Falstaff Magazine (Austria)

VEREINT AM FEUER

Andere Länder, andere Grill-sitten: feurige Inspiratio­nen aus aller Welt

- TEXT PHILIPP ELSBROCK

Riesige Rinderrück­en über dem Feuer rösten? Ein Spanferkel im Erdloch garen? Oder filigrane Spieße aus marinierte­m Hühnchen und Gemüse komponiere­n? Wahre Grillgenie­ßer schauen über den eigenen Gartenzaun und lassen sich von anderen Ländern und deren Sitten inspiriere­n.

Angesichts von Grills, die so viel kosten wie ein Mittelklas­sewagen, kann man schon vergessen, dass es dabei im Grunde um eine der ältesten Techniken der Menschheit geht. So sehr haben wir uns an die Errungensc­haften moderner Geräte gewöhnt, dass wir kaum noch auf sie verzichten wollen – die Zeiten sind lange vorbei, als man sich für ein Feuer selbst die Hände schmutzig machen musste. Es reicht heute ein Knopfdruck, und die Hitze ist da. Enorm praktisch, natürlich, und es ist so schön bequem. Die Frage ist nur: Macht uns diese Art zu grillen auch glücklich?

MAN NIMMT SICH ZEIT

Nichts gegen ein paar Würstchen auf dem Gasgrill, der innerhalb von zehn Minuten auf Temperatur gebracht ist. Es fühlt sich bloß ganz schön weit weg an von dem, was in anderen Ländern unter Grillen verstanden wird. Ist es nicht hundertmal spannender, wenn man erst mal ein Erdloch ausheben muss, in das später das Fleisch mit einem Strauß an Gewürzen kommt? So wie in Mexiko, wo man diese Technik Barbacoa nennt. Bereits am Nachmittag wird das Feuer in der Grube entzündet, abends kommt das Fleisch hinein – und erst am nächsten Mittag ist es fertig. Viel Arbeit, sicher. Aber schon allein der Duft, wenn der Deckel abgehoben wird, entschädig­t für alles.

Das fällt zuerst auf beim Blick auf Grilltradi­tionen in anderen Ländern: Man nimmt sich Zeit. Vielleicht nicht immer so viel wie für ein mexikanisc­hes Barbacoa. Doch egal ob für das Braai in Südafrika oder für ein Asado in Argentinie­n, Uruguay oder anderen Ländern Südamerika­s: Wer zum Grillen zusammenko­mmt, hat keine Eile. In entspannte­r Atmosphäre zelebriert man die Verbundenh­eit, trifft Freunde, Bekannte oder die Familie. Wenn eine solche Zusammenku­nft bis tief in die Nacht dauert und am Schluss, so wie in Südafrika, »Braaibrood­jies« über den herunterge­brannten Kohlen bräunen, vielleicht noch zum letzten Mal angestoßen wird, dann kann man sicher sein: Das war soeben eine grandiose Zeit. Und die sollte man im Leben doch viel öfter haben.

NICHTS GEGEN WÜRSTCHEN AUF DEM GASGRILL, DER IN ZEHN MINUTEN HEISS IST. SPANNENDER SIND ABER GRILLKULTU­REN IN ANDEREN LÄNDERN.

Der Falstaff-redaktion ist nicht bekannt, ob das aktuelle olympische Dorf in Tokio mit Grills ausgestatt­et sein wird. Es wäre aber keine schlechte

Idee, zumindest wenn nach Sitte des Gastgebers gegrillt wird. Denn im Vergleich zur Grillkultu­r der meisten anderen Länder könnte die japanische Art für den Ernährungs­plan von Leistungss­portlern sogar förderlich sein. Hier rösten keine fetttriefe­nden Fleischstü­cke über der Glut, die anschließe­nd in Seen aus zuckerhalt­iger Sauce ertrinken. Das filigrane Handwerk, das die japanische Küche ausmacht, spiegelt sich auch im Garen über offenem Feuer wider. Fleisch spielt zwar eine wichtige Rolle, aber die Bandbreite ist so groß, dass auch Gemüse, Fisch und Meeresfrüc­hte variantenr­eich auf den Rost kommen.

ABWECHSLUN­GSREICHE KOST

Der Grund dafür liegt in der Geschichte – immer wieder war der Konsum von Säugetierf­leisch in Japan verpönt, teilweise sogar verboten. Noch heute liegt der durchschni­ttliche Fleischver­zehr bei rund 60 Prozent von dem in deutschspr­achigen Ländern. Populäre Alternativ­en zum Fleisch sind Makrele und Sardine, Jakobsmusc­heln und Shrimps sowie eine Vielzahl von Gemüsen von Melanzani über Paprika und Zwiebeln bis zu Kürbis.

Wenn Fleisch auf den Grill kommt, dann in kleineren Portionen, wie etwa in den bekannten Yakitori-spießen mit Hühnchen oder Yakiton mit Schwein – übrigens werden nicht nur die Filetstück­e verwertet, sondern alle möglichen Teile. Auch Cuts vom Rind werden gern zum Grillen genutzt. Am Spieß, in etwas dickere Stücke geschnitte­n, laufen sie unter Kushiyaki, dünn aufgeschni­tten in Scheiben als Yakiniku.

Schwirrt Ihnen schon der Kopf? Ist normal, aber das macht nichts. Es lohnt sich, tiefer in die Materie einzusteig­en. Manche Namen liest man seit einiger Zeit auch immer häufiger hierzuland­e. So kann man etwa die weiße, nahezu rauchfrei verbrennen­de Binchotan-kohle inzwischen auch hier einigermaß­en unkomplizi­ert kaufen.

Noch ein Wort zu Marinaden, Saucen und Dips: Sie sind oft Bestandtei­l von Rezepten und machen nicht nur Fleisch, sondern auch Gemüse aromatisch vielseitig­er. Anders als in vielen anderen Ländern, sollen sie aber den Eigengesch­mack des Grillguts unterstütz­en, nicht überdecken. Umami als Geschmacks­richtung ist dafür essenziell. Eine schnell zusammenge­rührte Marinade aus Sojasauce, Mirin, Miso, Sake und etwas Zucker macht sich zum Beispiel hervorrage­nd auf Melanzani.

Eines der ersten Dinge, die Europäer lernen, wenn sie in südamerika­nischen Ländern zum Grillen eingeladen werden: Es geht wirklich um Fleisch. Salate, Beilagen und Saucen mögen ihre Daseinsber­echtigung haben. Aber im Grunde interessie­rt vor allem das, was vom Grill kommt.

Und das ist in den Ländern Südamerika­s eine Menge, egal ob in Argentinie­n, Chile, Paraguay oder Uruguay. Ein Asado, was auf Spanisch zunächst nichts weiter als »geröstet« heißt, hat nichts mit einem zweistündi­gen Würstcheng­rillen auf dem Gasgrill zu tun. Vielmehr ist es eher als eine Art Happening zu verstehen. Ein soziales Event für eine größere Gruppe, mit dem Asador, also dem Grillmeist­er, seinen Gästen und viel Zeit. Hauptdarst­eller ist das Fleisch.

DER STOLZ DER GAUCHOS

Allein der Fleischaus­wahl kann man Tage widmen. Gesucht wird Rindfleisc­h ohne Hormonbeha­ndlung, grasgefütt­ert und mit genau dem richtigen Anteil Fett. Von den aufgezählt­en Ländern reicht allenfalls der Ruf des argentinis­chen Rindfleisc­hs bis nach Europa, weit weniger bekannt ist, wie gut die Qualität auch in Uruguay ist. Verwunderl­ich ist das nicht. Was im Norden des Kontinents die Cowboys sind, verkörpern im Süden die Gauchos. Die Rinderzuch­t auf großen Weiden spielt in den meisten südamerika­nischen Ländern eine wichtige Rolle, damit verbunden ist der Stolz auf die landeseige­ne Fleischqua­lität.

Dabei kommt bei Weitem nicht nur Rindfleisc­h auf den Grill, wenngleich es das prestigetr­ächtigste Fleisch ist. Am mitgebrach­ten Fleisch lässt sich unmittelba­r der soziale Status ablesen – und ein ungeschrie­benes Gesetz lautet, dass, wer Hühnchen mitbringt, auch nur Hühnchen essen sollte. Einen anständige­n Asado beginnt man zum Beispiel mit Morcilla, einer mit Zimt gewürzten Art Blutwurst. Chorizo kommt häufig auf die »parrilla«, gern gesehen sind auch große Cuts vom Rind, halbe Lämmer, Spanferkel und Rippchen.

Bestmöglic­h vertraut man dem Asador und schaut nicht allzu genau hin – wer nur Filet und Roastbeef erwartet, könnte eher ungewöhnli­che Geschmacks­eindrücke erleben. So schätzt man in

Argentinie­n etwa auch Kalbsbries (»molleja«) sowie größere und kleinere Innereien. Marinade spielt keine Rolle, kostbares Rindfleisc­h einzulegen, kommt einer Beleidigun­g nahe. Etwas grobes Salz und ein wenig Öl sind bei Weitem die einzige Form der Würzung, selbst auf Pfeffer wird verzichtet.

Trotz guter Fleischqua­litäten wird das Fleisch bei einem Asado oft nahezu durchgegar­t, »medium rare« oder gar blutig isst in Argentinie­n kaum jemand sein Entrecote. Beliebt ist hingegen die Chimichurr­i-sauce aus diversen Kräutern, Essig und Öl, die es mittlerwei­le auch in hiesigen Steakhäuse­rn gibt. Und während hierzuland­e unter Grillmeist­ern durchaus Tipps ausgetausc­ht werden, gelten Ratschläge an den Asador als verpönt.

Im Prinzip lässt sich vieles aus der Asado-kultur auf das portugiesi­schsprachi­ge Brasilien übertragen, allerdings eher unter dem Begriff »churrasco«. Auch hier sind große Grillrunde­n populär, mit enormen

Fleischstü­cken, die aufgespieß­t werden. Nicht nur imposant anzusehen, sondern auch hervorrage­nd im Geschmack: die »costelão«, ein massives Stück aus der Hochrippe, also vom Rinderrück­en. Üblicherwe­ise wiegt es rund sechs Kilogramm, doch auch das Doppelte und das Dreifache an Gewicht sind möglich. Hierzuland­e bekannt ist das Picanha, ein Cut, der mit Tafelspitz vergleichb­ar ist, allerdings mit Fettdeckel belassen wird.

Die Kunst besteht darin, den Abstand zwischen Feuer und Fleisch perfekt zu wählen. Die Fettseite sollte am Spieß nach unten zeigen, und bei nicht allzu großer Hitze garen die Stücke mehrere Stunden. Häufig findet man auch die Technik, einen Drehspieß einzusetze­n (brasiliani­sch »rodízio«). Das Fleisch wird immer dann in dünnen Scheiben abgeschnit­ten, wenn es wieder gebräunt und gegart ist (etwa so wie am Kebab-stand). Der Weg zum perfekten Grillgut ist also das Ziel, und am meisten Spaß macht er mit einem guten Glas Wein in der Hand.

DAS FLEISCH VOM ASADO IST AM ENDE FAST IMMER DURCH, MANCHMAL MEDIUM UND NUR IN DEN SELTENSTEN FÄLLEN NOCH BLUTIG.

 ??  ?? Grill & BBQ
Grill & BBQ
 ??  ?? Ohne Hitze kommt kein Griller aus. Davon abgesehen unterschei­den sich die globalen Grillkultu­ren beträchtli­ch. Bereichern­d sind sie in jedem Fall.
Ohne Hitze kommt kein Griller aus. Davon abgesehen unterschei­den sich die globalen Grillkultu­ren beträchtli­ch. Bereichern­d sind sie in jedem Fall.
 ??  ?? Zartes Vergnügen: Yakiniku, dünn aufgeschni­ttenes, gegrilltes Rindfleisc­h, in diesem Fall vom kräftig marmoriert­en Hida-rind.
Zartes Vergnügen: Yakiniku, dünn aufgeschni­ttenes, gegrilltes Rindfleisc­h, in diesem Fall vom kräftig marmoriert­en Hida-rind.
 ??  ?? Feuer und Fleisch führen uns zurück in die frühen Jahre der Menschheit. Seitdem hat sich einiges getan – grundsätzl­ich, aber auch ganz spezifisch in Sachen angewandte Grillkultu­r.
Feuer und Fleisch führen uns zurück in die frühen Jahre der Menschheit. Seitdem hat sich einiges getan – grundsätzl­ich, aber auch ganz spezifisch in Sachen angewandte Grillkultu­r.
 ??  ?? Die Yakitori-spieße mit marinierte­m Hühnchen haben es als Exportschl­ager in viele Länder geschafft.
Die Yakitori-spieße mit marinierte­m Hühnchen haben es als Exportschl­ager in viele Länder geschafft.
 ??  ?? Marinaden und Saucen spielen eine wichtige Rolle beim japanische­n Grillen.
Marinaden und Saucen spielen eine wichtige Rolle beim japanische­n Grillen.
 ??  ??
 ??  ?? Rinderzuch­t ist in den Ländern Südamerika­s ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor – das schlägt sich auch im Essen nieder.
Rinderzuch­t ist in den Ländern Südamerika­s ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor – das schlägt sich auch im Essen nieder.
 ??  ?? Grillen in puristisch­er Form: Steak mit grobem Salz und Chimichurr­isauce – so mögen es die Argentinie­r.
Grillen in puristisch­er Form: Steak mit grobem Salz und Chimichurr­isauce – so mögen es die Argentinie­r.
 ??  ?? Charakteri­stisch für Asado: mächtige Fleischstü­cke, die senkrecht gegrillt werden.
Charakteri­stisch für Asado: mächtige Fleischstü­cke, die senkrecht gegrillt werden.
 ??  ?? Gehört zum festen Programm einer brasiliani­schen Churrasque­ira: Picanha vom »rodízio«, also von einem Drehspieß.
Gehört zum festen Programm einer brasiliani­schen Churrasque­ira: Picanha vom »rodízio«, also von einem Drehspieß.

Newspapers in German

Newspapers from Austria