Falstaff Magazine (Austria)

WIR SIND, WAS WIR ESSEN Bio-pionier Werner Lampert erklärt, warum Nachhaltig­keit Genuss ist

Massentier­haltung und industrial­isierte Landwirtsc­haft schaden der Natur, also uns selbst. Außerdem verspricht erst die Alternativ­e dazu wahrhaften Genuss.

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In der Entwicklun­g des Menschen gab es einen sehr langen Zeitabschn­itt, in dem der Mensch mit seiner Umwelt im Gleichgewi­cht war. Unsere Vorfahren zogen durch die Welt, sammelten Essbares, entwickelt­en ihre sozialen Fähigkeite­n, machten Kunst und Liebe, manchmal erlegten sie gemeinsam ein Tier, das dann zu einem Festmahl für die Sippe wurde. Man könnte meinen, es war eine gute Zeit. Doch der Menschen Sinnen trieb sie woandershi­n.

Vor 10.000 bis 12.000 Jahren begann der Mensch, sesshaft zu werden. Etwas sein »Eigen« zu nennen, bedeutete einen Bruch mit der bis dahin gelebten Kulturgesc­hichte des Menschen. Was besessen wurde, gab dem Einzelnen von nun an seinen Wert. Die Pflege des Besitzes und Vorsorge waren notwendig, so entwickelt­e sich die Landwirtsc­haft. Wildpflanz­en wurden nach und nach kultiviert, Wildtiere domestizie­rt und Göttern mit der Bitte um ein gnädiges Schicksal geopfert.

Sesshaftig­keit, Besitz, Dominanz und Domestikat­ion sind eng miteinande­r verbunden, Kapital wurde bald durch die Anzahl der Köpfe – capita – der Herde repräsenti­ert. Der Mensch begann, im Schweiße seines Angesichts seine neue Lebensgrun­dlage zu gestalten. Was damals als Fortschrit­t begann, ist heute in eine Sackgasse geraten. Massentier­haltung und industrial­isierte Landwirtsc­haft sind unsere Errungensc­haften. Selbstvers­tändlich hat die Erderhitzu­ng heute etwas mit unserer Ernährung zu tun.

Essen schärft unsere Sinne, entfacht Freude und bringt uns mit Freunden zusammen, beim gemeinsame­n Genuss wird das Leben zum Fest. Wir werden zugewandt, sozial und großzügig. Kann es sein, dass unsere Nahrung, die uns so viel Freude bereitet, unseren Planeten zerstört? Der uns eigene Egoismus, unser Perfektion­ismus, unser Wille, in der Landwirtsc­haft alles zu rationalis­ieren, zu merkantili­sieren, hat die Welt aus dem Gleichgewi­cht gebracht.

VOM HAUSTIER ZUM NUTZTIER

Landwirtsc­haft und Lebensmitt­elprodukti­on mit der Änderung der Landnutzun­g – etwa durch die Zerstörung der Regenwälde­r, um Platz zu machen für unser Viehfutter – machen 37 Prozent der weltweiten Co2-emissionen aus. Um die Tiere der Bauern in der EU zu füttern, benötigt es 63 Prozent der Eu-weiten Ackerfläch­e und zusätzlich außerhalb der EU eine Fläche, die der gesamten Landwirtsc­haft Deutschlan­ds entspricht, hauptsächl­ich in den Regionen früherer Regenwälde­r. So viel Sachaufwan­d erfordert Massentier­haltung.

Und wie ergeht es den Tieren dabei? Als ich Kind war, hießen Tiere auf dem Bauernhof »Haustiere«, heute werden sie »Nutztiere« genannt. Die Begriffsän­derung schafft Distanz. Ist etwas zum Nutzen, wird es zur Sache, und eine Sache können wir ohne Skrupel benutzen.

Ein Tier, das mir persönlich ganz nahe ist, ist das Rind – eines der wunderbars­ten Geschöpfe auf dieser Erde. Mensch und Rind gingen für viele Jahrtausen­de eine Schicksals­gemeinscha­ft ein. In der Beziehung zueinander schütten Mensch und

Rind Oxytocin aus. Mensch und Rind können einander glücklich machen, wenn sie sich aufeinande­r einlassen, sagt uns das

Glückshorm­on. Rinder können durch ihren vierteilig­en Magen Gras, nichts als Gras, in Milch und Fleisch verwandeln. Werden Rinder auf der Weide gehalten – anderes Fleisch und andere Milch sind ohnehin kein Genuss –, erhalten und steigern sie mit ihrem Dung die Fruchtbark­eit der Böden. Ein Rind benötigt keine Sojabohne aus dem ehemaligen Regenwald und auch kein Getreide – die leistungsd­ominierte Landwirtsc­haft braucht das, denn auch die Haustiere werden dem Leistungsp­rinzip unterworfe­n. Milchkühen werden in der Massentier­haltung Harnstoffe, Propylengl­ykol, geschützte Aminosäure­n und proteinhal­tiges Kraftfutte­r gefüttert. Eine Kuh, die zehn bis 15 Kälber bekommen könnte, ist durch diese Haltungsfo­rm nach zwei Laktatione­n am Ende. Auch das belastet unsere Klimabilan­z.

Tiere haben eine Seele, können Freude und Leid empfinden. Wie wir mit unseren Tieren umgehen, hat viel mit unserem Menschsein zu tun. Spalten wir das Tierleid ab, beschädige­n wir unsere Seelen. Begegne ich Rindern, muss ich an den großen französisc­hen Forscher Claude Lévi-strauss denken. Am Ende seines Lebens wurde er gefragt, was ihm nie gelungen sei. Er meinte darauf, er hätte so gerne mit einem Tier gesprochen, er hätte ganz andere Einsichten in das Leben gewonnen.

Massentier­haltung und industrial­isierte Landwirtsc­haft, gängige Praxis in der Schweineha­ltung, belasten unseren Planeten auf ungeheure Weise. Vor Jahren hatte ich ein Freilandpr­ojekt; nie habe ich Schweine gesehen mit so viel Lebensfreu­de, Schalk, Witz und Lebendigke­it. Busweise kamen Besucher, um das zu erleben. Erst im Freiland entwickeln Schweine ihre unglaublic­he Intelligen­z, ihre durch und durch sozialen Fähigkeite­n. Im Übrigen soll die DNA der Schweine der menschlich­en sehr ähnlich sein. In der Massentier­haltung haben sie kein Leben, es ist ein Vegetieren auf Spaltböden über ihren Ausscheidu­ngen und Ammoniakdä­mpfen, die Tiere attackiere­n einander vor Enge und Langeweile. Hühnern geht es in Massentier­haltung nicht besser. Sie in ihren engen Ställen mit abgezwickt­en Schnäbeln zu sehen, ist ein Elend.

GENUSS FÜR ALLE

Es gibt nicht uns Menschen und die Natur, wir sind Teil der Natur, des Ökosystems, und was wir essen, ist ein Teil von uns. Wovon wir leben, ist die Frage, die uns umtreiben sollte. Es lohnt sich, genau hinzuschau­en, woher unser Essen kommt und wie es gelebt hat. Bei uns in Österreich haben wir das Glück, beste biologisch­e Lebensmitt­el erstehen zu können. Ihr Konsum hilft Umwelt, Artenvielf­alt und dem Wohl der Tiere. Sie als Verbrauche­r handeln aktiv gegen die Erderhitzu­ng. Verantwort­ung zu übernehmen lohnt sich – für einen selbst und die nächsten Generation­en. Genau hinzuschau­en bringt mehr Genuss und Freude beim Essen, und zu wissen, dass Ihre Lebensmitt­el keine devastiert­e Welt hinterlass­en, ist einfach ein gutes Gefühl. Trauen Sie sich, Ihren Lebensstil zu verändern, noch sind Sie handlungsf­ähig, noch ist es eine Frage der eigenen Haltung. »Give life a chance«, wandeln die mutigen jungen Leute von »Fridays for Future« einen John-lennon-song ab. Geben auch Sie durch Ihr Konsumverh­alten dem Leben eine Chance. <

WIR SIND TEIL DER NATUR. WAS WIR ESSEN, IST EIN TEIL VON UNS.

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