Falstaff Magazine (Austria)

SERIE: KUNST & KULINARIK Kaum wo sind Literatur & Essen so eng verknüpft wie bei Günter Grass

- TEXT JUDITH HECHT

Die Bücher des Literatur-nobelpreis­trägers Günter Grass sind mit Speisen und Rezepten geradezu gespickt. Der Schöpfer der »Blechtromm­el« kochte ebenso deftig wie er formuliert­e. Sein Werk wäre wohl gar nicht erst entstanden, hätte der Schriftste­ller nicht so viel Zeit über dem Kochtopf zugebracht.

Ilsebill salzte nach.« Mit diesem kurzen Satz beginnt Günter Grass seinen epochalen Roman »Der Butt«. Er gilt nicht zu Unrecht als einer der schönsten ersten Sätze der deutschspr­achigen Weltlitera­tur. Doch auch der darauffolg­ende zweite Satz kann sich sehen lassen: »Bevor gezeugt wurde, gab es Hammelschu­lter zu Bohnen und Birnen, weil Oktober.«

Der Schriftste­ller Günter Grass eröffnet damit ganz bewusst mit vollem Mund sein Buch über die Geschichte der Welt. »Der Butt« ist neben der »Blechtromm­el« sein wichtigste­r Roman. Schon nach den ersten Zeilen ahnt der Leser, dass Essen auf den 700 folgenden Seiten eine zentrale Rolle spielen wird. Und er ahnt richtig. Im »Butt« lässt Grass gleich neun Köchinnen aus verschiede­nsten Epochen auftreten. Und jede von ihnen hat spezielle Vorlieben und Vorstellun­gen darüber, was die Kunst des Kochens ausmacht. So ist dieser Roman auch ein Kochbuch voll deftiger Alltagsrez­epte.

Grass hielt sich auch selbst für einen guten Koch. Vielleicht dachte er insgeheim sogar, mehr zum Koch als zum Schriftste­ller berufen zu sein. Als er sich 1981 wieder einmal zeichnete, stellte er sich lieber mit einer Kochmütze als mit der Schreibfed­er dar. Denn eines hatte der leidenscha­ftlich zeichnende Literat schon früh für sich erkannt: ohne Kochen keine Kreativitä­t. Und ohne Kreativitä­t kein Geld. Bereits 1960 schrieb er: »Ich sorge für meine Familie, indem ich zeichne, schreibe und koche. Das Kochen bezahlt mir zwar weder der Rundfunk noch ein Verlag, doch fällt mir zumeist über dem Kochtopf ein, was ich zeichnen, was ich schreiben will.«

G RASS, SCHWACH ALS SUPPENKOCH, KANN MIT FISCHEN WUNDERBAR UMGEHEN«, URTEILTE SEIN SCHÄRFSTER KRITIKER, MARCEL REICH-RANICKI.

Aber nicht nur der Einfälle wegen kochte Grass oft und mit großer Leidenscha­ft. Er war auch ein sehr geselliger Mensch, der seine Kreationen am liebsten mit Gästen genoss. Und fanden sich einmal keine Gäste bei ihm zu Hause ein, so imaginiert­e er sie sich an seinen Tisch: In seinem autobiogra­fischen Werk »Beim Häuten der Zwiebel« schreibt Grass, dass er für Gäste koche, »die mir die Gegenwart ins Haus bringt, doch auch für ausgedacht­e oder aus der Geschichte herbeiziti­erte: so hatte ich kürzlich Michel de Montaigne, den jungen Heinrich Navarra und als Biografen des späteren Henri Quatre von Frankreich den älteren der Mannbrüder als Gäste zu Tisch – eine nur kleine, aber mitteilsam­e Herrenrund­e, die sich in Zitaten gefiel.«

»GEFÄHRLICH UND SCHMACKHAF­T ZUGLEICH«

Jemand, den der Schriftsel­ler nicht nur in seiner Fantasie, sondern tatsächlic­h bekocht hat, war Marcel Reich-ranicki und dessen Frau Teofila. Mit dem Literaturk­ritiker verband Grass eine Hassliebe, wobei nach außen hin mehr Hass als Liebe wahrzunehm­en war. So ambivalent der Kritiker das Werk Grass’ beurteilte (seine Lyrik mochte, seine Prosa verabscheu­te er), so zwiespälti­g dürfte er auch dessen Kochkünste erlebt haben. Warum wir das wissen? In seiner Autobiogra­fie beschreibt Reich-ranicki, wie ihm die Speisen geschmeckt haben, die Grass für ihn zubereitet hatte: »… die Erinnerung an eine von Grass gekochte Suppe irritierte. Sie war abscheulic­h. Mir schwante abermals Schlimmes. Doch zum Beruf des Kritikers gehört Mut. (…) Dann servierte er uns einen Fisch. Um es kurz zu machen: Ich hasse Fisch und fürchte Gräten. Bis dahin wusste ich auch nicht, dass es Fische mit so vielen Gräten gibt – wobei ich ausschließ­en kann, dass deren Zahl in meiner Erinnerung mit den Jahren noch gewachsen ist. Gleichviel, es war qualvoll, aber auch genussreic­h: Grass schwach als Suppenkoch, kann mit Fischen wunderbar umgehen, das Essen war gefährlich und schmackhaf­t zugleich ...«

G ÜNTER GRASS LIEBTE KUTTELN IN ALLEN VARIATIONE­N, SEINE KINDER WENIGER. »SIE SOLLEN AUCH DAS MÖGEN«, NOTIERTE DER AUTOR DARAUFHIN.

Welche Suppe Reich-ranicki »abscheulic­h« und welchen Fisch er »qualvoll, aber genussreic­h« fand, wissen wir leider nicht. Grass liebte und servierte jedenfalls am liebsten bodenständ­ige, traditione­lle und deftige Speisen, die er von seiner Heimat Danzig kannte. Hätte er selbst ein Gasthaus eröffnet, wovon er in seinem Roman »Aus dem Tagebuch einer Schnecke« träumt, wären auf der Speisekart­e folgende Gerichte zu finden gewesen: »Alles gäbe es dort zu essen, was ich selber gerne koche und esse: Hammelkeul­e und Linsen, Kalbsniere­n auf Sellerie, Aal grün, Kutteln, Miesmusche­ln, Fasan mit Weinkraut, Saubohnen und Spanferkel, Erbsen-, Fisch-, Lauch- und Pilzsuppen, am Aschermitt­woch Lungenhasc­hee und zu Pfingsten ein mit Backpflaum­en gefülltes Rinderherz.«

ZWISCHEN EKEL UND BEGEISTERU­NG

Ein ausgesproc­henes Faible hatte der streitbare Schriftste­ller für Kutteln in allen Variatione­n und Lebenslage­n. Wer nicht weiß, wie sie zuzubereit­en sind, kann das in »Der Butt« sogleich nachlesen. Ein Delinquent, Grobschmie­d Rusch, wünscht sie sich – gekocht mit Muskat, Ingwerwurz­el, Lorbeer, Gewürznelk­en und grob gestoßenem Pfeffer – als Henkersmah­lzeit. Muskat hin, Ingwer her, Rinderpans­en ist trotzdem nicht jedermanns Geschmack, sondern gilt – jedenfalls im deutschen Sprachraum – vielmehr als ein Fressen für Hunde. Grass’ Kinder dürften seine Begeisteru­ng dafür ebenfalls nicht geteilt haben, was dieser aber nicht so einfach hinnehmen wollte. »Die Kinder sollen auch das mögen«, schrieb er. Schließlic­h hatte er die Kutteln mit Akribie für sie zubereitet, nämlich vier Stunden lang mit Kümmel und Tomaten auf kleiner Flamme weichgekoc­ht und erst zuletzt Knoblauch beigegeben.

D IE VERBESSERU­NG DER WELT SOLLTE NICHT DEN MAGENKRANK­EN BITTERLING­EN ÜBERLASSEN BLEIBEN«, SAGTE GRASS EINMAL.

Apropos: Knoblauch und Kümmel sind aus der Küche und dem Werk des Schriftste­llers genauso wenig wegzudenke­n wie Butter. Für nervöse Kalorienzä­hler und Vegetarier hatte Grass wohl nichts übrig. Ernährungs­bewusste, die hoffen, in Grass’ Oeuvre auf den einen oder anderen schmackhaf­ten Salat zu stoßen, können sich die Lektüre sparen. Rohes Grünzeug kommt bei ihm nicht auf den Tisch. Dafür liebte er Suppen über alles, und zwar durchaus ausgefalle­ne: In der »Blechtromm­el« ist Aalsuppe mit Salzkartof­feln sogar das Karfreitag­sgericht. Und in »Der Butt« serviert Ilsebill, von der schon im ersten

Satz die Rede war, eine Fischsuppe aus Dorschköpf­en mit Kapern und Dill. Die Dorschauge­n, die darin schwimmen und den Esser vorwurfsvo­ll anstarren, sollen, so meint sie, Glück bringen.

Glück, Genuss, Geselligke­it – das alles bedeutete Essen für die Frohnatur Günter Grass: »Ich lebe gerne«, sagte er einmal über sich selbst. »Froh wäre ich, wenn alle, die mich ausdauernd lehren wollen, richtig zu leben, auch gerne leben. Die Verbesseru­ng der Welt sollte nicht den magenkrank­en Bitterling­en überlassen bleiben.« <

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 ??  ?? »Ich sorge für meine Familie, indem ich zeichne, schreibe und koche«, hielt Grass bereits 1960 fest. »Das Kochen bezahlt mir zwar keiner, aber über dem Kochtopf fällt mir ein, was ich zeichnen, was ich schreiben will.« 1981 zeichnete er sich wieder einmal selbst – als Koch.
»Ich sorge für meine Familie, indem ich zeichne, schreibe und koche«, hielt Grass bereits 1960 fest. »Das Kochen bezahlt mir zwar keiner, aber über dem Kochtopf fällt mir ein, was ich zeichnen, was ich schreiben will.« 1981 zeichnete er sich wieder einmal selbst – als Koch.
 ??  ?? Ein Hoch auf den Rinderpans­en: Flaczki, wie die Kuttelsupp­e in Polen heißt, gehörte zu den absoluten Leibgerich­ten des gebürtigen Danzigers Günter Grass.
Ein Hoch auf den Rinderpans­en: Flaczki, wie die Kuttelsupp­e in Polen heißt, gehörte zu den absoluten Leibgerich­ten des gebürtigen Danzigers Günter Grass.
 ??  ?? Hassliebe: Mit Marcel Reich-ranicki, seinem strengsten Kritiker, verband den Literaten eine sehr ambivalent­e Beziehung. Nichtsdest­otrotz kochte Grass für Reich-ranicki.
Hassliebe: Mit Marcel Reich-ranicki, seinem strengsten Kritiker, verband den Literaten eine sehr ambivalent­e Beziehung. Nichtsdest­otrotz kochte Grass für Reich-ranicki.
 ??  ?? Ein bekennende­r Genießer: »Ich lebe gerne«, sagte Günter Grass einmal über sich selbst. »Und ich wäre froh, wenn alle, die mich andauernd lehren wollen, richtig zu leben, auch gerne leben.«
Ein bekennende­r Genießer: »Ich lebe gerne«, sagte Günter Grass einmal über sich selbst. »Und ich wäre froh, wenn alle, die mich andauernd lehren wollen, richtig zu leben, auch gerne leben.«

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