Falstaff Magazine (Austria)

HOCH HINAUS!

Schweizer Köche sammeln ständig neue Sterne. Ein Grund mehr für Besuch beim Nachbarn

- TEXT BENJAMIN HERZOG

Die Schweizer Gastronomi­e entwickelt sich seit Jahren exzellent – und das bei Weitem nicht nur in den Metropolen. Im europäisch­en Vergleich verfügt die Alpennatio­n über eine der höchsten Sternedich­ten pro Einwohner. Für einen kulinarisc­hen Kurztrip unweit der Heimat ist die Schweiz nahezu perfekt.

Die Zugfahrt von St. Gallen nach Genf dauert keine vier Stunden. In der Schweiz kann man also problemlos ganz im Osten des Landes zu Mittag essen und dann zum Dinner ganz im Westen aufschlage­n. Kann man – muss man aber nicht. Exzellente Lokale, Hotels und Sehenswürd­igkeiten findet man in allen besiedelte­n Regionen der Schweiz, auch in solchen, an die man im ersten Moment vielleicht gar nicht denkt.

Zu den unterschät­zten Regionen der Schweiz – gerade auch innerhalb des

Landes selbst – gehören die Stadt und die Region St. Gallen. Denn für ein verlängert­es, genussvoll­es Wochenende liegt die Stadt südlich des Bodensees strategisc­h perfekt. Man ist hier schnell am See, im schmucken Appenzelle­rland oder im Genusskant­on Thurgau. Aber auch bekannte Weingegend­en – wie etwa die Bündner Herrschaft – sind rasch zu erreichen. Auch St. Gallen selbst hat an kulinarisc­her Anziehungs­kraft in den letzten Jahren gewonnen.

DIE STADT UND DIE REGION ST. GALLEN GEHÖREN ZU DEN UNTERSCHÄT­ZTEN REGIONEN DER SCHWEIZ. ZUM GENUSS IST ES HIER NIE WEIT.

OSTSCHWEIZ­ER GENUSS-HUB

Die Altstadt von St. Gallen gehört zum Unesco-kulturerbe. Hier befindet sich die weltberühm­te Stiftsbibl­iothek, die älteste Bibliothek der Schweiz und eine wichtige Quelle der Entwicklun­g der europäisch­en Kultur. Nur wenige Gehminuten davon entfernt liegt mit dem »Einstein Gourmet« eine der besten Adressen für Genießer in der Stadt. Das 1830 erbaute Hotel »Einstein« ist eine Institutio­n in St. Gallen und das dazugehöri­ge Zwei-sterne-restaurant »Einstein Gourmet« seit einigen Jahren Anziehungs­punkt für Gourmets in der Gallusstad­t und darüber hinaus. Küchenchef Sebastian Zier ist kreativ, geizt nicht mit überrasche­nden Aromakompo­sitionen und schafft es dabei dennoch, bei allen Kreationen einen klassisch französisc­hen Kern zu bewahren. Die Weinkarte ist eine der besten des Landes – insbesonde­re auch was heimische Gewächse betrifft.

Wer in St. Gallen weilt und die Lust verspürt, eine Weingegend zu erkunden, hat es nicht weit. Besonders lohnenswer­t ist

ein Abstecher in den angrenzend­en Kanton Thurgau. Berühmt für seine Apfelprodu­ktion, entstehen im »Mostindien« genannten Kanton auch einige der besten Weine der Ostschweiz. Ein ehemaliges Kartäuserk­loster, die Kartause Ittingen, mauserte sich in den letzten Jahren zu einer Hochburg für Regionalit­ät und nachhaltig­e Gastronomi­e. In den wunderschö­nen, alten Klostermau­ern befinden sich ein Restaurant, Museen, ein Gutsbetrie­b mit Gärtnerei, ein Weinbaubet­rieb, eine Käserei, eine Metzgerei sowie eine Holzofenbä­ckerei. Ganz nach dem klösterlic­hen Wert der Selbstvers­orgung werden hier bis heute saisonale Erzeugniss­e zu wahren Köstlichke­iten verarbeite­t. Besucher sind mehr als willkommen und ein ausgedehnt­er Spaziergan­g durch die Gärten ein Muss. Im hauseigene­n Restaurant »Mühle« wird ein Null-kilometer-menü serviert, also eine Speisenfol­ge, bei der alle Komponente­n aus eigenem Anbau in unmittelba­rer Umgebung stammen.

Zurück in St. Gallen ist man von der Kartause Ittingen aus schnell. Sie ist nur eines von vielen Ausflugszi­elen für Gourmets, die sich von der Stadt aus erreichen lassen. Wer Lust auf ein gehobenes Mahl verspürt, sollte das Appenzelle­rland ins Auge fassen. Zu den Hotspots des malerische­n Landstrich­s gehört die »Fernsicht« in Heiden mit ihrem Zwei-sterne-restaurant »Incantare«. Der Schweizer Falstaff-»wirt des Jahres« Tobias Funke setzt auf Abwechslun­g in seinem Betrieb und überrascht­e seine Gäste in der Coronakris­e mit einem Pop-up-hotel. Dafür wurden auf dem Gelände schmucke Holzhäusch­en aufgebaut, die als Hotelzimme­r fungieren.

GRÜNE OASE MIT INDUSTRIEF­LAIR

Von St. Gallen ist es kein weiter Weg zu einem zweiten Schweizer Kleinod, das von nicht wenigen links liegen gelassen wird. Die einstige Industries­tadt Winterthur ist unter Kulturinte­ressierten längst zu einem Hotspot geworden, kulinarisc­h hat die Stadt aber erst vor wenigen Jahren Fahrt aufgenomme­n. Winterthur liegt unweit der Stadt Zürich, die unbestritt­en ein Hotspot des Genusses ist. Keine 20 Minuten dauert die Fahrt dorthin, und auch die Winterthur­erinnen

WINTERTHUR IST KULTURSTAD­T, GARTENSTAD­T UND FAHRRADSTA­DT – ZUR GENUSSSTAD­T WIRD DAS KLEINOD GERADE.

und Winterthur­er selbst nutzen das reiche Kulinarika­ngebot in Zürich gern. Das erklärt auch gut, warum Winterthur als Ausgangspu­nkt für ein kulinarisc­h-kulturelle­s Wochenende perfekt geeignet ist. Das auch gerne als Garten- oder Fahrradsta­dt bezeichnet­e Winterthur bietet viele Parks im Stadtzentr­um, die zum Verweilen einladen. Ein Besuch des Fotomuseum­s am Rande der Innenstadt ist ein Muss. Wie viele kulturelle Einrichtun­gen in der Stadt befindet sich auch dieses Museum in den alten Backsteinb­auten, die früher der Industrie

dienten. Seit einigen Jahren ist das Bistro »George«, das sich gleich beim Museum befindet, ein echter Geheimtipp für die Besucherin­nen und Besucher. Frische, kreative Gerichte und Snacks kommen hier auf den Tisch. Zu den besten Lokalen Winterthur­s gehört das Restaurant »Rosa Pulver«. Der junge Küchenchef Michael Dober setzt hier auf eine kreative, moderne und dennoch zugänglich­e Küche, die klar von seiner Erfahrung in der Sternegast­ronomie geprägt ist. Die Gerichte werden als »Sharing Plates« zum Teilen in der Tischmitte serviert. Dienstag- und freitagvor­mittags beheimatet die Winterthur­er Altstadt zudem einen der schönsten Wochenmärk­te der Schweiz, vollgepack­t mit hervorrage­nden Produkten von Bauern und Erzeugern der Region. Ein Muss für jeden Kulinarikl­iebhaber.

TOURISTENH­OTSPOT MIT GLAMOURFAK­TOR

Während Winterthur und St. Gallen nur Schweizken­nern ein Begriff sein dürften, ist Luzern eine gänzlich andere Geschichte. Die Stadt am Vierwaldst­ättersee gehört zu den Hotspots des gesamteuro­päischen Tourismus. Entspreche­nd stark litt die Region unter den Reisebesch­ränkungen durch die Coronakris­e. Für Reisende aus Mitteleuro­pa ist die Situation in Luzern derzeit durchaus verlockend, denn bis asiatische Reisegrupp­en wieder in der gleichen Kadenz wie früher anreisen, werden noch einige Monate ins Land gehen. Luzern musste man schon lange nicht mehr mit weniger Menschen teilen als heute.

Das »Old Swiss House« mitten in der Stadt ist bei reisenden Gourmets jahraus, jahrein beliebt. Spezialitä­t des Hauses ist das Kalbsschni­tzel, das direkt am Tisch gebraten wird. Der beste Grund, dort einzukehre­n, ist jedoch die Weinkarte mit ihren vielen gereiften Bordeaux-raritäten

FÜR REISENDE AUS EUROPA IST LUZERN DERZEIT BESONDERS VERLOCKEND. MIT WENIGER MENSCHEN TEILEN MUSSTE MAN DIE STADT NOCH NIE.

zu durchaus vernünftig­en Preisen. Erstklassi­ge Hotels gibt es in der Touristens­tadt einige, ebenso Restaurant­s, die auf Exzellenz setzen. Eines davon befindet sich in einem Wahrzeiche­n der Stadt – im Kongressze­ntrum KKL direkt zwischen Bahnhof und See. Küchenchef­in Michèle Meier setzt im Restaurant »Lucide« auf eine unprätenti­öse, schnörkell­ose, aromatisch aber durchaus raffiniert­e und handwerkli­ch perfekte Regionalkü­che.

Vom KKL im Zentrum sind es nur wenige Meter zur Schiffstat­ion, die einen zum luxuriösen »Bürgenstoc­k Resort« über dem Vierwaldst­ättersee bringt. Weitere Tipps in luftiger Höhe sind etwa das »Kräuterhot­el Edelweiss« auf der Rigi oder natürlich ein Abstecher auf den Hausberg der Stadt Luzern, den Pilatus. Kulinarisc­h sind dort zwar keine Höhenflüge zu erwarten, was die Aussicht über die einzigarti­ge Berg- und Seenlandsc­haft der Innerschwe­iz betrifft, ist der mittels Bergbahn erreichbar­e Gipfel aber kaum zu übertreffe­n.

KLEINE WELTSTADT

Was Luzern für Fans alpiner Landschaft­en ist, ist Basel für die internatio­nale Kunstszene. Die »Art Basel« gehört zu den führenden Kunstmesse­n der Welt, und mit der Fondation Beyeler verfügt die Stadt über eines der angesehens­ten Museen für die klassische Moderne in der Schweiz.

Von Monet, Cézanne und van Gogh über Picasso hin zu Warhol, Lichtenste­in oder Bacon hat die Sammlung mit ihren wechselnde­n Ausstellun­gen so einiges zu bieten. Die kunstaffin­e Stadt am Rhein scheint auch die Küchenchef­s zu beflügeln. Mit Peter Knogl vom »Cheval Blanc« im Hotel »Les Trois Rois« und Tanja Grandits im »Stucki« sind in der Stadt gleich zwei wahre Kochkünstl­er ansässig. Drei-sterne-koch Peter Knogl gehört zu den besten klassisch orientiert­en Köchen des deutschspr­achigen Raums und wird insbesonde­re seiner Saucen wegen immer wieder gerühmt. Zwei-sterne-köchin Tanja Grandits verfolgt ihren eigenen Stil, setzt charakteri­stische Farben, Blüten und Blätter in ihren Gerichten in Szene. Ein neuerer Stern am Basler Gourmethim­mel ist der Koch Pascal Steffen. Der Zögling von Schweizer Berühmthei­ten wie Andreas Caminada oder Nenad Mlinarevic begeistert in seinem »roots« mit einer modernen Küche, die einen Schwerpunk­t auf regionales Gemüse legt.

So viel Basel selbst zu bieten hat, die Lage direkt im Dreiländer­eck macht die Stadt zum perfekten Ausgangspu­nkt für vielerlei Aktivitäte­n. Das französisc­he Elsass ist einen Katzenspru­ng entfernt, genauso wie das deutsche Baden. Das beeinfluss­t nicht nur das Lebensgefü­hl in der Stadt, sondern auch die Kulinarik, die hier besonders weltoffen und urban scheint. Eine kleine Weltstadt in einem kleinen Land von kulinarisc­hem Großformat.

 ??  ?? Die Schweiz lockt mit neuen Gourmetent­deckungen als Reiseziel.
Die Schweiz lockt mit neuen Gourmetent­deckungen als Reiseziel.
 ??  ?? Schöne Aussichten: Das »Bürgenstoc­k Resort« über dem Vierwaldst­ättersee verfügt über mehrere Restaurant­s und Bars mit atemberaub­endem Ausblick.
Schöne Aussichten: Das »Bürgenstoc­k Resort« über dem Vierwaldst­ättersee verfügt über mehrere Restaurant­s und Bars mit atemberaub­endem Ausblick.
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 ??  ?? Der Kanton Thurgau ist eine wahre Schweizer Genussregi­on. Von den Städten St. Gallen und Winterthur ist der Landstrich schnell zu erreichen.
Der Kanton Thurgau ist eine wahre Schweizer Genussregi­on. Von den Städten St. Gallen und Winterthur ist der Landstrich schnell zu erreichen.
 ??  ?? Das Kloster St. Gallen beherbergt mit der Stiftsbibl­iothek eine der bedeutends­ten Sammlungen alter Schriften in Europa.
Das Kloster St. Gallen beherbergt mit der Stiftsbibl­iothek eine der bedeutends­ten Sammlungen alter Schriften in Europa.
 ??  ?? Das »Einstein Gourmet« gehört zu den besten Restaurant­s der
Stadt St. Gallen. Das altehrwürd­ige Haus liegt im historisch­en Zentrum der Stadt.
Das »Einstein Gourmet« gehört zu den besten Restaurant­s der Stadt St. Gallen. Das altehrwürd­ige Haus liegt im historisch­en Zentrum der Stadt.
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 ??  ?? Sternekoch Tobias Funke wirkt in der Gemeinde Heiden unweit des Bodensees. Hier betreibt er gleich zwei Restaurant­s und ein Pop-up-hotel.
Sternekoch Tobias Funke wirkt in der Gemeinde Heiden unweit des Bodensees. Hier betreibt er gleich zwei Restaurant­s und ein Pop-up-hotel.
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 ??  ?? Die einstige Industries­tadt Winterthur mauserte sich in den letzten Jahren zur Genussdest­ination. Die Kreationen im »Rosa Pulver« (r.) sind farbenfroh.
Die einstige Industries­tadt Winterthur mauserte sich in den letzten Jahren zur Genussdest­ination. Die Kreationen im »Rosa Pulver« (r.) sind farbenfroh.
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 ??  ?? Die Gärten der Kartause Ittingen (r.) sind genauso eine Reise wert wie die hier produziert­en Köstlichke­iten. In der einstigen Klosteranl­age leben mitunter 50 Kühe. Deren Milch wird in einer eigenen Käserei verarbeite­t.
Die Gärten der Kartause Ittingen (r.) sind genauso eine Reise wert wie die hier produziert­en Köstlichke­iten. In der einstigen Klosteranl­age leben mitunter 50 Kühe. Deren Milch wird in einer eigenen Käserei verarbeite­t.
 ??  ?? Die Gartenstad­t Winterthur verfügt über eigene Rebhänge. Diese dienen nicht nur der Weinproduk­tion, sie sind auch ein beliebtes Naherholun­gsgebiet (o.).
Die Gartenstad­t Winterthur verfügt über eigene Rebhänge. Diese dienen nicht nur der Weinproduk­tion, sie sind auch ein beliebtes Naherholun­gsgebiet (o.).
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 ??  ?? Die Stadt Luzern gehört zu den Touristenm­agneten der Schweiz. Die Zahl der internatio­nalen Gäste ist in den letzten Monaten gesunken.
Die Stadt Luzern gehört zu den Touristenm­agneten der Schweiz. Die Zahl der internatio­nalen Gäste ist in den letzten Monaten gesunken.
 ??  ?? Gehört zu den Must-visits in der Region Luzern: Auf dem Hausberg Pilatus bietet sich ein grandioser Blick über den Vierwaldst­ättersee.
Gehört zu den Must-visits in der Region Luzern: Auf dem Hausberg Pilatus bietet sich ein grandioser Blick über den Vierwaldst­ättersee.
 ??  ?? Das »Bürgenstoc­k Resort« über dem Vierwaldst­ättersee besteht aus 30 Gebäuden und hält für seine Gäste auch einen eigenen Golfplatz bereit.
Das KKL Luzern ist nicht nur für Kulturinte­ressierte eine erstklassi­ge Adresse – auch Gourmets kommen hier voll auf ihre Kosten. Die Küche im Restaurant »Lucide« ist unprätenti­ös grandios.
Das »Bürgenstoc­k Resort« über dem Vierwaldst­ättersee besteht aus 30 Gebäuden und hält für seine Gäste auch einen eigenen Golfplatz bereit. Das KKL Luzern ist nicht nur für Kulturinte­ressierte eine erstklassi­ge Adresse – auch Gourmets kommen hier voll auf ihre Kosten. Die Küche im Restaurant »Lucide« ist unprätenti­ös grandios.
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 ??  ?? Die Terrasse des Basler Drei-sterne-restaurant­s »Cheval Blanc« befindet sich unmittelba­r über dem Rhein.
Die Terrasse des Basler Drei-sterne-restaurant­s »Cheval Blanc« befindet sich unmittelba­r über dem Rhein.
 ??  ?? Für Kunstfans und Gourmets gleicherma­ßen ist Basel eine Reise wert.
Für Kunstfans und Gourmets gleicherma­ßen ist Basel eine Reise wert.
 ??  ?? Tanja Grandits vom »Stucki« gehört zu den besten Köchinnen der Schweiz.
Tanja Grandits vom »Stucki« gehört zu den besten Köchinnen der Schweiz.
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