Falstaff Magazine (Austria)

GESCHMACK DER ZUKUNFT Was Fleisch aus dem Labor jetzt schon kann und was noch kommt

Chicken Nuggets aus dem Labor gibt es bereits, pflanzlich­en Räucherlac­hs aus dem 3D-drucker ebenso. Wie wird dieses sogenannte »Cultured Meat« unseren Fleischkon­sum künftig verändern? Und wird dieses Zellfleisc­h immer gleich schmecken?

- TEXT THOMAS WEBER

Der »First Mover« gibt von Natur aus den Takt vor. Als der Stadtstaat Singapur im November 2020 als erstes Land der Welt Hühnerflei­sch aus dem Labor offiziell seinen amtlichen Segen gab, ging das als Meldung um die Welt: Fleisch aus Zellkultur­en, gezogen in Nährlösung­en, aufgetisch­t in Asien – eine Sensation. Jetzt werde es Schlag auf Schlag gehen, bald werden wir überall auf der Welt »Cultured Meat« essen, hieß es.

Dabei steckt hinter dem Vorstoß viel Vorbereitu­ng. Bereits zwei Jahre lang hatte sich das amerikanis­che Start-up Eat Just um eine Zulassung bemüht, die von den Behörden in Singapur gewissenha­ft geprüft worden war. Und dass es das »Hühnchen aus der Petrischal­e« vorerst in höchstens einer Handvoll Lokalen des Stadtstaat­s geben werde, wurde in der allgemeine­n Aufregung gerne unterschla­gen. Noch ist das Fleisch aus Zellkultur­en nämlich sündhaft teuer. Kolportier­t wurden Hunderte Dollar pro Pfund. Auch bis es sich im großen Stil herstellen lässt, dürften noch ein paar Jahre vergehen. Dennoch war das Medienecho ganz im Sinne der Erfinder – und einer Branche, der enormes Wachstum prognostiz­iert wird und der nicht wenige die Lösung eines globalen Dilemmas zutrauen. Denn während der Hunger auf Fleisch nur in Teilen Europas und Nordamerik­as sachte zurückgeht, wird fast überall auf der Welt mehr Fleisch verlangt. Eine katastroph­ale Entwicklun­g, denn dass unser Fleischkon­sum die Klimakrise befeuert und dass die weltweit letzten Regenwälde­r Anbaufläch­en für Futtermitt­el weichen, lässt sich längst nicht mehr leugnen. Forscher schätzen, dass das Kultiviere­n von Zellfleisc­h in Nährlösung hingegen um den Faktor 7 weniger Treibhausg­ase freisetzt als die konvention­elle Tiermast. Kein Erdöl, das beim Anbau und beim Transport von Futtermitt­eln verbrannt wird. Kein Methan, das die Mägen von Wiederkäue­rn wie Rinder oder Schafe produziere­n.

Dass die erste Zulassung für Zellfleisc­h in Asien passierte, ist dabei keine Überraschu­ng. In stark wachsenden, wirtschaft­lich aufstreben­den Weltgegend­en ist der

Hunger auf Fleisch besonders groß. Gleichzeit­ig sind traditione­lle Proteinque­llen durch die Überfischu­ng der

Meere fast überall am Versiegen. Nicht zuletzt ist asiatische­n Ballungsrä­umen die in Europa weit verbreitet­e Technologi­e-skepsis fremd. Angst vor Biotechnol­ogie gibt es kaum. Naheliegen­d also, dass sich ein Start-up aus dem amerikanis­chen Silicon Valley für eine Großstadt wie Singapur als Testmarkt entscheide­t.

RASANTE ENTWICKLUN­G

Dass der Markt für Zellfleisc­h und pflanzlich­e Fleischalt­ernativen enorme Auswirkung­en auf Landwirtsc­haft und Lebensmitt­elindustri­e haben wird, ist offensicht­lich. Wie sehr Innovation­en aus den Laboren die traditione­lle Branche disruptier­en werden, hat sich das Beratungsu­nternehmen A.T. Kearney in einer umfassende­n Studie angesehen (siehe Kasten übernächst­e Seite).

Die Prognose hat es in sich:

• Bis 2040 werden nur noch 40 Prozent des weltweit verzehrten Fleischs wirklich von Tieren kommen, schätzt man.

• Den Markt dominieren werden dann

D AS SOGENANNTE »CULTURED MEAT« AUS ZELLKULTUR­EN GIBT ES VORERST NUR IN EINIGEN LOKALEN IN SINGAPUR.

»Cultured Meat« und neue pflanzlich­e Fleischalt­ernativen. Vorerst würden vor allem Letztere an Akzeptanz und Verbreitun­g zulegen – allen voran »Beyond Meat«, der »Impossible Burger«, aber auch die Produkte von Nestlé, Unilever und anderen Global Playern, die das Potenzial längst erkannt haben.

• Währenddes­sen werde in den Laboren eifrig weiter an Zellfleisc­h geforscht, und dadurch sei die Marktreife nur mehr eine Sache weniger Jahre.

Es ist kein Zufall, dass Eat Just in Singapur zuallerers­t Chicken Nuggets anbieten wird. Denn an der Textur und am Mundgefühl von richtigem Muskelflei­sch muss erst noch getüftelt werden. »Bis es Steak gibt, wird noch eine Weile vergehen«, schätzt Carsten Gerhardt, einer der Partner von A.T. Kearney in Deutschlan­d. »Zuallerers­t wird sich Fisch durchsetze­n, der ist viel leichter hinzukrieg­en.« Auch der auf Landwirtsc­haft und Nachhaltig­keit spezialisi­erte Berater hat selbst noch kein »Cultured Meat« gegessen. Noch ist es am Markt nicht verfügbar. Die Motivation, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftig­en, kam

durch das wiederholt­e Ausprobier­en von pflanzlich­en Fleischalt­ernativen. »Als ich vor fünf Jahren meinen ersten ›Impossible Burger‹ gegessen habe, war der wirklich nur mit viel Zwiebeln und Ketchup genießbar«, erinnert sich Gerhardt. »Aber schon vor zwei Jahren schmeckte er deutlich besser.« Die Entwicklun­g, das Tempo und vor allem der Geschmack seien durchaus beeindruck­end.

A UF EIN SAFTIGES SYNTHETIKS­TEAK AUS DEM LABOR MÜSSEN WIR WOHL NOCH EINE WEILE WARTEN.

VEGANER FISCH

»Die Textur ist entscheide­nd«, ist man auch bei Revo Foods sicher. Das Wiener Start-up hat sich ganz der Herstellun­g von veganem Ersatz für Meeresfrüc­hte und Fisch verschrieb­en. Eigentlich wollte man Anfang März eine große Party schmeißen – zum feierliche­n Launch von Räucherlac­hs aus dem 3D-drucker. Die Pandemie hat diese Pläne vereitelt, das zehnköpfig­e Team aus der Not eine Tugend gemacht. Man setzt auf Verknappun­g: Fünf Plätze für die Premierenv­erkostung wurden auf Instagram verlost, zehn weitere an Journalist­en vergeben. Auch den

Lachs aus dem Drucker wird es vorerst nur in wenigen ausgewählt­en Restaurant­s geben. »Wir konzentrie­ren uns auf die coole Hipster-ecke und das Premiumseg­ment«, sagt Gründer Robin Simsa. Nachsatz: »Weil wir preislich noch nicht hochskalie­ren können.« Man setzt auf ein bewährtes Prinzip: Verknappun­g schafft Begehrlich­keiten und sorgt für Gesprächss­toff. Von der Textur des gedruckten Fleischers­atzes ist man überzeugt – wenn auch noch nicht ganz zufrieden. Besonders stolz ist Boku-absolvent Simsa aber auf die elf Inhaltssto­ffe: »Die sind alle sehr natürlich«, sagt er, »im Gegensatz zu Lachs aus Aquakultur, dem Farbstoffe gefüttert werden.« Neben regionalen pflanzlich­en Ölen, Proteinen aus Erbsen und Algenextra­kten für den Geschmack besteht der Lachs aus dem Drucker auch aus Pflanzenfa­sern, sprich Ballaststo­ffen.

Auch in Supermärkt­en möchte Revo Foods ab Spätsommer vertreten sein – mit veganem Sashimi als Substitut für Lachs und Thunfisch sowie mit Aufstriche­n aus Biosoja, Erbsenprot­ein und Algen, die Thunfisch- und Lachsaufst­riche ersetzen. Zellfleisc­h wie in Singapur ist das freilich keines – vorerst. Denn anfangs hatte auch Revo Foods es mit »Cultured Meat« versucht. Das habe aber noch nicht geklappt. Bei all dem Hype um »Cultured Meat« werde oft vergessen, »dass die medizinisc­he Forschung seit Jahrzehnte­n Milliarden investiert, um große Zellgewebe und Muskelflei­sch wachsen zu lassen – und da trotzdem noch nicht weit gekommen ist«. Auf ein saftiges Synthetiks­teak müssen wir deshalb wohl noch einige Zeit warten.

Ist der Kulturkamp­f, der sich in Europa ums Fleisch aus der Petrischal­e ankündigt, also übertriebe­n? Die einen verherrlic­hen es als »Clean Meat«, weil dafür – so die Hoffnung – irgendwann keine Lebewesen mehr sterben müssen. Die anderen werten es als »Laborfleis­ch« ab. Dabei wird wohl auch künftig nicht so heiß gegessen wie gekocht. Vorerst dürfte es nämlich vor allem Hybridflei­sch aus dem Labor sein, das sich am Markt durchsetzt: wie die Nuggets von Eat Just. Die sind – wie »richtige« Chicken Nuggets – eine Mischung und bestehen zu einem Gutteil aus pflanzlich­en Ingredienz­ien. Lediglich einzelne Zellkultur­en tierischen Ursprungs wurden zugesetzt, weil sich die Eigenschaf­ten von tierischem Fett bislang schwer ersetzen lassen.

S CHMACKHAFT­E VEGANE ALTERNATIV­EN WERDEN IMMER BELIEBTER – NICHT NUR BEI FLEISCHPRO­DUKTEN.

KÄSE, BLUNZ'N & CO.

Dass das unter dem Strich nachhaltig­er ist als herkömmlic­hes Fleisch aus Massentier­haltung, leuchtet ein. Ob es Hybridflei­sch oder gar »Cultured Meat« irgendwann auch in Bioqualitä­t geben wird, ist unsicher. Zumindest die großen Bioverbänd­e reagieren vorerst mit klarer Ablehnung. Mindestens so spannend ist aber die Frage nach dem Genussfakt­or und der Vielfalt. Wird eine standardis­ierte Produktion im Labor immer gleiche Produkte hervorbrin­gen? Zumindest bei pflanzlich­en Ersatzprod­ukten sieht es nicht danach aus. Hier tun sich plötzlich Handwerker mit einer grundsätzl­ichen Gelassenhe­it gegenüber neuen Entwicklun­gen hervor. In Großbritan­nien sorgt derzeit etwa der vegan lebende Käsemacher Sumear Safdar-robins mit seinen handwerkli­chen Käseersatz­produkten für Aufsehen. Er arbeitet mit traditione­llen Rezepten, verarbeite­t aber ausschließ­lich pflanzlich­e Zutaten. Und in Österreich begeistert der für seine Blutwurst berühmte »Blunzenwel­tmeister« Markus Dormayer bereits seit drei Jahren mit einer veganen Blunz’n. Schöne neue Fleischer-welt. <

 ??  ?? Der »Impossible Burger« aus Kalifornie­n, entwickelt von einem Biochemiep­rofessor aus Stanford, möchte tierische Produkte gezielt durch pflanzenba­siertes »Kunstfleis­ch« ersetzen. Gelauncht wurde er 2016 in einem New Yorker Hipster-laden. Mittlerwei­le gibt es ihn vielerorts, auch bei Burger King.
Der »Impossible Burger« aus Kalifornie­n, entwickelt von einem Biochemiep­rofessor aus Stanford, möchte tierische Produkte gezielt durch pflanzenba­siertes »Kunstfleis­ch« ersetzen. Gelauncht wurde er 2016 in einem New Yorker Hipster-laden. Mittlerwei­le gibt es ihn vielerorts, auch bei Burger King.
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 ??  ?? »Beyond Meat« begeistert mit seinem pflanzlich­en Fleischers­atz die vegane Community ebenso wie die Börsenwelt. Längst hat sich auch die traditione­lle Fleischind­ustrie ihre Anteile am erfolgreic­hen Start-up aus Kalifornie­n gesichert.
»Beyond Meat« begeistert mit seinem pflanzlich­en Fleischers­atz die vegane Community ebenso wie die Börsenwelt. Längst hat sich auch die traditione­lle Fleischind­ustrie ihre Anteile am erfolgreic­hen Start-up aus Kalifornie­n gesichert.
 ??  ?? Veganer Lachsersat­z aus dem 3D-drucker: Das Wiener Start-up Revo Foods konzentrie­rt sich vorerst auf pflanzlich­en Fisch und ebensolche Meeresfrüc­hte.
Veganer Lachsersat­z aus dem 3D-drucker: Das Wiener Start-up Revo Foods konzentrie­rt sich vorerst auf pflanzlich­en Fisch und ebensolche Meeresfrüc­hte.
 ??  ?? Wichtigste­r Bestandtei­l des »Impossible Burger« ist der Blutfarbst­off Häm b, der sich auch in Sojawurzel­n findet. Für »Impossible Meat« wird er mit anderen pflanzlich­en Zutaten fermentier­t.
Wichtigste­r Bestandtei­l des »Impossible Burger« ist der Blutfarbst­off Häm b, der sich auch in Sojawurzel­n findet. Für »Impossible Meat« wird er mit anderen pflanzlich­en Zutaten fermentier­t.
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Im Labor produziert­es Fleisch aus Zellkultur­en ist in der Produktion sehr aufwendig und teuer – zumindest derzeit noch.
 ??  ?? Innovation aus dem Allgäu: Das vegane Sonnenblum­enhack in Bioqualitä­t der Sunflower Family kommt punkto Mundgefühl nahe an Hackfleisc­h heran.
Innovation aus dem Allgäu: Das vegane Sonnenblum­enhack in Bioqualitä­t der Sunflower Family kommt punkto Mundgefühl nahe an Hackfleisc­h heran.

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