig aber haben wir in einigen Momenten doppelte Arbeit geleistet, weil wir bei entscheidenden Fragen alles zwei Firmen präsentieren und zum Teil zwei unterschiedliche Geschäftsführermeinungen koordinieren und zusammenführen mussten. Die Kommunikation über mehrere Ecken ist nicht immer lustig. Aber letztendlich hat es gut geklappt.
GEHBAUER Ich denke, das liegt in der Natur großer Projekte – denn es gibt Geschäftsführer:innen, Projektsteuer:innen, Projektleiter:innen, und die Entscheidungsprozesse gehen hier über mehrere Hierarchien. Zudem sprechen wir hier ja nicht nur von einem Einzelprojekt, sondern von einem Ensemble aus drei Türmen mit vielen Involvierten. Aber ich verstehe, dass die Kommunikation bei einem komplexen Bauvorhaben wie »the one« für Sie als Architekt:innen nicht immer einfach ist. Ich beneide Sie keineswegs!
Welche Wünsche, Qualitäten, Besonderheiten waren Ihnen denn besonders wichtig?
STREERUWITZ Wichtig waren uns die städtebauliche Einfügung ins Areal, eine gewisse Ästhetik in der Fassade und ein gute Dreiteilung des Turms, um die große Masse von insgesamt 412 Wohnungen gut proportionieren zu können. Aber fast am wichtigsten, um ehrlich zu sein, war uns eine gute, lebendige Erdgeschoß-Zone, denn hier ist die Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Raum – und die muss einfach gut gelöst sein. GEHBAUER Wir wollten von Anfang an ein Hochhaus mit hochwertigen Wohnungen und einer tollen Aussicht auf die Stadt, die für
möglichst viele Menschen leistbar sein sollte. Ein großes Vorbild war außerdem der »Bosco Verticale« von Stefano Boeri in Mailand. Wir hätten uns umlaufende Balkone mit einer begrünten, automatisch bewässerten Bepflanzung gewünscht. Das war in dieser Form leider nicht wirklich finanzierbar und realisierbar. STREERUWITZ Das klingt zwar sehr wünschenswert, aber der »Bosco Verticale« hat einige eklatante Nachteile und ist in der Pflege und Bewässerung sehr aufwändig. Eine so intensive Begrünung war eigentlich nie Teil des Konzepts. Wir hatten eher ein leichtes, luftiges, metallisches Hochhaus im Kopf.
Große Projekte verändern sich im Laufe der Zeit. Welche Kompromisse mussten Sie eingehen? STREERUWITZ Tatsächlich hatten wir ursprünglich eine Metallfassade geplant, die an einigen Stellen die Balkone raumhoch eingehüllt hätte, um sie vor Wind und Sonne zu schützen und auch etwas mehr Behaglichkeit zu schaffen.
Das wäre wie ein Schleier gewesen, mit spannenden, transluzenten Raumstimmungen. GEHBAUER Für die Strabag, die hier als Generalunternehmer fungiert, war das zu teuer und zu aufwändig. Sie hat unter anderem eine Betonfassade mit Fensteröffnungen vorgeschlagen.
STREERUWITZ Das wäre für uns niemals in Frage gekommen! Wir haben daraufhin eine schöne Lösung mit einer niedrigen durchlaufenden Betonbrüstung entwickelt, aber das war schon ein ziemlicher Trennungsschmerz.
Wie zufrieden sind Sie mit der jetzigen Lösung? Auf einer Skala von null bis zehn? STREERUWITZ Jetzt, nachdem der Trennungsschmerz überwunden und verarbeitet ist, würde ich sagen: acht bis neun.
Gab es sonst noch Kompromisse?
STREERUWITZ Ja, und zwar die Farbe in den Stiegenhäusern. Wir haben uns an der Klaviatur der Farben von Le Corbusier angelehnt und wollten den Bewohner: innen einen ansprechenden, sympathischen Raum bieten. Auf Wunsch der Bauherrschaft haben wir das Konzept etwas abgedämpft und eine sanfte Farbpalette entwickelt, die jeden Gang einzigartig gemacht hätte.
GEHBAUER Das konnten wir in dieser
Form nicht realisieren. Das hat einerseits mit Aspekten von Pflege, Reinigung und Ausbesserungsarbeiten zu tun. Andererseits berufen wir uns hier auch auf unsere langjährige Erfahrung als Wohnbauträger: Farbe ja, aber bitte nicht im unmittelbaren Bereich vor der Wohnung, denn irgendwo fängt die Privatsphäre der Mieter und Eigentümerinnen an! Wir haben uns nun darauf geeinigt, in den Liftfoyers das Farbkonzept von StudioVlayStreeruwitz anzuwenden, in den einzelnen Stichgängen zu den Wohnungen aber die Wände klassisch weiß auszumalen. Dafür haben wir jetzt ein schönes KunstamBauProjekt von Katrin Plavček.
Frau Streeruwitz, vom städtebaulichen Masterplan bis zur Schlüsselübergabe zieht sich so ein Projekt über viele Jahre. Wie plant man so einen Turm, um als Architektin auch auf kurzfristige Änderungen reagieren zu können? STREERUWITZ Sie sagen es! Wir haben uns um einen großen Stützenraster bemüht, damit einzelne Wohnungen oder sogar ganze Stockwerke eines Tages – wer weiß, was die Zukunft bringt? – mit wenig Aufwand beispielsweise in Büros umgebaut werden können. Außerdem hat sich im Laufe der Zeit herausgestellt, dass die Leute nicht nur nach kleinen, sondern vor allem auch nach größeren Familienwohnungen mit bis zu fünf Zimmern suchen. Die Struktur dieses Hauses hat auch solche kurzfristigen Änderungen zugelassen, und darauf sind wir sehr stolz.
GEHBAUER Ja, das hat echt super geklappt. Wir haben nun Wohnungen mit knapp über 30 bis hin zu 130 Quadratmetern Wohnnutz
fläche. Hinzu kommt, dass wir einen Mix aus Eigentum, Miete mit Kaufoption sowie Wohnungen aus dem Wohnbau-Call haben. Die Range ist echt groß.
Wie wurde der Projektname »the one« gefunden?
GEHBAUER Mit 126 Metern und 38 Obergeschoßen ist unser Turm der höchste. Und natürlich auch der schönste!
»the one« suggiert Einzigartigkeit und Superlative. Kann der Turm dieses
Versprechen einlösen?
GEHBAUER Natürlich! Denn es geht nicht nur um die Höhe, sondern vor allem auch um die Identifizierung mit dem Projekt. Es geht um das Gefühl: Ja, das ist der eine Turm, nach dem ich gesucht habe! Das ist genau die Wohnung, die perfekt zu mir passt! STREERUWITZ Diese Beziehung, diese Identifizierung ist etwas Wunderschönes. Wenn diese Beziehung eintritt, wovon wir ausgehen, dann wird sich das auch auf die Nachbarschaft und die Community im Gebäude auswirken. Das ist gut für die soziale Durchmischung.
Sie mussten bei diesem Projekt auch strenge Auflagen im Rahmen des städtebaulichen Vertrags mit der Stadt Wien erfüllen.
Was zum Beispiel?
GEHBAUER Das ist ein Mix von Auflagen, die den Grundstückseigentümer und Wettbewerbsauslober
betreffen, und solchen, die wir als Errichter zu erfüllen haben. Die Auflagen des städtebaulichen Vertrags umfassen Selbstverständlichkeiten wie etwa Freiflächen, Gemeinschaftsräume und eine gemeinsame Erdgeschoß- und Sockelzone mit öffentlicher Nutzung, aber auch die Zurverfügungstellung von Entwicklungsflächen.
Das heißt?
GEHBAUER Wir müssen Gewerbeflächen zur Verfügung stellen, die zu einem niedrigen Mietzins angemietet werden können. Weiters wurde gefordert, rund 50 Prozent der Wohnungen zu förderungsähnlichen Konditionen in Form leistbarer Miete anzubieten. Das haben wir auch gemacht.
Was war denn ein besonders schöner Moment in der Projektpartnerschaft?
GEHBAUER Für mich war das die Grundsteinlegung
einer der wenigen schönen Augenblicke im Corona-Lockdown. Das hat mich sehr bewegt.
STREERUWITZ Für mich war es der Moment, als wir zum ersten Mal im Rohbau der 18 Meter hohen Lobby gestanden sind und nach oben geschaut haben. Das war ein Wahnsinn!
Sie arbeiten nun seit vielen Jahren zusammen. Welches Kompliment möchten Sie einander aussprechen?
STREERUWITZ Ich habe erfahren und erkannt, wie wichtig Ihnen dieses Projekt ist und wie sehr Sie auf die Qualität von Wohn- und Lebensräumen achten und drängen. Das hat mich sehr beeindruckt, und ich freue mich, dass wir hier unseren Beitrag dazu leisten konnten. GEHBAUER Mir hat sehr imponiert, als Sie uns immer wieder zurückgespiegelt haben: Herr Gehbauer, das wollten ja Sie! Das waren Ihre Wünsche und Forderungen! Das zeigt mir, dass Sie als Architektin mit Ihrer Beharrlichkeit und Ihrer strengen Konsequenz immer auch in unserem Interesse als Wohnbauträger gehandelt haben. Dafür möchte ich mich bedanken.
»Aber am wichtigsten war uns eine gute, lebendige Erdgeschoß-Zone, denn hier ist die Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Raum.« LINA STREERUWITZ
Wird es bald wieder eine Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden geben? STREERUWITZ Wenn sich die Gelegenheit ergibt, gerne wieder!
GEHBAUER Das kann ich mir gut vorstellen.