HOCH HINAUS!
Schweizer Köche sammeln ständig neue Sterne. Ein Grund mehr für Besuch beim Nachbarn
Die Schweizer Gastronomie entwickelt sich seit Jahren exzellent – und das bei Weitem nicht nur in den Metropolen. Im europäischen Vergleich verfügt die Alpennation über eine der höchsten Sternedichten pro Einwohner. Für einen kulinarischen Kurztrip unweit der Heimat ist die Schweiz nahezu perfekt.
Die Zugfahrt von St. Gallen nach Genf dauert keine vier Stunden. In der Schweiz kann man also problemlos ganz im Osten des Landes zu Mittag essen und dann zum Dinner ganz im Westen aufschlagen. Kann man – muss man aber nicht. Exzellente Lokale, Hotels und Sehenswürdigkeiten findet man in allen besiedelten Regionen der Schweiz, auch in solchen, an die man im ersten Moment vielleicht gar nicht denkt.
Zu den unterschätzten Regionen der Schweiz – gerade auch innerhalb des
Landes selbst – gehören die Stadt und die Region St. Gallen. Denn für ein verlängertes, genussvolles Wochenende liegt die Stadt südlich des Bodensees strategisch perfekt. Man ist hier schnell am See, im schmucken Appenzellerland oder im Genusskanton Thurgau. Aber auch bekannte Weingegenden – wie etwa die Bündner Herrschaft – sind rasch zu erreichen. Auch St. Gallen selbst hat an kulinarischer Anziehungskraft in den letzten Jahren gewonnen.
DIE STADT UND DIE REGION ST. GALLEN GEHÖREN ZU DEN UNTERSCHÄTZTEN REGIONEN DER SCHWEIZ. ZUM GENUSS IST ES HIER NIE WEIT.
OSTSCHWEIZER GENUSS-HUB
Die Altstadt von St. Gallen gehört zum Unesco-kulturerbe. Hier befindet sich die weltberühmte Stiftsbibliothek, die älteste Bibliothek der Schweiz und eine wichtige Quelle der Entwicklung der europäischen Kultur. Nur wenige Gehminuten davon entfernt liegt mit dem »Einstein Gourmet« eine der besten Adressen für Genießer in der Stadt. Das 1830 erbaute Hotel »Einstein« ist eine Institution in St. Gallen und das dazugehörige Zwei-sterne-restaurant »Einstein Gourmet« seit einigen Jahren Anziehungspunkt für Gourmets in der Gallusstadt und darüber hinaus. Küchenchef Sebastian Zier ist kreativ, geizt nicht mit überraschenden Aromakompositionen und schafft es dabei dennoch, bei allen Kreationen einen klassisch französischen Kern zu bewahren. Die Weinkarte ist eine der besten des Landes – insbesondere auch was heimische Gewächse betrifft.
Wer in St. Gallen weilt und die Lust verspürt, eine Weingegend zu erkunden, hat es nicht weit. Besonders lohnenswert ist
ein Abstecher in den angrenzenden Kanton Thurgau. Berühmt für seine Apfelproduktion, entstehen im »Mostindien« genannten Kanton auch einige der besten Weine der Ostschweiz. Ein ehemaliges Kartäuserkloster, die Kartause Ittingen, mauserte sich in den letzten Jahren zu einer Hochburg für Regionalität und nachhaltige Gastronomie. In den wunderschönen, alten Klostermauern befinden sich ein Restaurant, Museen, ein Gutsbetrieb mit Gärtnerei, ein Weinbaubetrieb, eine Käserei, eine Metzgerei sowie eine Holzofenbäckerei. Ganz nach dem klösterlichen Wert der Selbstversorgung werden hier bis heute saisonale Erzeugnisse zu wahren Köstlichkeiten verarbeitet. Besucher sind mehr als willkommen und ein ausgedehnter Spaziergang durch die Gärten ein Muss. Im hauseigenen Restaurant »Mühle« wird ein Null-kilometer-menü serviert, also eine Speisenfolge, bei der alle Komponenten aus eigenem Anbau in unmittelbarer Umgebung stammen.
Zurück in St. Gallen ist man von der Kartause Ittingen aus schnell. Sie ist nur eines von vielen Ausflugszielen für Gourmets, die sich von der Stadt aus erreichen lassen. Wer Lust auf ein gehobenes Mahl verspürt, sollte das Appenzellerland ins Auge fassen. Zu den Hotspots des malerischen Landstrichs gehört die »Fernsicht« in Heiden mit ihrem Zwei-sterne-restaurant »Incantare«. Der Schweizer Falstaff-»wirt des Jahres« Tobias Funke setzt auf Abwechslung in seinem Betrieb und überraschte seine Gäste in der Coronakrise mit einem Pop-up-hotel. Dafür wurden auf dem Gelände schmucke Holzhäuschen aufgebaut, die als Hotelzimmer fungieren.
GRÜNE OASE MIT INDUSTRIEFLAIR
Von St. Gallen ist es kein weiter Weg zu einem zweiten Schweizer Kleinod, das von nicht wenigen links liegen gelassen wird. Die einstige Industriestadt Winterthur ist unter Kulturinteressierten längst zu einem Hotspot geworden, kulinarisch hat die Stadt aber erst vor wenigen Jahren Fahrt aufgenommen. Winterthur liegt unweit der Stadt Zürich, die unbestritten ein Hotspot des Genusses ist. Keine 20 Minuten dauert die Fahrt dorthin, und auch die Winterthurerinnen
WINTERTHUR IST KULTURSTADT, GARTENSTADT UND FAHRRADSTADT – ZUR GENUSSSTADT WIRD DAS KLEINOD GERADE.
und Winterthurer selbst nutzen das reiche Kulinarikangebot in Zürich gern. Das erklärt auch gut, warum Winterthur als Ausgangspunkt für ein kulinarisch-kulturelles Wochenende perfekt geeignet ist. Das auch gerne als Garten- oder Fahrradstadt bezeichnete Winterthur bietet viele Parks im Stadtzentrum, die zum Verweilen einladen. Ein Besuch des Fotomuseums am Rande der Innenstadt ist ein Muss. Wie viele kulturelle Einrichtungen in der Stadt befindet sich auch dieses Museum in den alten Backsteinbauten, die früher der Industrie
dienten. Seit einigen Jahren ist das Bistro »George«, das sich gleich beim Museum befindet, ein echter Geheimtipp für die Besucherinnen und Besucher. Frische, kreative Gerichte und Snacks kommen hier auf den Tisch. Zu den besten Lokalen Winterthurs gehört das Restaurant »Rosa Pulver«. Der junge Küchenchef Michael Dober setzt hier auf eine kreative, moderne und dennoch zugängliche Küche, die klar von seiner Erfahrung in der Sternegastronomie geprägt ist. Die Gerichte werden als »Sharing Plates« zum Teilen in der Tischmitte serviert. Dienstag- und freitagvormittags beheimatet die Winterthurer Altstadt zudem einen der schönsten Wochenmärkte der Schweiz, vollgepackt mit hervorragenden Produkten von Bauern und Erzeugern der Region. Ein Muss für jeden Kulinarikliebhaber.
TOURISTENHOTSPOT MIT GLAMOURFAKTOR
Während Winterthur und St. Gallen nur Schweizkennern ein Begriff sein dürften, ist Luzern eine gänzlich andere Geschichte. Die Stadt am Vierwaldstättersee gehört zu den Hotspots des gesamteuropäischen Tourismus. Entsprechend stark litt die Region unter den Reisebeschränkungen durch die Coronakrise. Für Reisende aus Mitteleuropa ist die Situation in Luzern derzeit durchaus verlockend, denn bis asiatische Reisegruppen wieder in der gleichen Kadenz wie früher anreisen, werden noch einige Monate ins Land gehen. Luzern musste man schon lange nicht mehr mit weniger Menschen teilen als heute.
Das »Old Swiss House« mitten in der Stadt ist bei reisenden Gourmets jahraus, jahrein beliebt. Spezialität des Hauses ist das Kalbsschnitzel, das direkt am Tisch gebraten wird. Der beste Grund, dort einzukehren, ist jedoch die Weinkarte mit ihren vielen gereiften Bordeaux-raritäten
FÜR REISENDE AUS EUROPA IST LUZERN DERZEIT BESONDERS VERLOCKEND. MIT WENIGER MENSCHEN TEILEN MUSSTE MAN DIE STADT NOCH NIE.
zu durchaus vernünftigen Preisen. Erstklassige Hotels gibt es in der Touristenstadt einige, ebenso Restaurants, die auf Exzellenz setzen. Eines davon befindet sich in einem Wahrzeichen der Stadt – im Kongresszentrum KKL direkt zwischen Bahnhof und See. Küchenchefin Michèle Meier setzt im Restaurant »Lucide« auf eine unprätentiöse, schnörkellose, aromatisch aber durchaus raffinierte und handwerklich perfekte Regionalküche.
Vom KKL im Zentrum sind es nur wenige Meter zur Schiffstation, die einen zum luxuriösen »Bürgenstock Resort« über dem Vierwaldstättersee bringt. Weitere Tipps in luftiger Höhe sind etwa das »Kräuterhotel Edelweiss« auf der Rigi oder natürlich ein Abstecher auf den Hausberg der Stadt Luzern, den Pilatus. Kulinarisch sind dort zwar keine Höhenflüge zu erwarten, was die Aussicht über die einzigartige Berg- und Seenlandschaft der Innerschweiz betrifft, ist der mittels Bergbahn erreichbare Gipfel aber kaum zu übertreffen.
KLEINE WELTSTADT
Was Luzern für Fans alpiner Landschaften ist, ist Basel für die internationale Kunstszene. Die »Art Basel« gehört zu den führenden Kunstmessen der Welt, und mit der Fondation Beyeler verfügt die Stadt über eines der angesehensten Museen für die klassische Moderne in der Schweiz.
Von Monet, Cézanne und van Gogh über Picasso hin zu Warhol, Lichtenstein oder Bacon hat die Sammlung mit ihren wechselnden Ausstellungen so einiges zu bieten. Die kunstaffine Stadt am Rhein scheint auch die Küchenchefs zu beflügeln. Mit Peter Knogl vom »Cheval Blanc« im Hotel »Les Trois Rois« und Tanja Grandits im »Stucki« sind in der Stadt gleich zwei wahre Kochkünstler ansässig. Drei-sterne-koch Peter Knogl gehört zu den besten klassisch orientierten Köchen des deutschsprachigen Raums und wird insbesondere seiner Saucen wegen immer wieder gerühmt. Zwei-sterne-köchin Tanja Grandits verfolgt ihren eigenen Stil, setzt charakteristische Farben, Blüten und Blätter in ihren Gerichten in Szene. Ein neuerer Stern am Basler Gourmethimmel ist der Koch Pascal Steffen. Der Zögling von Schweizer Berühmtheiten wie Andreas Caminada oder Nenad Mlinarevic begeistert in seinem »roots« mit einer modernen Küche, die einen Schwerpunkt auf regionales Gemüse legt.
So viel Basel selbst zu bieten hat, die Lage direkt im Dreiländereck macht die Stadt zum perfekten Ausgangspunkt für vielerlei Aktivitäten. Das französische Elsass ist einen Katzensprung entfernt, genauso wie das deutsche Baden. Das beeinflusst nicht nur das Lebensgefühl in der Stadt, sondern auch die Kulinarik, die hier besonders weltoffen und urban scheint. Eine kleine Weltstadt in einem kleinen Land von kulinarischem Großformat.