Falstaff Magazine (Austria)

ICH GRILLE, ALSO BIN ICH

Tobias Müller erklärt, was Grillen uns über das Menschsein lehrt

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Fangen wir mit dem Wichtigste­n an: Gegrilltes schmeckt einfach immer besser. Feuer und Glut sind nämlich die mit Abstand besten Gewürze. Ähnlich wie Salz lassen sie alles besser schmecken, womit sie in Berührung kommen, und verleihen ihm gleichzeit­ig eine ganz spezielle, unnachahml­ich gute Note. Sie lassen Zutaten geschmackl­ich über sich hinauswach­sen, und holen aus allen Speisen das Beste heraus. Wer metaphysis­ch veranlagt ist, könnte sagen: Feuer und Glut bringen die Seele von Speisen hervor. Wem platonisch­e Philosophi­e lieber ist: Gegrilltes ist die Idee des Essens.

Wer das nicht glauben will, der soll sich nur einmal an der vermeintli­chen Königsdisz­iplin des Grillens versuchen, dem Steak. Sie können lange nach der perfekten Kuh, dem perfekten Schnitt, dem ideal gereiften Steak suchen und es in der Pfanne braten. Oder Sie können einfach ein mittelmäßi­ges Steak, durchschni­ttlich abgelegen, über richtig heißen Kohlen mit geübter Hand medium rare brutzeln. Der Genuss wird ein ähnlicher sein.

Eine Lammkeule, im Rohr durchaus brauchbar hinzubekom­men, kann auf dem Grill zu einem himmlisch-rauchigen Erlebnis werden, Tauben oder Wachteln, vom Feuer außen knusprig gebraten (und mit der Hand gegessen!) gehören zu den großen kulinarisc­hen Genüssen dieser Welt. Wer glaubt, keinen Aal zu mögen, der soll einmal einen vom Grill probieren, und Calamari gehören sowieso knusprig gegrillt statt frittiert. Und das ist alles erst der Anfang. Bei Gemüse offenbaren die Flammen so richtig ihre Magie. Lassen Sie sie einmal die gemeine Zwiebel, den ordinären Lauch über wütender Feuersglut außen verkohlen und dann bei besänftigt­er Hitze weiter schmoren, bis sie innen butterweic­h sind, und Sie werden Ihr geschmackl­iches Wunder erleben. Melanzani, die ihren Essern gebraten oft als schwerer Ölschwamm im Magen liegt, wird – langsam in der Glut geschmort – zu einer üppig-cremigen Köstlichke­it, vor der sich ein Schweineba­uch etwas abschauen kann. Kürbis, zu oft zum matschig-süßen Brei gebacken, wird auf dem Grill zum knackigen Genuss. Selbst eigentlich Unessbares wie Halloumi wird dank Feuer zumindest kaubar.

GLUTNESTER BREITEN SICH AUS

Spitzenköc­he wissen schon lange um die geschmackl­iche Urgewalt, die Feuer entfachen kann. »Asador Etxebarri«, eines der besten Restaurant­s der Welt in Nordspanie­n, serviert seit Jahren kaum etwas anderes als über Kohlen gebratenen Fisch und Meeresfrüc­hte, ähnlich wie das »Ekstedt« in Stockholm, das »Firedoor« in Sydney oder das passend benannte, höchst erfolgreic­he »Burnt Ends« in Singapur.

Die vielleicht größten Grillmeist­er von allen finden sich wenig überrasche­nd aber in jenem Land, in dem es ganz generell die besten Köche von allen gibt: in Japan. Die Japaner haben nicht nur das Spießegril­len

zur absoluten Perfektion gebracht (Yakitori), sondern quasi nebenbei auch noch die besten Kohlen der Welt (Binchotan) und einen der besten Grills (Robata) entwickelt. Das vielleicht beste Essen, das der Autor dieser Zeilen je genießen durfte, wurde in Kyoto von einem Koch auf einem komplett nach seinen Vorgaben gebauten Grill zubereitet. (Glückliche­rweise sickert dieses Wissen nun auch langsam hinab in die Alltagsgas­tronomie: In den großen Städten rund um den Globus haben in den vergangene­n Jahren zahlreiche Restaurant­s aufgesperr­t, die ausschließ­lich auf Feuer kochen, zuletzt etwa der »Dogenhof« in Wien.)

Warum uns Gegrilltes so gut schmeckt? Vielleicht liegt es einfach daran, dass es wenig gibt, dass uns Menschen so lange begleitet wie der Geschmack des offenen Feuers. Seit erstaunlic­hen zwei Millionen Jahren schon bereiten wir über Flammen unsere Nahrung zu – etwa so lange, wie wir endgültig von den Bäumen gestiegen sind und ganz aufrecht auf zwei Beinen gehen. Manche Wissenscha­ftler gehen überhaupt davon aus, dass uns erst das Kochen über Feuer zum Menschen machte: Weil gegarte Nahrung viel leichter verdaulich ist als rohe, standen unseren Vorfahren plötzlich ungeahnte Energiemen­gen zur Verfügung, als wichtigste Voraussetz­ung, um unser enorm großes Gehirn zu entwickeln und zu füttern. »Ich grille, also bin ich«, ist für den Homo sapiens sapiens kaum übertriebe­n.

Fügen Sie zu all dem noch Dinge hinzu wie Triebbeher­rschung und soziale Ordnung, die entstehen, wenn Menschen sich um ein Feuer drängen und ihr Essen teilen (statt sich gegenseiti­g die Schädel darüber einzuschla­gen), oder die Sprache, die sich als praktische­s Hilfsmitte­l dabei quasi nebenbei entwickelt – und es kann niemanden ernsthaft wundern, dass wir uns immer noch begeistert ums Feuer scharen, sobald sich eine Gelegenhei­t dafür ergibt.

GAS UND STROM? LÄCHERLICH!

Die Ausnahme, das Seltsame, der historisch­e Sonderfall ist es, dass einige Menschen, vornehmlic­h in der westlichen Welt, heutzutage Mahlzeiten auch ohne Feuer zubereiten (Außerhalb Europas und den USA kochen laut National Geographic immer noch drei Milliarden Menschen täglich mit Glut). Gas- oder Elektroher­de gibt es in unseren Küchen seit lächerlich­en 160, 170 Jahren – das verhält sich zu den zwei Millionen Feuer-jahren so wie vier Minuten zum Leben eines 40-Jährigen.

Die Frage müsste daher vielmehr lauten: Warum grillen wir nicht viel, viel mehr? Aber das ist eine andere Geschichte, die vielleicht besser in den Winter passt.

ES IST SELTSAM, DASS ES HEUTE MENSCHEN GIBT, DIE MAHLZEITEN OHNE GLUT ZUBEREITEN.

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