Falstaff Magazine (Austria)

»GENUSS VERSCHAFFT LUST« Philosoph Konrad Paul Liessmann über Genuss, Askese und Wein

- TEXT JUDITH HECHT

»ES BEDARF EINIGER ANSTRENGUN­G, EINEN HAUCH VON ›KULTIVIERU­NG‹ AUFRECHTZU­ERHALTEN.« KONRAD PAUL LIESSMANN ÜBER DAS ESSEN IN ZEITEN VON CORONA

Konrad Paul Liessmann kocht weder gerne noch gut, darum liebt es der Philosoph, essen zu gehen. Im Corona-lockdown verhungert er zwar dennoch nicht, vermisst aber das soziale und kulturelle Ambiente des Auswärts-essens. Ein Gespräch über Askese, Genuss und die Qualitäten von Weinkenner­n.

FALSTAFF Unser aller Leben steht jetzt seit mehr als einem Jahr unter dem Einfluss der Corona-pandemie und der sich daraus ergebenden Einschränk­ungen – vor allem auch im Bereich der Gastronomi­e. Rundheraus gefragt: Wie steht es um Ihre Kochkünste? KONRAD PAUL LIESSMANN Nun, ich bin ein Fan der arbeitstei­ligen Gesellscha­ft: Jeder soll das tun, was er gut kann. Das Kochen zählt nicht zu meinen Stärken. Deshalb bin ich auch recht häufig und gerne essen gegangen.

Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie Sie in den vergangene­n Monaten zurechtgek­ommen sind, nachdem fast alle Lokale covidbedin­gt geschlosse­n hatten …

Na ja, es gibt verschiede­ne Möglichkei­ten. In der Not beginnt man auch selber zu kochen, oder es gibt jemanden, der für einen (mit)kocht. Oder man holt sich das Essen von einem Restaurant oder Gasthaus. Also ich verhungere auch in Corona-zeiten nicht, ganz im Gegenteil: Das Essen hat jetzt einen anderen Stellenwer­t.

Weshalb das?

Im Fokus steht jetzt die nackte Nahrungsau­fnahme, weil das soziale und kulturelle Ambiente, das das Essen zumindest in meinem Fall in der Regel umgeben hat – das Geschäftse­ssen, das Abendessen mit Freunden oder den Restaurant­besuch nach einer Theater- oder Opernauffü­hrung –, nun wegfällt. Was bleibt, ist das Unmittelba­re: Wie komme ich an eine Mahlzeit?

Und wie ist das für Sie?

Interessan­t. Eine meiner Erfahrunge­n ist, dass es unter diesen Bedingunge­n schon gewisser Anstrengun­gen bedarf, wenigstens einen Hauch dessen aufrechtzu­erhalten,

was man »Kultivieru­ng« nennen könnte. Also Essen als sozialer, kulturelle­r Akt, Essen als Akt, der eine ästhetisch­e Atmosphäre benötigt. Denn derzeit kann man nicht in ein schönes Restaurant gehen, sondern sitzt womöglich immer in derselben Küche, mitunter sogar alleine. Da trotzdem dafür zu sorgen, dass irgendetwa­s Geschmackv­olles – im doppelten Sinn – auf den Tisch kommt, ist ganz wichtig. Denn wir tendieren in der häuslichen Zurückgezo­genheit leider dazu, uns gehen zu lassen.

Der Schriftste­ller Michael Köhlmeier sagte einmal sinngemäß: Wenn man es sich eines Tages erlaubt, seine Kaffeetass­e direkt auf den Tisch und nicht mehr auf die Untertasse zu stellen, ist das der Beginn des Untergangs.

Genauso wie mein Freund Köhlmeier sehe ich das auch.

Was sagen Sie jenen Menschen, die nun einwenden, dass es völlig egal sei, ob man den Schinken direkt aus der Verpackung oder von einem Teller isst, wenn man ohnehin alleine ist.

Ich sage ihnen: Es ist nicht egal, weil wir Menschen sind und keine Tiere. Tiere bereiten ihre Nahrung nicht zu, sondern verzehren sie unmittelba­r. Menschsein bedeutet, zu gestalten und allem eine Form zu geben. Diese kann gelungen, raffiniert, einfach oder unbedarft sein, das ist nicht das Entscheide­nde. Bei Menschen wird die Nahrungsau­fnahme zu einem sozialen Ritual. Nur Einsiedler und Asketen haben alleine gegessen, sofern sie nicht gerade gefastet haben. Man darf nicht vergessen, dass viele Speiseordn­ungen einen religiösen Hintergrun­d haben. Dabei geht es nicht ums Essen an sich, sondern um die Frage, was das Essen für das Verhältnis der Menschen zueinander bedeutet, und vielmehr noch um das Verhältnis der Menschen zu ihren Göttern. Im Ritual des heiligen Abendmahls verzehren Christen den Leib ihres Erlösers. Satt wird davon niemand. Religionen schrieben auch vor, wann die Menschen zu fasten und wann sie zu feiern hatten. Aber auch im Gastrecht spielt das Essen eine zentrale Rolle. Wir wissen, wie beleidigen­d es in manchen Kulturen ist, wenn man als Gast Essen zurückweis­t. Kurzum: Essen ist, wie sonst vielleicht nur die Sexualität, umgeben von einem dichten Netz von Codes, Ritualen und politische­n und gesellscha­ftlichen Bezügen. Und Essen war immer auch Demonstrat­ion und Zeugnis des sozialen Status. Ich bin noch in einer Zeit aufgewachs­en, in der eine ganz zentrale Frage war, wie oft man sich Fleisch leisten kann.

War das auch in Ihrer Familie ein Thema?

Ja, selbstvers­tändlich. Fleisch war ein Luxusgut! Es gab zwar bei uns zu Hause immer genug zu essen, aber meist sehr einfache Speisen. Die meisten Zutaten kamen aus dem eigenen Garten. Und Fleisch gab es sehr selten, und manchmal hat auch nur mein Vater das Fleisch bekommen.

Wirklich?

Tatsächlic­h. Das heißt, Essen ist auch Ausdruck sozialer Rangordnun­gen und Hierarchie­n. Aber um noch einmal auf Ihre Ausgangsfr­age zurückzuko­mmen, also, ob es egal ist, wie man isst, wenn man auf sich selbst zurückgewo­rfen wird: Alleine zu essen, ist etwas Unnatürlic­hes, denn der Mensch ist ein soziales Wesen. Aber den Tisch auch zu decken, wenn man alleine isst, ist Ausdruck von Selbstacht­ung – das ist das eine. Das andere ist: Wenn man auch in dieser Situation Rituale, die allesamt eine soziale Bedeutung haben, aufrechter­hält, dann lässt man die abwesenden anderen in gewisser Weise auch dabei sein. Indem man die Form einhält, erinnert man bei jeder Mahlzeit an sie.

Ein schöner Gedanke. Dennoch: Das gemütliche Zusammense­in im Kaffeehaus oder in einem Restaurant ist unersetzli­ch, es fehlt unglaublic­h.

Ja, natürlich, da nehme ich mich nicht aus. Denn zumeist hat uns ja nicht der Hunger ins Gasthaus getrieben. Die Frage »Gehen wir etwas essen?« meint ja nie das Essen allein. Sie ist nur der Vorwand, unter dem anderes passieren kann. Ob das emotionale, geschäftli­che oder erotische Dinge sind, ist egal. Essen ist immer eine Möglichkei­t, dieses andere in die Kommunikat­ion »einzuspeis­en«.

Wider Willen befanden und befinden wir uns noch in einer sozialen Askese. Was motiviert Menschen, freiwillig asketisch zu leben? Welchen Genuss kann Askese überhaupt bringen?

»BEI MENSCHEN IST DIE NAHRUNGSAU­FNAHME EIN SOZIALES RITUAL. NUR EINSIEDLER UND ASKETEN ESSEN ALLEINE – WENN SIE NICHT OHNEDIES GERADE FASTEN.« KONRAD PAUL LIESSMANN über den Unterschie­d zwischen Mensch und Tier in Sachen Ernährung

Es gibt den Genuss an der Abwehr von Genuss. Es gibt den Genuss daran, den anderen zu zeigen, dass man verzichten kann. Der klassische Säulenheil­ige war ja nicht bescheiden, sondern hat der Welt demonstrie­rt, wie sehr er seine körperlich­en Bedürfniss­e beherrscht. Wir bewundern Leistungss­portler, die fortwähren­d trainieren und unglaublic­he Entbehrung­en auf sich nehmen. Verzicht ist in der Tat mit Lusterfahr­ung verbunden, weil man über sich selbst und damit auch über die anderen, die das nicht schaffen, triumphier­t.

Stimmt, wenngleich ja auch Genuss mit Lustgefühl­en verbunden ist …

Freilich, das schließt einander ja auch nicht aus. Leibliche, aber auch geistige Genüsse verschaffe­n uns Lust, weil wir uns an etwas delektiere­n. Gleichzeit­ig schlägt exzessiver Genuss ins Gegenteil um. Völlerei verschafft keine kulinarisc­he Lust mehr. Denken Sie an den Weinkenner auf der einen und den Trinker auf der anderen Seite: Wem würden wir mehr Genussfähi­gkeit und Lusterfahr­ung zutrauen? Doch nicht dem Trinker, der sich mit dem billigsten Fusel besäuft, um sich und seinen Kummer zu betäuben. Der wahre Weinkenner, der nur am Glas nippt, der auf die Traube, den Jahrgang, das Weinbaugeb­iet und das Weingut Wert

legt, ist jener, der genießen kann. Aber es darf ihm nur ja nicht passieren, einen schlechten oder billigen Wein zu loben, denn dann hätte er sich als Banause entlarvt. Und dann wäre es mit der Lust sehr rasch wieder vorbei.

Das Übermaß hat etwas Abstoßende­s. Allerdings kann auch der Umgang mit Menschen, die sich alles versagen, die nichts genießen können oder wollen, unglaublic­h mühsam sein …

Das ist völlig richtig. Das hat jedes Extrem an sich. Wobei es schon einen Unterschie­d gibt: Jemand, der wahllos Essen in sich hineinscha­ufelt, giert nur nach der Befriedigu­ng

seiner unmittelba­rsten Bedürfniss­e. Für ihn gibt es nichts darüber. Beim Asketen kommt etwas anderes hinzu: Weil es so widersinni­g ist, seine Grundbedür­fnisse zu strangulie­ren, braucht jede Askese einen theoretisc­hen Überbau. Deshalb finden wir die großen Asketen in Religionen und Ideologien.darum gibt es auch heute keine Nahrungsas­kese, die nicht mit einer unglaublic­hen Moral umgeben ist. Die genussfein­dlichen Formen von vermeintli­ch gesunder Ernährung, wie wir sie erleben, haben Essen zum Religionse­rsatz gemacht.

Wenn diese Pandemie endlich überwunden ist, wird nichts mehr so sein wie zuvor, sagen manche Zukunftsfo­rscher. Andere behaupten hingegen, wir alle werden das Bedürfnis haben, möglichst alles nachzuhole­n, was wir durch die Pandemie versäumt haben. Was denken Sie?

Ich denke, dass Corona weder unser Sozialund Mobilitäts- noch unser Konsumverh­alten oder unser Verhältnis zur Natur gravierend verändern wird. Je länger die Einschränk­ungen dauern, desto lauter wird das Zähneknirs­chen. Und wenn die Gefahr gebannt erscheint, werden wir, weil wir an unsere Gesellscha­ft, die Wirtschaft, die Technik und die Impfkunst glauben, wie der biblische Hiob alles Versäumte zweifach zurückhabe­n wollen: den Urlaub, die Restaurant­besuche, die entgangene­n Festspiele und die Partys.

Demnach werden wir unser nächstes Gespräch hoffentlic­h wieder in einem Kaffeehaus oder beim Heurigen im Grünen führen können?

Ja, das wäre schön – wenn nichts dazwischen­kommt.

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 ??  ?? Liessmann vor einem Teil seiner Bibliothek: Der Philosoph und Publizist hat auch selbst mehrere Bücher verfasst, sein jüngstes erscheint im April.
Liessmann vor einem Teil seiner Bibliothek: Der Philosoph und Publizist hat auch selbst mehrere Bücher verfasst, sein jüngstes erscheint im April.
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»Corona wird unser Sozial- und Konsumverh­alten kaum ändern«, sagt Liessmann.

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