VEREINT AM FEUER
Andere Länder, andere Grill-sitten: feurige Inspirationen aus aller Welt
Riesige Rinderrücken über dem Feuer rösten? Ein Spanferkel im Erdloch garen? Oder filigrane Spieße aus mariniertem Hühnchen und Gemüse komponieren? Wahre Grillgenießer schauen über den eigenen Gartenzaun und lassen sich von anderen Ländern und deren Sitten inspirieren.
Angesichts von Grills, die so viel kosten wie ein Mittelklassewagen, kann man schon vergessen, dass es dabei im Grunde um eine der ältesten Techniken der Menschheit geht. So sehr haben wir uns an die Errungenschaften moderner Geräte gewöhnt, dass wir kaum noch auf sie verzichten wollen – die Zeiten sind lange vorbei, als man sich für ein Feuer selbst die Hände schmutzig machen musste. Es reicht heute ein Knopfdruck, und die Hitze ist da. Enorm praktisch, natürlich, und es ist so schön bequem. Die Frage ist nur: Macht uns diese Art zu grillen auch glücklich?
MAN NIMMT SICH ZEIT
Nichts gegen ein paar Würstchen auf dem Gasgrill, der innerhalb von zehn Minuten auf Temperatur gebracht ist. Es fühlt sich bloß ganz schön weit weg an von dem, was in anderen Ländern unter Grillen verstanden wird. Ist es nicht hundertmal spannender, wenn man erst mal ein Erdloch ausheben muss, in das später das Fleisch mit einem Strauß an Gewürzen kommt? So wie in Mexiko, wo man diese Technik Barbacoa nennt. Bereits am Nachmittag wird das Feuer in der Grube entzündet, abends kommt das Fleisch hinein – und erst am nächsten Mittag ist es fertig. Viel Arbeit, sicher. Aber schon allein der Duft, wenn der Deckel abgehoben wird, entschädigt für alles.
Das fällt zuerst auf beim Blick auf Grilltraditionen in anderen Ländern: Man nimmt sich Zeit. Vielleicht nicht immer so viel wie für ein mexikanisches Barbacoa. Doch egal ob für das Braai in Südafrika oder für ein Asado in Argentinien, Uruguay oder anderen Ländern Südamerikas: Wer zum Grillen zusammenkommt, hat keine Eile. In entspannter Atmosphäre zelebriert man die Verbundenheit, trifft Freunde, Bekannte oder die Familie. Wenn eine solche Zusammenkunft bis tief in die Nacht dauert und am Schluss, so wie in Südafrika, »Braaibroodjies« über den heruntergebrannten Kohlen bräunen, vielleicht noch zum letzten Mal angestoßen wird, dann kann man sicher sein: Das war soeben eine grandiose Zeit. Und die sollte man im Leben doch viel öfter haben.
NICHTS GEGEN WÜRSTCHEN AUF DEM GASGRILL, DER IN ZEHN MINUTEN HEISS IST. SPANNENDER SIND ABER GRILLKULTUREN IN ANDEREN LÄNDERN.
Der Falstaff-redaktion ist nicht bekannt, ob das aktuelle olympische Dorf in Tokio mit Grills ausgestattet sein wird. Es wäre aber keine schlechte
Idee, zumindest wenn nach Sitte des Gastgebers gegrillt wird. Denn im Vergleich zur Grillkultur der meisten anderen Länder könnte die japanische Art für den Ernährungsplan von Leistungssportlern sogar förderlich sein. Hier rösten keine fetttriefenden Fleischstücke über der Glut, die anschließend in Seen aus zuckerhaltiger Sauce ertrinken. Das filigrane Handwerk, das die japanische Küche ausmacht, spiegelt sich auch im Garen über offenem Feuer wider. Fleisch spielt zwar eine wichtige Rolle, aber die Bandbreite ist so groß, dass auch Gemüse, Fisch und Meeresfrüchte variantenreich auf den Rost kommen.
ABWECHSLUNGSREICHE KOST
Der Grund dafür liegt in der Geschichte – immer wieder war der Konsum von Säugetierfleisch in Japan verpönt, teilweise sogar verboten. Noch heute liegt der durchschnittliche Fleischverzehr bei rund 60 Prozent von dem in deutschsprachigen Ländern. Populäre Alternativen zum Fleisch sind Makrele und Sardine, Jakobsmuscheln und Shrimps sowie eine Vielzahl von Gemüsen von Melanzani über Paprika und Zwiebeln bis zu Kürbis.
Wenn Fleisch auf den Grill kommt, dann in kleineren Portionen, wie etwa in den bekannten Yakitori-spießen mit Hühnchen oder Yakiton mit Schwein – übrigens werden nicht nur die Filetstücke verwertet, sondern alle möglichen Teile. Auch Cuts vom Rind werden gern zum Grillen genutzt. Am Spieß, in etwas dickere Stücke geschnitten, laufen sie unter Kushiyaki, dünn aufgeschnitten in Scheiben als Yakiniku.
Schwirrt Ihnen schon der Kopf? Ist normal, aber das macht nichts. Es lohnt sich, tiefer in die Materie einzusteigen. Manche Namen liest man seit einiger Zeit auch immer häufiger hierzulande. So kann man etwa die weiße, nahezu rauchfrei verbrennende Binchotan-kohle inzwischen auch hier einigermaßen unkompliziert kaufen.
Noch ein Wort zu Marinaden, Saucen und Dips: Sie sind oft Bestandteil von Rezepten und machen nicht nur Fleisch, sondern auch Gemüse aromatisch vielseitiger. Anders als in vielen anderen Ländern, sollen sie aber den Eigengeschmack des Grillguts unterstützen, nicht überdecken. Umami als Geschmacksrichtung ist dafür essenziell. Eine schnell zusammengerührte Marinade aus Sojasauce, Mirin, Miso, Sake und etwas Zucker macht sich zum Beispiel hervorragend auf Melanzani.
Eines der ersten Dinge, die Europäer lernen, wenn sie in südamerikanischen Ländern zum Grillen eingeladen werden: Es geht wirklich um Fleisch. Salate, Beilagen und Saucen mögen ihre Daseinsberechtigung haben. Aber im Grunde interessiert vor allem das, was vom Grill kommt.
Und das ist in den Ländern Südamerikas eine Menge, egal ob in Argentinien, Chile, Paraguay oder Uruguay. Ein Asado, was auf Spanisch zunächst nichts weiter als »geröstet« heißt, hat nichts mit einem zweistündigen Würstchengrillen auf dem Gasgrill zu tun. Vielmehr ist es eher als eine Art Happening zu verstehen. Ein soziales Event für eine größere Gruppe, mit dem Asador, also dem Grillmeister, seinen Gästen und viel Zeit. Hauptdarsteller ist das Fleisch.
DER STOLZ DER GAUCHOS
Allein der Fleischauswahl kann man Tage widmen. Gesucht wird Rindfleisch ohne Hormonbehandlung, grasgefüttert und mit genau dem richtigen Anteil Fett. Von den aufgezählten Ländern reicht allenfalls der Ruf des argentinischen Rindfleischs bis nach Europa, weit weniger bekannt ist, wie gut die Qualität auch in Uruguay ist. Verwunderlich ist das nicht. Was im Norden des Kontinents die Cowboys sind, verkörpern im Süden die Gauchos. Die Rinderzucht auf großen Weiden spielt in den meisten südamerikanischen Ländern eine wichtige Rolle, damit verbunden ist der Stolz auf die landeseigene Fleischqualität.
Dabei kommt bei Weitem nicht nur Rindfleisch auf den Grill, wenngleich es das prestigeträchtigste Fleisch ist. Am mitgebrachten Fleisch lässt sich unmittelbar der soziale Status ablesen – und ein ungeschriebenes Gesetz lautet, dass, wer Hühnchen mitbringt, auch nur Hühnchen essen sollte. Einen anständigen Asado beginnt man zum Beispiel mit Morcilla, einer mit Zimt gewürzten Art Blutwurst. Chorizo kommt häufig auf die »parrilla«, gern gesehen sind auch große Cuts vom Rind, halbe Lämmer, Spanferkel und Rippchen.
Bestmöglich vertraut man dem Asador und schaut nicht allzu genau hin – wer nur Filet und Roastbeef erwartet, könnte eher ungewöhnliche Geschmackseindrücke erleben. So schätzt man in
Argentinien etwa auch Kalbsbries (»molleja«) sowie größere und kleinere Innereien. Marinade spielt keine Rolle, kostbares Rindfleisch einzulegen, kommt einer Beleidigung nahe. Etwas grobes Salz und ein wenig Öl sind bei Weitem die einzige Form der Würzung, selbst auf Pfeffer wird verzichtet.
Trotz guter Fleischqualitäten wird das Fleisch bei einem Asado oft nahezu durchgegart, »medium rare« oder gar blutig isst in Argentinien kaum jemand sein Entrecote. Beliebt ist hingegen die Chimichurri-sauce aus diversen Kräutern, Essig und Öl, die es mittlerweile auch in hiesigen Steakhäusern gibt. Und während hierzulande unter Grillmeistern durchaus Tipps ausgetauscht werden, gelten Ratschläge an den Asador als verpönt.
Im Prinzip lässt sich vieles aus der Asado-kultur auf das portugiesischsprachige Brasilien übertragen, allerdings eher unter dem Begriff »churrasco«. Auch hier sind große Grillrunden populär, mit enormen
Fleischstücken, die aufgespießt werden. Nicht nur imposant anzusehen, sondern auch hervorragend im Geschmack: die »costelão«, ein massives Stück aus der Hochrippe, also vom Rinderrücken. Üblicherweise wiegt es rund sechs Kilogramm, doch auch das Doppelte und das Dreifache an Gewicht sind möglich. Hierzulande bekannt ist das Picanha, ein Cut, der mit Tafelspitz vergleichbar ist, allerdings mit Fettdeckel belassen wird.
Die Kunst besteht darin, den Abstand zwischen Feuer und Fleisch perfekt zu wählen. Die Fettseite sollte am Spieß nach unten zeigen, und bei nicht allzu großer Hitze garen die Stücke mehrere Stunden. Häufig findet man auch die Technik, einen Drehspieß einzusetzen (brasilianisch »rodízio«). Das Fleisch wird immer dann in dünnen Scheiben abgeschnitten, wenn es wieder gebräunt und gegart ist (etwa so wie am Kebab-stand). Der Weg zum perfekten Grillgut ist also das Ziel, und am meisten Spaß macht er mit einem guten Glas Wein in der Hand.
DAS FLEISCH VOM ASADO IST AM ENDE FAST IMMER DURCH, MANCHMAL MEDIUM UND NUR IN DEN SELTENSTEN FÄLLEN NOCH BLUTIG.