EIN EI FÜR ALLE FÄLLE
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Saucen, Drinks, Patisserie: Das Ei ist die Allzweckwaffe für Genießer, es verfeinert und definiert etliche Klassiker – und zwar längst nicht nur zur Osterzeit. Über Grundlagen und Geheimtipps im Umgang mit dem ovalen Wundermittel.
Was haben ein Whisk(e)y Sour, ein Windbeutel und eine Sauce hollandaise gemeinsam? Versuchen Sie eines davon mal ohne Ei zu machen – viel Spaß beim Scheitern! Im ersten Fall schenkt ein Eiweiß dem Drink feinporigen, cremigen Schaum und samtige Textur. Federleichte Windbeutel gehen auch dank der im Brandteig eingerührten Eier im Ofen so fluffig auf. Und in der Hollandaise wiederum bindet Eigelb die Wassertröpfchen der Butter und verleiht der Sauce die Sämigkeit, die sie auszeichnet. Wenn man so will, sind Eier Säge, Hammer und Zange in einem – das Universalwerkzeug für alle Genusshandwerker.
Kein Konditor kann auf sie verzichten, kein Koch, kein Barkeeper ohne sie arbeiten; selbst Winzer brauchen bisweilen die Hilfe des ovalen Wundermittels: Die Traditionalisten unter ihnen klären ihre Weine mit Eiweiß, das heißt, sie entziehen damit Trubund Gerbstoffe. (Das geht auch ohne Ei oder die häufig verwendete Gelatine, weshalb auf manchen Flaschen der Zusatz »vegan« zu lesen ist. Aber das nur am Rande.)
EIER GLOBAL
Universal sind Eier auch deshalb, weil es wohl kaum eine Region der Erde gibt, in der sie keine Rolle spielen. Aufsehenerregend sind die »Hundertjährigen Eier«, manchmal auch »Tausendjährige Eier« genannt, die ursprünglich aus China stammen, aber in vielen asiatischen Ländern populär wurden. Es handelt sich dabei um Eier, meist von Enten, die über Wochen bis Monate in einer Mischung aus Asche, gebranntem Kalk, Gewürzen und Reisspelzen eingelegt werden. Mit der Zeit wandert das Material durch die Schale und löst eine chemische Reaktion aus; im Ergebnis verfärben sich Eigelb und Eiweiß dunkel, und die Konsistenz verändert sich zu einer gallertartigen Masse. Gekonnt angerichtet, sieht das sehr ästhetisch aus. Der Gesundheit soll es ebenfalls zuträglich sein, Eier sind ohnehin gesund und enthalten viele Mineralstoffe und Vitamine – das noch immer kursierende Gerücht, sie seien der Grund für hohe Cholesterinwerte, wurde mehrfach in renommierten Studien widerlegt. Was den Geschmack der »Hundertjährigen Eier« angeht, scheiden sich die Geister hinge
E
IER SIND DAS UNIVERSALWERKZEUG FÜR GENUSSHANDWERKER, SELBST WINZER KOMMEN BISWEILEN NICHT OHNE SIE AUS.
»PROBIEREN SIE EIN MIT ZUCKER UND SALZ GEBEIZTES EIGELB MAL ALS GEWÜRZ, DAS SIE ÜBER FISCH RASPELN.« TOHRU NAKAMURA ZWEI-STERNE-KOCH
gen – zumindest außerhalb Asiens. Manche lieben die würzigen Aromen, andere stören sich an den Ammoniaknoten.
ZWEIERLEI EI IM »BENEDICT«
Zugänglicher sind andere Zubereitungsarten, die auf der ganzen Welt Millionen Fans haben. Das aus Israel stammende Frühstücksrestaurant »Benedict« etwa hat seinen Namen von einer der beliebtesten Ei-zubereitungsarten: Wenn gerade keine Pandemie ist, gibt es an den Standorten in Tel Aviv und Berlin rund um die Uhr Frühstück – und es versteht sich, dass fast immer Eier im Spiel sind, etwa die namensgebenden Eggs Benedict, also pochierte Eier mit Sauce hollandaise (worauf es bei einer gelungenen Hollandaise ankommt, steht im Kasten auf S. 128). Omelettes in allen Varianten und Pancakes stehen ebenfalls auf der Karte.
Beides gelingt übrigens besonders locker und fluffig, wenn man einen Klecks Mayonnaise in den Teig gibt, sagt einer von Deutschlands besten Köchen, Tohru Nakamura, Zwei-sterne-zauberer aus München, der sich dank seiner japanischen Wurzeln auch mit asiatischen Einflüssen befasst. So nutzt er für seine Speisen bisweilen etwa ein Onsen-ei, das er eine Stunde im Wasserbad bei 63 Grad Celsius gar ziehen lässt. Die Methode rührt von den heißen Quellen her, die sich über Japan verteilen und auf Japanisch »Onsen« heißen. Werden die Eier in diesem Wasser gegart, gerinnen Eiweiß und Eigelb langsam und geraten vollendet cremig, das Ei gleitet förmlich aus der Schale.
Überdies setzt Nakamura Eigelb manchmal als Gewürz ein, indem er es mit Salz und Zucker beizt und anschließend über Blumenkohl oder Fisch raspelt. Torsten Michel, Drei-sterne-küchenchef der legendären »Schwarzwaldstube« in Baiersbronn, krönt schon mal ein Pilzkompott mit einem in geklärter Butter langsam gegarten Eigelb – das ist dann schon die hohe Kunst der Eierzubereitung.
Wobei man sagen muss: Es hat seinen Grund, warum viele Azubis in der Küche zunächst ein Spiegelei braten müssen. Ein feinfühliger Umgang mit Hitze zeigt sich in der vermeintlich simpelsten Speise der
Welt. Selbst ein Starkoch wie Gordon Ramsay war sich nicht zu schade, am perfekten Rührei zu tüfteln. Sein Tipp: Ein Stück Butter mit den Eiern schon in der kalten Pfanne verquirlen und dann langsam erhitzen, rühren und immer wieder von der Platte nehmen, »wie ein Risotto«. Auf alle Fälle sollte man vermeiden, die Mischung zu großer Hitze auszusetzen, dann passiert nämlich das, was nicht passieren darf: Sie wird trocken und bröselig. Wobei Ramsay das schon allein durch einen beherzten Klecks Eiweiß verhindert, den er kurz vor dem Servieren und Würzen unterzieht.
Wer mit Eiern arbeitet, lernt »Demut vor dem Produkt«, findet auch Tohru Nakamura. Die chemischen Eigenschaften von Eiern, übrigens bei jenen von Hühnern genauso wie bei jenen von Wachteln oder anderen Vögeln, machen sie zwar zur begehrten Zutat – besonders in der Osterzeit (siehe auch Interview auf Seite 226) –, doch muss man sich ihnen behutsam nähern. Etwa, wenn man sie als Emulgator
einsetzt, um zwei ursprünglich nicht mischbare Flüssigkeiten zu vereinen. Vor allem für die Emulsion von Fett und wasserhaltigen Flüssigkeiten ist Eigelb dank der reichlich enthaltenen chemischen Verbindung Lecithin prädestiniert: etwa für Hollandaise oder Mayonnaise (siehe Kasten rechts).
Zu viel Respekt sollte man aber auch wieder nicht haben, nur eine generelle Regel beachten: Temperaturkontrolle ist das A und O, damit die Zutaten wirklich nur gebunden werden und die Eier nicht stocken. Das gilt für eine Carbonara genauso wie für ein Parfait oder eine Vanillesauce, die man zur Rose abzieht – also so weit erhitzt, dass sie sämig wird, aber nicht gerinnt. Der kritische Punkt beginnt ab circa 65 Grad Celsius, weshalb ein nicht zu heißes Wasserbad und eine langsame, kontrollierte Temperaturerhöhung entscheidend sind.
MAXIMALE QUALITÄT
Eine vermeintliche Selbstverständlichkeit soll zum Schluss nicht vergessen werden:
Die Qualität des Grundprodukts ist von maximaler Bedeutung und hängt natürlich eng zusammen mit seinem Erzeuger, dem Huhn. »Ich plädiere dafür, dass man sein Gewissen an der Kasse nicht ausschaltet«, sagt Tohru Nakamura. Und Torsten Michel meint: »Man schmeckt es wirklich, wenn Eier von frei laufenden Hühnern aus Biohaltung kommen.« Seit einiger Zeit sind zudem Initiativen präsent, die sich dem Schutz der männlichen Küken (»Bruderhahn«) verschrieben haben. Vielerorts müssen diese nämlich sterben, weil sie für die Eierindustrie nutzlos sind. Wahre Genießer denken also weiter als nur bis zum nächsten Ei. <
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