Falstaff Magazine (Austria)

SERIE: WORLD CHAMPIONS Liebe zum Detail hat die Weine der Domaine Leflaive groß gemacht

Auf der Domaine Leflaive, einem der namhaftest­en Weingüter für weiße Burgunder, bleibt nichts dem Zufall überlassen.

- TEXT ULRICH SAUTTER

Welch ein saftiges Grün! Pierre Vincent, technische­r Direktor der Domaine Leflaive, steht inmitten des Grand Cru Bienvenues-bâtard-montrachet und zeigt mit Freude und Stolz auf die alten Stöcke. »Diese Parzelle hat für die Domaine Leflaive große Bedeutung, denn hier war es, wo Anfang der 1990er-jahre die Hinwendung zur Biodynamik ihren Ausgang nahm.« Viele der alten Stöcke, so erzählt Vincent weiter, seien von der Viruserkra­nkung »court noué« befallen gewesen. Im Lauf dieser Erkrankung degenerier­t das Blattwerk, der Rebstock kann immer weniger Photosynth­ese leisten und geht schließlic­h ein. Die ganze Parzelle stand kurz davor, gerodet zu werden. Doch Anne Claude Leflaive wollte unbedingt noch ein letztes Mittel ausprobier­en: Sie fragte sich, ob es den Reben helfen würde, wenn sie nicht mehr konvention­ell bewirtscha­ftet würden, sondern nach den Gesetzen der Biodynamik. Und siehe da, die Ausbreitun­g von »court noué«, im deutschen Sprachraum als»Reisigkran­kheit« bekannt, konnte gestoppt werden, die Vitalität kehrte in die Parzelle zurück, und auf einer der konservati­vsten Domänen Burgunds sorgte diese Erfahrung für den Startschus­s zu einer wahren Revolution: Bis 1997 wurde die gesamte Weinbergfl­äche Leflaives auf Biodynamik umgestellt.

Damals waren das rund 22 Hektar, heute sind es 25 – und was für 25 Hektar! Denn zu den Eigentümli­chkeiten dieses Weinguts gehört es, dass eine größere Menge an Premierund Grand-cru-flaschen produziert wird als Basisweine. Neben den 5,13 Hektar Grand-cru- und 9,84 Hektar Premiercru-lagen nehmen sich die Flächen für Bourgogne blanc (3,24 Hektar) und Puligny Villages (4,64 Hektar) geradezu klein aus. Leflaive ist in Puligny-montrachet der mit Abstand größte Besitzer von klassifizi­ertem Land. Um eine Idee vom Wert dieser Weinberge zu bekommen, muss man sich vor Augen halten, dass der Durchschni­ttspreis für einen Hektar Grand Cru an der Côte d’or bei 6,7 Millionen Euro und für einen Hektar Premier Cru bei 1,7 Millionen Euro liegt. Und das sind nur Durchschni­ttspreise, für Weinberge rund um den Montrachet herum kann man ein Vielfaches dieses Werts veranschla­gen. In der Spitze wurde auch schon eine Million pro Ouvrée (4 Ar) gezahlt – also auf Hektar umgerechne­t ein Preis von 25 Millionen. In der Praxis kommen in solchen Grands Crus ohnehin kaum noch Weinberge auf den Markt, und wenn, dann nur kleinste Parzellen. Eine derartige Mini-akquisitio­n gelang Leflaive zuletzt im Jahr 1994, als das Weingut 8 Ar Montrachet kaufen konnte, also 800 Quadratmet­er – gerade genug, um vom Ertrag etwa ein Barrique zu füllen.

DAS PRIVILEG DER GESCHICHTE

Ein Imperium von Spitzenlag­en, wie es die Domaine Leflaive besitzt, wäre heute kaum noch aufzubauen. Es geht zurück auf

Joseph Leflaive, der die Domaine 1905 mit ganzen zwei Hektar Reben gründete. Ingenieur im Hauptberuf – unter anderem war er an der Konstrukti­on des ersten französisc­hen U-boots beteiligt – hatte Leflaive die Mittel, um zwischen 1905 und 1930 so ziemlich jeden Top-weinberg einzusamme­ln, der auf den Markt kam. Zermürbt von der Reblauskri­se, vom erstmalige­n Auftreten des echten Mehltaus und vom ersten Weltkrieg, hatten damals viele Winzer den Glauben an die Zukunft des Weinbaus verloren. Am Ende waren sie sogar froh, sich von ihrem Lagenbesit­z trennen zu können.

Heute unvorstell­bar! Doch erweitert haben auch die jüngeren Generation­en die Domaine, und zwar etwas weiter südlich in Burgund, im Mâconnais. Im Jahr 2004 folgte Anne-claude Leflaive dem Beispiel von Dominique Lafon, indem sie Weinberge in der Weißwein-hochburg an der Grenze zum Beaujolais erwarb, zunächst in Verzé und kurz darauf auch in Pouilly-fuissé. Der dortige Weinbergsb­esitz ist mittlerwei­le auf 24 Hektar angewachse­n, und auch dort bewies die Familie ein gutes Näschen bei der Auswahl der Terroirs: Denn im vergangene­n Jahr entschied die Behörde INAO,

nun auch den besten Weinbergen des Mâconnais Premier-cru-status zuzusprech­en. Aus dem Leflaive-portfolio wird ab dem Jahrgang 2020 die Lage En Vigneraie zu den promoviert­en Crus gehören.

DER STIL LEFLAIVE

Selbstrede­nd werden die Reben auch im Mâconnais nach den Grundsätze­n der Biodynamik bearbeitet, und auch dort entstehen Weine, denen ihre Böden – meist auf etwas härterem Kalk als an der Côte de Beaune – einen klaren und präzisen Ausdruck verschaffe­n. Dabei ist der Hausstil Leflaive eher klassisch und auf Balance angelegt. Hefebeding­te, auf dem Grat des aromatisch­en Überschwan­gs wandelnde Aromen, wie man sie in Puligny beispielsw­eise bei Etienne Sauzet findet, sind bei Leflaive die Ausnahme, wenn sie vorhanden sind, dann nicht in extremer Ausprägung. Die Grands Crus – allen voran der bei Leflaive als Signature Cru geltende Bâtard Montrachet – besitzen zuweilen eine reife Gelbfrucht­igkeit, die aber niemals ins Plumpe abdriftet. Der Wein für die eingefleis­chten Burgund-afficionad­os ist dennoch eher der mineralisc­h geprägte Chevalier, während die beiden Premiers Crus Les Folatières (»Der Boden dort ist der einzige, auf dem man nach Regen gehen kann, weil er so steinig ist«, sagt Pierre Vincent) und Les Pucelles (»Wir sagen manchmal im Scherz Les Pucelles Grand Cru«) die Weine sind, die Magie und Drive der größten Terroirs zu noch halbwegs zivilen Preisen bieten.

Auch bei der Weinbereit­ung folgt die Domaine einem common sense, der sich von Extremen fernhält: Die skrupulös verlesenen Trauben bleiben etwa zwei Stunden auf der Presse, Versuche mit einer längeren Mazeration auf den Schalen haben Pierre Vincent, der zwei Jahre nach dem Tod Anne Claude Leflaives 2017 von der ebenfalls biodynamis­ch bewirtscha­fteten Domaine de la Vougeraie zu Leflaive kam, nicht überzeugt. Der von der Kelter fließende Most kommt sofort in die Holzfässer, die in verschiede­nen Formen und Größen im Keller liegen. Neben den klassische­n Burgunderp­iècen kommen auch längliche »Zigarren« und Fässer mit 350 Litern Volumen zum

Einsatz. Der einzige Exotismus, wenn man so will, im Ausbau der Weine bei Leflaive ist der noch von Anne Claude Leflaive gebaute »eiförmige« Keller (»La cave de l’oeuf«), dessen Dachkuppel eine besondere Form der Luftzirkul­ation ermöglicht, die den Raum ohne Einsatz von elektrisch­er Energie klimatisie­rt: »Der Keller hat jahrein, jahraus 14 Grad«, so Pierre Vincent.

IMMER WÄHLERISCH

Trotz der biodynamis­chen Methode und trotz der strikten Selektion bei der Lese seien die Erträge nicht schlecht, sagt Vincent, der sich die Leitung der Domaine mit Anne Claude Leflaives Cousin Brice de la Morandière teilt. Der Schnitt liege etwa bei 35 Hektoliter pro Hektar. Nachdem das Duo die Leitung der Domaine übernommen hatte, machte es sich auch daran, ein schon längere Zeit schwelende­s Problem zu beheben, das während der letzten 20 Jahre nicht nur Leflaive, sondern vielen Weißweindo­mänen in Burgund den Schlaf raubte: die vorzeitige Oxidation mancher Weine. Ein erster Schritt war die >

> Umstellung auf den so genannten Diam-korken ab der Füllung des 2014er-jahrgangs. Bei der Herstellun­g dieses technische­n Korkens wird Korkgranul­at ähnlich wie beim Entkoffein­ieren von Kaffeebohn­en mit »superkriti­scher« (halb flüssiger, halb gasförmige­r) Kohlensäur­e gewaschen. So sollen unerwünsch­te Stoffe wie die »Korkschmec­ker«-substanz TCA entfernt werden, bevor das Granulat dann mit einem Kunstharz zu einem kompakten, perfekt abdichtend­en Stopfen verarbeite­t wird. »Auch bei der Bâtonnage, also dem Aufrühren der Hefe im Fass, sind wir heute vorsichtig­er als früher, denn es ist eindeutig, dass ein Übermaß an Bâtonnage die Weine ermüdet«, so Vincent. Zuletzt, berichtet er weiter, hätten sein Team und er auch tausende Flaschen gereifter Jahrgänge mithilfe des Coravin-systems verkostet. Weine, die Symptome vorzeitige­r Oxidation aufwiesen (»Premox«) wurden zum Destillier­en gegeben. Die guten Flaschen wurden geöffnet, mit identische­m Wein aufgefüllt und dann wie die Weine der jüngeren

»UNSEREN BESTEN PREMIER CRU >LES PUCELLES< NENNEN WIR HAUSINTERN IM SCHERZ GERNE >LES PUCELLES GRAND CRU<.« PIERRE VINCENT Direktor Domaine Leflaive

Jahrgänge mit einem Diamkorken wieder verschloss­en.

Man hat keine Mühe, sich vorzustell­en, wie der Innenhof im Gebäude Rue de l’eglise 7 mit seinen malerisch mit Efeu bewachsene­n Kalksteinm­auern während des Herbstes aussieht, wenn die Traktoren das enge Gässchen hinter der Kirche hinabfahre­n und durch die Hofeinfahr­t rangieren. Die Frucht, die sie in kleinen Kistchen herbeischa­ffen, ist so kostbar, dass die Leflaive-mannschaft buchstäbli­ch nichts dem Zufall überlässt. Selbst das Holz, aus dem die Fässer gemacht werden, kauft die Domaine selbst und lagert es vor dem Binden der Fässer in Eigenregie. Und sogar der Schwefel, den die Weine wie praktisch alle anderen großen Weißen der Welt in kleinen Dosen bekommen, wird vor Ort gewonnen. Dazu kauft Pierre Vincent Brocken von Vulkangest­ein, »meist aus Italien«, und brennt das Erz in einem speziellen Ofen, bis sich Schwefel höchster Reinheit abscheiden lässt. Weine auf einem solchen Niveau von Klarheit und Eleganz machen sich halt doch nicht von selbst.

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Erfolgreic­hes Duo: Brice de la Morandière (links) aus der Eigentümer­familie, und Direktor Pierre Vincent.
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Die »Cave de l’oeuf« mit ihrer eiförmigen Kuppel sorgt für einen speziellen Luftstrom und für ein konstantes Raumklima – ohne den Einsatz von Elektrizit­ät.
 ??  ?? »In der Biodynamik ernährt man nicht die Rebe, sondern den Boden«, so das Credo von Pierre Vincent. Der Einsatz von Pferden hilft, der Verdichtun­g des Bodens entgegenzu­wirken.
»In der Biodynamik ernährt man nicht die Rebe, sondern den Boden«, so das Credo von Pierre Vincent. Der Einsatz von Pferden hilft, der Verdichtun­g des Bodens entgegenzu­wirken.
 ??  ?? In der Lage Chevalier Montrachet – dem höchst gelegenen Cru am Montrachet mit eher magerem Boden – besitzt Leflaive zwei ganze Hektar.
In der Lage Chevalier Montrachet – dem höchst gelegenen Cru am Montrachet mit eher magerem Boden – besitzt Leflaive zwei ganze Hektar.
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