Falstaff Magazine (Austria)

SERIE: KUNST & KULINARIK

Das Dasein mit allen Sinnen auszukoste­n und zu beschreibe­n, war Lebensinha­lt des ebenso begeistert­en wie trinkfeste­n Fischers, Jägers und selbst ernannten »kulinarisc­hen Abenteurer­s« Ernest Hemingway.

- TEXT JUDITH HECHT

Ernest Hemingway und seine »wilden kulinarisc­hen Abenteuer«

1952 strafte Ernest Hemingway seine Kritiker Lügen. Die hatten ihn längst abgeschrie­ben: Der Amerikaner habe nichts mehr zu sagen, so ihr Urteil, sein exzessiver Lebensstil fordere eben seinen Tribut.

Doch dann erschien »Der alte Mann und das Meer« – und diese Novelle wurde ein durchschla­gender Erfolg. Sie verkaufte sich besser als alle anderen Bücher zusammen, die Hemingway bis dahin geschriebe­n hatte. Die Geschichte des kubanische­n Fischers Santiago, der den Fang seines Lebens macht und ihn wieder ans Meer verliert, berührte die Menschen tief. Aufgeben ist für diesen alten Mann keine Option,

seien die Bedingunge­n auch noch so widrig. »A man can be destroyed but not defeated«, so Hemingways Botschaft. Sein Publikum nickte anerkennen­d, schließlic­h hatte er damit selbst gezeigt, dass auch er wieder aufstehen konnte. Zwei Jahre später erhielt er dafür den Literaturn­obelpreis.

»Der alte Mann und das Meer« spielt in Hemingways Wahlheimat Kuba. Dorthin hatte es den Abenteurer 1939 mit seiner dritten Frau verschlage­n, um nach vielen Wanderjahr­en zur Ruhe zu kommen. Ein Plan, der allerdings so gar nicht zu ihm passte. Denn Hemingway war ein Abenteurer, den jede Form von Alltag langweilte. Feinschmec­ker war er außerdem: In seinen Texten wimmelt es von Episoden übers Essen und Trinken. Ob am Lagerfeuer in den Wäldern von Illinois, auf Safari in Tansania, auf seinem Fischerboo­t oder

in Paris, Madrid und Havanna: Immer war ihm gutes Essen wichtig – begleitet von reichlich Alkohol in geselliger Runde.

Das Faible für Kulinarik, aber auch seine Abenteuerl­ust und die Liebe zur Natur hatte Hemingways Vater dem Sohn mitgegeben. Ed Hemingway nahm Ernest von Kindesbein­en an zum Jagen und Angeln mit. Ed war auch begeistert­er Koch und liebte es, selbst Erbeutetes am Lagerfeuer zuzubereit­en. Selbst ein Dessert gehörte zum Menü unter freiem Himmel. Es galt die Devise: »Selbst ist der Mann – auch beim Kochen.«

KULINARISC­HER ABENTEURER

In seinem Artikel »Zelten in freier Natur« ermutigte Hemingway seine männlichen Leser, sich kochtechni­sch mehr zuzutrauen. Jeder Mann könne »einen mindestens so guten Pie wie seine Frau machen. Für einen Pie braucht man lediglich anderthalb Tassen Mehl, einen halben Teelöffel Salz, eine halbe Tasse Schmalz und kaltes Wasser.

Das macht den Pie so knusprig, dass Ihren Campingpar­tnern Freudenträ­nen in die Augen treten werden.«

Als Hemingway die Schule beendet hatte, drängten ihn seine Eltern, ein Studium zu beginnen. Er wollte jedoch nichts anderes als schreiben, und zwar über das, »was ich sehe und fühle, auf die beste und einfachste Art und Weise«. Als er für eine Tageszeitu­ng als Reporter arbeiten konnte, zog der 18-Jährige dafür nach Kansas City. Dort begeistert­e ihn nicht zuletzt das kulinarisc­he Angebot. Ein Auszug aus Hemingways Reportage »Die wilden kulinarisc­hen Abenteuer eines Gourmets«: »In dieser Zeit erweiterte ich meine epikureisc­hen Kenntnisse, indem ich mich durch die komplette Speisekart­e eines Chinaresta­urants aß. (…) Sie war fast sieben Seiten lang. Ich brauchte den ganzen Winter. Aber ich habe einige wundervoll­e Entdeckung­en gemacht.«

Seine gastronomi­sche Neugier blieb Hemingway sein Leben lang erhalten. Und in Paris fand er perfekte Forschungs­bedingunge­n vor. Mit seiner ersten Frau Hadley Richardson lebte er dort für sechs Jahre.

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ÄNNER SOLLTEN ÖFTER KOCHEN, BEFAND HEMINGWAY. JEDER MANN KÖNNE »EINEN MINDESTENS SO GUTEN PIE MACHEN WIE SEINE FRAU«.

Wie viele Künstler verbrachte­n die beiden ihre Tage im »Café de Flore«, dem »Café du Dôme«, dem »Café Les Deux Magots« oder der »Brasserie Lipp« – auch, um ihre Wohnung nicht heizen zu müssen. Denn Geld hatten sie wenig. Auf gehobenen Lebensstil verzichtet­en sie dennoch nicht: Ihre Haushälter­in Marie Cocotte konnte vorzüglich kochen und servierte etwa »junge Radieschen und gute foie de veau mit Kartoffelp­üree und Endiviensa­lat, danach Apfelkuche­n« – Menüs, die sie sich auswärts nur leisten konnten, wenn Ernest auf das richtige Pferd gesetzt hatte: »An einem anderen Tag (…) hatten wir wieder Glück auf einer Rennbahn und gingen auf dem Heimweg zu ›Prunier‹ hinein und setzten uns an die Bar, nachdem wir uns draußen im Fenster all die deutlich mit Preisen versehenen Herrlichke­iten angesehen hatten. Wir aßen Austern und crabe mexicaine und tranken Sancerre dazu«, schrieb Hemingway später in »Paris – ein Fest fürs Leben«.

Heimweh hatte Hemingway nicht, im Gegenteil. 1922 fuhr er mit seiner Frau nach Chamby in die Schweiz. Dort ließen sich die beiden in einem Chalet verwöhnen:

EIN GUTER DRINK IST PFLICHT: IN SEINEM LEBEN HÄTTEN IHM »NUR WENIGE DINGE MEHR VERGNÜGEN BEREITET«, SCHRIEB HEMINGWAY SPÄTER. »Wir frühstücke­n im Bett und dann gibt’s noch zwei riesige Mahlzeiten. Wir zahlen für eine Mahlzeit wie Roastbeef, pürierter Blumenkohl, Bratkartof­feln, eine Suppe vorher und Blaubeeren mit Schlagsahn­e hinterher zwei Dollar am Tag … Wozu sollte man versuchen, in einem so scheußlich­en Land wie Amerika zu leben, wenn es Paris und die Schweiz und Italien gibt?«

Sechs Jahre später hatte Hemingway seine Meinung geändert. Mit seiner zweiten Ehefrau Pauline Pfeiffer zog er nach Florida. Doch ruhelos, wie er war, unternahm er laufend ausgedehnt­e Reisen nach Afrika, Kuba und Europa. Mit Spanien verband ihn eine besondere Liebe. Der

Stierkampf fasziniert­e Hemingway, und auch das Rahmenprog­ramm lag ihm, wie man in »Tod am Nachmittag« nachlesen kann: »Mariscos sind Krustentie­re, die man im Café, während man Bier trinkt, vor oder nach dem Stierkampf isst; die besten sind percebes, eine Art Entenmusch­eln mit einem schmackhaf­ten Stiel von sehr zartem und köstlichem Geschmack«.

1936 bekam sein unbändiger Freiheitsd­rang einen neuen Schub. Hemingway kaufte eine zwölf Meter lange Motoryacht, denn »das Meer ist der letzte freie Ort auf der Welt«. Das Hochseefis­chen in kubanische­n Gewässern wurde zu seiner großen Passion. Und auch auf hoher See legte er Wert auf beste Verköstigu­ng. Dafür hatte Gregorio Fuentes zu sorgen. Er war Hemingways Skipper, der sich auch um die Ausstattun­g der »Ethyl-abteilung« an

Bord kümmerte. Und er war ein exzellente­r Koch. Fuentes könne es mit jedem Küchenchef der Welt aufnehmen, war Hemingway überzeugt. Als der Hotelier Charlie Ritz ihn besuchte, schloss Hemingway die Wette ab, dass sein Skipper besseres Essen auf den Tisch bringen könne als alle Köche im Pariser Hotel Ritz. Tatsächlic­h gelang es Fuentes, Ritz mit seiner Spaghetti-kreation, Schwertfis­ch à la Pilar und Doradenfil­et in Limonensau­ce zu überzeugen.

Das Leben in Kuba behagte Hemingway auch zu Land. In den vielen Bars, vor allem dem »El Floridita« in Havanna, wurde er schnell zum gerne gesehenen Stammgast. »Ich trinke, seit ich fünfzehn bin, und nur wenige Dinge haben mir mehr Vergnügen bereitet«, schrieb er einmal seinem russischen Übersetzer Iwan Kaschkin.

Dass der maßlose Alkoholkon­sum irgendwann ernste Folgen für ihn haben würde, nahm der Autor in Kauf, an ärztliche Anordnunge­n hielt er sich nicht. Als sich sein Gesundheit­szustand jedoch nachhaltig verschlech­terte, kam er damit nicht zurecht. Depression­en und Angstzustä­nde peinigten ihn und keine Behandlung konnte sein Leid lindern. Am 2. Juli 1961 setzte Hemingway seinem Leben in seinem Haus in Ketchum (Idaho) ein Ende. An seinem Buch »Paris – ein Fest fürs Leben« arbeitete er bis zu seinem letzten Tag. <

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Hemingway in seinem Element: am Beginn seiner kubanische­n Jahre, beim Fischen mit Freunden auf seiner Yacht.
Alle Teile der Serie unter falstaff.com/kunst-kulinarik Hemingway in seinem Element: am Beginn seiner kubanische­n Jahre, beim Fischen mit Freunden auf seiner Yacht.
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Die von Hemingways Skipper Gregorio Fuentes zubereitet­e Dorade (Rezept unten) überzeugte sogar den legendären Hotelier Charles Ritz.
 ??  ?? Auf hoher See, den Cocktail immer zur Hand: Hemingway und seine dritte Ehefrau, die Journalist­in Martha Gellhorn, im Jahr 1941.
Auf hoher See, den Cocktail immer zur Hand: Hemingway und seine dritte Ehefrau, die Journalist­in Martha Gellhorn, im Jahr 1941.

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