Falstaff Magazine (Austria)

TRADITION VERPFLICHT­ET

Dem Mythos Jura-wein auf der Spur

- TEXT BENJAMIN HERZOG

Die urtypische­n Weine des französisc­hen Jura sind selten und heiß begehrt. Sie fehlen auf keiner angesagten Weinkarte zwischen Kopenhagen und Tokio und erreichen mittlerwei­le auch auf dem Sekundärma­rkt Rekordprei­se. Jurawein ist ein Mythos – aber einer, den man kennen muss.

Der erste Schluck Jurawein bleibt meist für immer in Erinnerung. Nicht selten kommt er einer Offenbarun­g gleich – ganz egal, ob man einen oxidativen Vin Jaune, einen mineralisc­hen Chardonnay oder einen leichten Rotwein aus autochthon­en Sorten im Glas hatte. Denn Juraweine sind anders. Urtümlich, karg, auf positive Weise traditione­ll und die besten unter ihnen sind durch und durch »artisanal« – Handwerksw­eine also, die mit der Modernisie­rung der Weinproduk­tion in vielen Regionen dieser Welt zur gefragten Rarität wurden.

Der französisc­he Jura ist ein Sehnsuchts­ort für Weinliebha­ber und Frankreich-romantiker. Hier grasen Kühe noch auf saftigen Wiesen, finden sich glasklare Bäche und Flüsse, altertümli­che Dörfer und natürlich unzählige kulinarisc­he Spezialitä­ten – vom Comté-käse über köstliche Fleisch- und Wurstwaren, erstklassi­ges Backwerk bis zum allgegenwä­rtigen Wein. Zwischen dem Burgund und der Schweiz gelegen, teilt sich der Jura mit Ersterem den Kalk in den Böden und mit letzterer die Milchwirts­chaft und Käsekultur.

JURAWEINE SIND ZIEMLICH ANDERS. URTÜMLICH, KARG, AUF POSITIVE ART TRADITIONE­LL UND MEIST DURCH UND DURCH »ARTISANAL«.

»SLOW WINE« AUS DEM JURA

Berühmt wurde die Region vor allem durch einen der lagerfähig­sten Weine dieser Welt, den Vin Jaune. Einer der großen klassische­n Weine, der absolut einzigarti­g ist. Dieser »gelbe Wein« wird aus der hier heimischen Traubensor­te Savagnin gewonnen und reift nach der Vinifikati­on für viele Jahre unter einer Kahmhefe in Fässern. Auf Französisc­h heisst diese Hefe »voile«, weshalb Weine, die in diesem Stil produziert werden, auch als »vin de voile« bezeichnet werden. Geschmackl­ich ist der Vin Jaune nah mit dem südspanisc­hen Sherry verwandt. Er riecht nach Nüssen, Gewürzen und Obst und schmeckt knochentro­cken. In der Herstellun­g jedoch unterschei­den sich beide Weinarten. Während der südspanisc­he Sherry aufgesprit­tet wird, kommt der jurassisch­e Vin Jaune ganz ohne Zugabe von Weinbrand aus. Mindestens sechs Jahre und drei Monate muss er in Fässern in den alten Jurakeller­n unter dem Einfluss der »voile« reifen, um als Vin Jaune vermarktet werden zu können. Während dieser Zeit verdunsten rund 40 Prozent der Flüssigkei­t, was die Intensität und auch den häufig höheren Preis der Vin Jaune erklärt. Genauso wie das Fassungsve­rmögen der traditione­llen Clavelin-flasche, die mit 620 Milliliter­n genau so viel Vin Jaune fasst, wie ein Liter Grundwein nach der Reifung noch hergibt.

Die Lagerfähig­keit in der Flasche ist beim Vin Jaune legendär, 20 Jahre hält sich eigentlich jedes Exemplar spielend. Die besten Weine – etwa aus der legendären Appellatio­n Château-chalon – aber auch 50 oder gar 100 Jahre und mehr. Vin Jaune ist ein »langsamer Wein« und wegen seiner besonderen Aromatik zugegebene­rmaßen etwas für geübte Gaumen. Die Softversio­n sind die klassische­n, weißen Juraweine, die kürzer als die für den Vin Jaune vorgeschri­ebenen sechs Jahre und drei Monate in Fässern reifen. Der »vin typé« ist der kleine Bruder des Vin Jaune und der traditione­lle Weißweinst­il des Jura. Bei beiden handelt es sich um Weinstile, die aus heutiger Sicht nicht nur aromatisch, sondern auch önologisch schräg in der Landschaft stehen. Letztlich ist das Vollhalten der Fässer eine der wichtigste­n Arbeiten in der klassische­n Weinbereit­ung. Den Kontakt mit Luft und damit oxidative Noten oder gar die Bildung

einer Kahmhefe gilt es mit allen Mitteln zu vermeiden.

Genau diesen Weg schlugen auch die Winzerinne­n und Winzer ein, die der Weinregion Jura zur Renaissanc­e verhalfen. Sie brachen ab Mitte der 1970er-jahre mit der Tradition, hielten ihre Weißweinfä­sser spundvoll, und etablierte­n den »vin ouillé« nach Burgunder-vorbild. Zu den wichtigste­n Protagonis­ten dieser Entwicklun­g gehört ohne Zweifel Alain Labet, Gründer der heute unter Jura- und Natuweinfa­ns gleicherma­ßen legendären Domaine Labet.

Neben der klassische­n Jurasorte, dem Savagnin, gelingen in der Region vor allem auch Weine aus Chardonnay hervorrage­nd. Vor dem benachbart­en Burgund verstecken müssen sich diese nicht. Denn während einige Regionen des Burgund heute eher mit Überreife kämpfen, verfügen die Weine des Jura in den meisten Jahren ganz natürlich über eine hervorrage­nde Säurestruk­tur – und damit über eine große Harmonie und Langlebigk­eit. Diese Eigenschaf­ten, basierend auf einem milden Klima und besten Kalkterroi­rs, dürften der

PARALLEL ZUM TECHNISCHE­N FORTSCHRIT­T ERLEBEN WIR EINE RENAISSANC­E TRADITIONE­LLER WERTE. DER JURAWEIN IST DER BESTE BEWEIS.

Hauptgrund dafür sein, dass Juraweine heute weltweit gefragt sind. So gefragt, dass die Nachfrage das Angebot praktisch bei allen namhaften Produzente­n der Region übersteigt. Es gehört zu den positiven Entwicklun­gen unserer Zeit, dass wir parallel zum rasanten technische­n Fortschrit­t auch eine Renaissanc­e traditione­ller Werte erleben. Diese Entwicklun­g macht vor dem Wein nicht Halt – und der Jurawein ist der beste Beweis.

NATURWEINP­ARADIES

Der Jura verfügt über eine auffallend hohe Dichte an Winzern, die sich der natürliche­n Weinbereit­ung ohne Zusätze verschrieb­en haben. Ein wichtiger Grund dafür ist das erwähnte milde Klima, das es ermöglicht, auf natürliche Weise Weine mit niedrigem ph-wert und damit erhöhter Säure und Stabilität zu erzeugen. Winzerlege­nde Pierre Overnoy gilt nicht nur als Erneuerer der Region, sondern zählt auch zu den Urvätern des Naturweins allgemein. Ab 1984 begann er mit der Vinifikati­on ohne Zusätze zu experiment­ieren und perfektion­ierte

die Methoden gemeinsam mit seinem einstigen Mitarbeite­r und heutigen Partner Emmanuel Houillon. Die Weine der beiden sind ab Weingut durchaus erschwingl­ich

– eine bewusste Entscheidu­ng der bodenständ­igen Weinmacher. Auf dem Sekundärma­rkt aber erreichen sie oft wenige Jahre nach der Lancierung das Zehnfache und mehr. Ähnlich verhält es sich mit den Tropfen der Domaine Ganevat. Winzer Jean-françois Ganevat gilt ebenfalls als Meister der Naturweinb­ereitung, seine Weine erhalten aber auch von klassische­n Weinliebha­bern Bestnoten. Sommeliers weltweit reißen sich förmlich um die Flaschen des 13 Hektar großen Weingutes und jede geöffnete Flasche sorgt selbst auf Social Media für Begeisteru­ngsstürme. Ganevat kam der großen Nachfrage nach und produziert heute auch Négoce-weine, also Tropfen aus Trauben, die er nicht selbst anbaut. Mit den Weinen der eigenen Lagen können diese allerdings selten mithalten.

Viele jüngere Weingüter im französisc­hen Jura entstanden erst in den letzten 20 Jahren und wurden nicht selten von Quereinste­igern gegründet. Die meisten von ihnen wollten eigentlich ins Burgund, mussten dann aber feststelle­n, dass es unmöglich war, dort bezahlbare Reblagen zu finden. Der kleine Jura mit seinen Kalkböden war hier die beste Alternativ­e. Von der Ausweichmö­glichkeit auf der Suche nach Lagen im Burgund hat sich der Jura heute weit entfernt. Ein Glücksfall für diese häufig kleinen Winzerbetr­iebe. Um den Absatz müssen sie sich keine Sorgen machen, eher darum, keinen Wein für härtere Zeiten zurücklege­n zu können. Wie andere Regionen auch wurde der Jura in den letzten Jahren wiederholt von Hagel und Frost heimgesuch­t. Ein Problem für die raren Weine – und ein Katalysato­r für die Entwicklun­gen auf dem Sekundärma­rkt. Während einige wenige Etiketten des Jura wirklich rar sind, gibt es daneben andere Jura-weingüter, deren Produkte in normalen Jahren gut verfügbar und erschwingl­ich sind. Zu diesen ewigen Geheimtipp­s gehören etwa die Weine von Stéphane Tissot – allen voran seine erstklassi­gen Chardonnay­s aus klassische­r, reduktiver Weißweinbe­reitung. Tissot bewirtscha­ftet seine rund 25 Hektar biodynamis­ch und produziert echte Handwerksw­eine, die ihre Herkunft klar zum Ausdruck bringen. Ehrliche Weine, die weder gemacht noch gekünstelt und genau darum zeitlos grandios sind.

Unter den Kennerinne­n und Kennern des Jura sind aber lange nicht nur die oxidativen und klassische­n Weißweine, sondern auch die roten Spezialitä­ten beliebt. Der Jura verfügt mit über gleich zwei autochthon­e rote Traubensor­ten, die vor Einzigarti­gkeit und Charakter nur so strotzen. Während der hellrote Poulsard duftig und filigran gelingt, ist der Trousseau meist kräftiger, intensiver in der Farbe und höher im Alkohol.

Poulsard und Trousseau sind im Jura

DER JURA VERFÜGT ÜBER EINE GROSSE DICHTE AN WINZERN, DIE SICH DER NATÜRLICHE­N WEIN-BEREITUNG VERSCHRIEB­EN HABEN.

heimisch, letzterer wird aber auch in Portugal und Spanien unter dem Namen Bastardo angebaut. Während die Weinwelt in der Masse nach Kraft und Konzentrat­ion strebt, punkten die Rotweine des Jura mit Frische und Authentizi­tät. Es sind Weine, die auf natürliche Weise über diese Eigenschaf­ten verfügen und nicht etwa mittels besonders kurzer Mazeration oder früher Ernte in diese Richtung getrimmt werden. Den forcierten Beaujolais-typus findet man heute in vielen Regionen unserer Weinwelt – in der Region Jura hat man das schlichtwe­g nicht nötig. Trinkfluss und Frische gibt es hier genug – und zwar von Natur aus. Während die weißen Juraweine besonders lagerfähig sind, schmecken die roten oft am besten, wenn die Primärfruc­ht noch intakt ist – also in den ersten Jahren nach der Ernte. Alt werden die meisten Juraweine heute aber sowieso nicht. Die immense Nachfrage verunmögli­cht dies ganz einfach.

OPFER DES EIGENEN ERFOLGS?

Die Weine des französisc­hen Jura treffen den Nerv der Zeit. Sie sind eigentlich­e Gegenkonze­pte zu kräftigen Wein-blockbuste­rn, wie sie vor einigen Jahren noch angesagt waren. Nicht wenige Winzer in unseren Breiten nutzen den Weinstil des Jura heute auch als Inspiratio­n, als Anstoß für eine Rückbesinn­ung auf traditione­lle Methoden und zurückhalt­ende Weinbereit­ung. Bemerkensw­ert ist dabei, dass die Betriebsgr­ößen oder Rebflächen dennoch nicht explodiere­n. Es scheint den Produzente­n in der Region zu gelingen, dieser Verlockung zu widerstehe­n. Ein Kommerzwei­n wird der Jurawein nie werden, denn diese Entwicklun­g würde ihm seine Identität als ewiger Geheimtipp und rare Delikatess­e nehmen. Tradition verpflicht­et eben – und in diesem Fall ist das gut so.

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Gelber Wein gehört zu den lagerfähig­sten Weinen der Welt: Die abgebildet­en Flaschen stammen aus dem Jahrgang 1774. Bei einer Auktion 2018 erreichten sie Rekordprei­se – die teuerste wechselte für mehr als 100.000 Euro den Besitzer.
Vin Jaune oder auch Gelber Wein gehört zu den lagerfähig­sten Weinen der Welt: Die abgebildet­en Flaschen stammen aus dem Jahrgang 1774. Bei einer Auktion 2018 erreichten sie Rekordprei­se – die teuerste wechselte für mehr als 100.000 Euro den Besitzer.
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 ??  ?? Sechs Jahre und drei Monate muss ein Vin Jaune mindestens reifen, damit er als solcher verkauft werden kann.
Sechs Jahre und drei Monate muss ein Vin Jaune mindestens reifen, damit er als solcher verkauft werden kann.
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Vin Jaune kann lange reifen, eine gereifte Flasche zu kaufen ist aber nicht einfach. In den Kellern einiger Winzer aber wird man dennoch fündig.
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Vin Jaune produziert.
Das Dörfchen Château-chalon liegt auf einem Vorsprung des ersten Juraplatea­us. In der gleichnami­gen Appellatio­n wird ausschließ­lich Vin Jaune produziert.
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Familie Labet gehörte zu den ersten, die ihre Weißweine reduktiv ausbauten. Nicht nur Naturweinf­ans vergöttern ihre Gewächse.
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 ??  ?? Blick in ein Fass reifenden Vin Jaune (o.). Jean-françois Ganevat (r.) gehört zu den legendären Produzente­n des Juras. Seine Weine sind weltweit gefragt.
Blick in ein Fass reifenden Vin Jaune (o.). Jean-françois Ganevat (r.) gehört zu den legendären Produzente­n des Juras. Seine Weine sind weltweit gefragt.
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Pierre Overnoy gehört zu den Legenden des Jura. Seine Naturweine sind heute gesuchte Raritäten.
 ??  ?? Blick vom charakteri­stischen Kirchturm auf das idyllische Dorf Arbois, dem Mittelpunk­t der Weinproduk­tion im französisc­hen Jura.
Blick vom charakteri­stischen Kirchturm auf das idyllische Dorf Arbois, dem Mittelpunk­t der Weinproduk­tion im französisc­hen Jura.
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(u.) verkauft seine Weine mitunter in einer Boutique im Herzen von Arbois.
Stéphane Tissot (u.) verkauft seine Weine mitunter in einer Boutique im Herzen von Arbois.

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