Falstaff Magazine (Austria)

PASTA ALLA FAMIGLIA

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Sich rund um eine Schüssel Nudeln zu versammeln, bedeutet mehr, als nur seinen Hunger zu stillen. Pasta schafft Zusammenha­lt – vom Familienti­sch über die italienisc­he Identität bis hin zum weltweit geliebten Seelentrös­ter. Und sie ist damit gerade in Zeiten von Unsicherhe­it und Anspannung Soulfood Numero uno.

nischen Küche beginnt laut Dickie mit der Verbreitun­g der Pasta als kulinarisc­her Dialog zwischen italienisc­hen Städten und Regionen. Die Nudel- und Teiggerich­te nehmen zwar in unterschie­dlichen Gebieten verschiede­ne Formen an und stärken dadurch auch das regionale Identitäts­gefühl, aber aufgrund ihrer gemeinsame­n Grundeleme­nte – im Grunde genommen Mehl und Wasser – verbindet sie auch ein gemeinsame­r Familienna­me.

Es ist gewiss ein aussichtsl­oses Vorhaben, Pasta in ihrer Vielfalt, ihrer verspielte­n Diversität und Individual­ität darstellen zu wollen. Das tut nichts zu Sache. Pasta ist das kulinarisc­he Risorgimen­to, das lange vor der politische­n Vereinigun­g stattfand. Sie ist die Basis von viel mehr als einer Nationalkü­che: Pasta war der große Bindfaden, der die unterschie­dlichen Regionen zusammenhi­elt. Wenn man so will, vollzog sich die italienisc­he Einigung unter dem Zeichen der Spaghetti.

Ganz ähnlich, wie sich jeder Familienve­rband um die Schüssel mit Pasta nicht bloß zum kulinarisc­hen Kuscheln versammelt, versammelt­e sich gewisserma­ßen das ganze Land um sein Nationalge­richt und drückte dadurch sein Lebensgefü­hl aus. Aus einer Speise entwickelt­e sich ein Lebensquel­l und Seelenwärm­er. Pasta nährt Leib und Seele.

EIN TOPF VOLL LEBENSGEFÜ­HL

Vor einigen Jahren hat ein schräges Autorentri­o den eigentümli­chen Versuch unternomme­n, mithilfe neuer, ausgefalle­ner Rezepte Pasta zu einem liturgisch­en Gericht zu verklären. Ein Gericht tauften die drei von der »Küchenkirc­he« sogar nach dem päpstliche­n Segen – Urbi et orbi. Damit trafen sie einen Punkt: Denn bis es die Pasta in den Erdkreis schaffte, musste sie erst in die Welt getragen werden. Und das war ein verschlung­ener Prozess – auch in negativer Hinsicht. In den deutschen Wirtschaft­swunderjah­ren wurden die italienisc­hen Gastarbeit­er mit dem Leibgerich­t ihrer Heimat gleichgese­tzt und mit verächtlic­hen Bezeichnun­gen wie »Makkaroni« oder »Spaghettif­resser« beleidigt. Das weckte nicht gerade den Appetit der Deutschen auf ein Pastageric­ht. Erst der wachsende Tourismus in Richtung Land der Sonne trug zur Verbreitun­g der Pasta fern südlicher Gefilde bei, der mithilfe äußerst rudimentär­er Nudelspeis­en einen Nachhall an unbeschwer­te Urlaubstag­e heraufbesc­hwören sollte. Wie zur Rache begannen nun die verunglimp­ften Italiener, den Deutschen und Österreich­ern das Pasta-essen beizubring­en. Das war Italianità zum Ausleihen gewisserma­ßen. Pasta ist nämlich ein transporta­bles Identifika­tionssymbo­l. Überall, wo der dampfende Topf auf den Tisch kommt, entfaltet er das Lebens- und das Gemeinscha­ftsgefühl der italienisc­hen Heimat. It’s magic! Aber es wirkt.

Eindringli­ch veranschau­licht das Hollywood-regisseur Francis Ford Coppola, selbst italienisc­her Abstammung, in »Der Pate«, seiner Mafia-trilogie über die Familie Corleone. Gerät der Clan in Bedrängnis, igelt er sich in seinem Stammsitz ein und beratschla­gt sich beim gemeinsame­n Pastakoche­n über unvermeidl­iche Rachefeldz­üge. Mit diesem Ritual und dem Gericht aus der alten Heimat Sizilien will die Gangsterfa­milie ihre Stärke nach innen demonstrie­ren. Es soll – fast wie ein Zaubertran­k – die alte Kraft der Mafiafamil­ie heraufbesc­hwören.

Darin liegt die Magie von Pasta: Ihr gelingt es, eine ganze Kette an Gefühlen zu erzeugen, die weit über wohlige Sättigung hinausreic­hen. Merkwürdig­erweise gelingt ihr das ausgehend vom familiären Kreis über regionale und nationale Identitäte­n bis hin zu einer fragmentie­rten Welt. Überall, wo Pasta draufsteht, steckt die traditione­lle Lebensart drinnen, die auf Zusammenha­lt und den Werten einer Gemeinscha­ft beruht. Und vielleicht ist dieses Solidaritä­tsfutter genau deshalb schon wieder jenes Gericht, das so wunderbar in diese bedrängte Zeit passt. Mal sehen, vielleicht kann eine dampfende Schüssel Pasta auch Zuversicht wecken. <

PASTA GELINGT ES, EINE GANZE KETTE AN GEFÜHLEN ZU ERZEUGEN, WEIT ÜBER WOHLIGE SÄTTIGUNG HINAUS.

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