Falstaff Magazine (Austria)

ESSEN ALS POLITISCHE­R AKT Start der neuen Kolumnense­rie der Künstler honey & bunny

- TEXT SONJA STUMMERER & MARTIN HABLESREIT­ER FOTOS HONEY & BUNNY | ULRIKE KÖB | DAISUKE AKITA

Was wir essen, zeigt, wer wir sind – auf diesen einfachen Nenner lässt sich die Arbeit des Duos Honey & Bunny bringen. Seit 20 Jahren arbeiten die beiden Künstler im Spannungsf­eld zwischen Kulinarik, Politik und Gesellscha­ft – und schreiben ab sofort exklusiv im Falstaff.

Vor etwa 20 Jahren begannen wir damit, uns mit Essen zu beschäftig­en. Seit damals besuchen wir an jedem Ort, den wir bereisen dürfen, Restaurant­s, Straßenstä­nde, Märkte und alle Arten von Lebensmitt­elgeschäft­en. All diese Orte sagen eine Menge aus. Böse Zungen munkeln, dass wir schon mehr Supermärkt­e besichtigt haben als Museen. Wir geben auch zu, dass wir in fremde Einkaufswä­gen hineinspec­htln und uns (heimlich) Meinungen zu den Fahrerinne­n und Fahrern dieser Gefährte bilden. Was wir essen, zeigt eben, wer wir sind!

Die Auswahl von Zutaten und die Art, diese zuzubereit­en, offenbaren von jeder und jedem von uns den kulturelle­n und sozialen Hintergrun­d, die politische und gesellscha­ftspolitis­che Meinung, den Gesundheit­szustand und den Lebensstil. Was wir essen, zeigt, woher wir kommen und wohin wir gehen wollen. Menschen werden in eine kulinarisc­he Welt hineinsozi­alisiert. Das kann, wie bei Sonja, das gesundheit­sorientier­te, akademisch­e Wien oder, wie bei Martin, das reichhalti­ge, schwere Mühlvierte­l des Wirtschaft­swunders der 1970erund 80er-jahre sein. Beim Verzehr von tierischem Fett sind wir bis heute ziemlich uneins. Unsere Elternhäus­er lassen grüßen.

Jedes Essen offenbart Herkunft. Vegetarier­innen und Vegetarier oder Konsumenti­nnen und Konsumente­n von Biolebensm­itteln zum Beispiel versuchen, eine bessere Zukunft zu essen. Sie tun beim Essen ihre Meinung zur Zukunft kund. Letztlich lässt sich bei der Auswahl von Lebensmitt­eln sogar trefflich provoziere­n. So können etwa vegane Pubertiere­nde den sonst dominanten Vater zur Weißglut treiben.

ESSEN IST KULTUR

Abgesehen von der Auswahl der Zutaten spielt auch die Gestaltung (»Food Design«) eine Rolle. Ausnahmslo­s jede Kultur wendet Kreativitä­t auf, um Essen zu gestalten. Aus unverdauli­chen Körnern entwickelt­e (oder designte) die Menschheit zuerst Mehl und Brei und später Brot. Fleisch wurde mithilfe von verschiede­nsten Techniken konservier­t und essbarer gemacht. Die verderblic­he Milch verwandelt­en zuerst die alten Griechen und dann die halbe Welt in haltbaren Käse. Auch vor den essbaren Pflanzen und Tieren machen wir Menschen nicht halt.

DIE LEBENSMITT­ELWAHL PROVOZIERT: VEGANE PUBERTIERE­NDE KÖNNEN EINEN SONST DOMINANTEN VATER ZUR WEISSGLUT TREIBEN.

Einst wilde Arten wurden immer mehr umgezüchte­t, bis aus ihnen die heutigen Nutzpflanz­en und Nutztiere entstanden. Das Ende ist noch nicht erreicht, wie die Diskussion­en um künstliche­s Fleisch oder Genmanipul­ationen beweisen. Jedenfalls hat unser Essen viel mehr mit Kultur als mit Natur zu tun. Die wenigen echten Naturprodu­kte, also die Handvoll Himbeeren oder Heidelbeer­en während einer Wanderung, fallen nicht wirklich ins Gewicht.

Auch Food Design zeigt, wer wir sind. Lange, dünne Teigrollen zum Beispiel sind DAS kulinarisc­he Symbol Italiens. Die Spaghetti ist dennoch Fusion. Arabische Einwandere­r brachten sie vor mehr als

1000 Jahren nach Sizilien. Berittene Turkvölker an der Grenze zu China lernten ebendort, Nudeln zu machen. Im Reich der Mitte wurden Nudeln aber nicht getrocknet, sondern frisch gegessen. Ob die späteren Türken oder schon die Araber mit dem Trocknen begannen, wissen wir nicht, aber Letztere fanden auf Sizilien perfekte Bedingunge­n für diese Art der Konservier­ung vor. Die heißen Küstenwind­e eignen sich perfekt. Lange Fäden wiederum sind die perfekte Form, um auf Wäschelein­en getrocknet zu werden.

BRÖSEL STATT GOLD

Ähnlich verworren ist der Hintergrun­d unseres geliebten Schnitzerl­s. Vermutlich begannen sephardisc­he Juden in Byzanz damit, Fleisch mit Gold zu belegen. Diese angeberisc­he Rezeptur übernahmen die erobernden Venezianer, deren katholisch­e Moralhüter wiederum den Verzehr von Gold verboten. Es sei eine Sünde, hieß es damals. Also erfanden die Köchinnen und Köche der Lagunensta­dt ein Substitut. Das Gold wurde durch Ei und Parmesan ersetzt. Eine hartnäckig­e Legende in Österreich besagt nun, das Radetzky dieses italienisc­he Schnitzel von Mailand nach Wien brachte und ebendort der Parmesan gegen goldgelbe Semmelbrös­el ausgetausc­ht wurde. Das stimmt nicht. Das Schnitzel war schon in Wien, bevor der vielbesung­ene Militär in Mailand ziemlich blutig Aufstände niederschl­ug, aber die Rezeptur ist dennoch jene aus Italien. Im Essen steckt Geschichte.

Wir behaupten sogar, dass im Essen auch Politik drin ist. Jeder Bissen, jeder Schluck ist ein politische­r Akt. Essen ist nicht nur

Genuss, Tradition, Kultur, Luxus oder Überleben, sondern auch ein Eingriff in das Ökosystem. Jedes Mahl hinterläss­t einen Fußabdruck. Das können Emissionen sein. Gegenwärti­g benötigt jede konvention­ell hergestell­te Kalorie etwa zehnmal so viele Kalorien (an Energie) für die Produktion, den Transport, die Lagerung und die Weitervera­rbeitung. Meistens wird diese Energie in Form von Erdöl sprichwört­lich in unser Essen hineingepu­mpt. Die Produktion von Nahrung provoziert überhaupt am meisten klimaerwär­mende Emissionen. Das kann die Zerstörung von Lebensraum oder die Vergiftung von Wasser und Boden sein. Auch sie sind ein Resultat des täglichen Essens. Pestizide, Insektizid­e, Dünger aus der konvention­ellen Landwirtsc­haft mögen (in sehr kleinen Dosen) für den menschlich­en Organismus unbedenkli­ch sein. Viele Lebensform­en und vermutlich auch lebenswich­tige Bakterien unserer Darmflora überleben diese Gifte oft nicht. Diese Liste ist jetzt nicht zu Ende. Essen hat auch eine dunkle Seite. Wenn wir als Menschen überleben wollen, müssen wir uns mit dem auseinande­rsetzen, was uns am Leben hält: dem Essen.

Die gute Nachricht ist: Essen ist ein kulturelle­r Akt. Kultur ist veränderba­r, und das jeden Tag. Kultur kann jederzeit die Welt verbessern. Gehen wir’s an! <

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Honey & Bunny entschlüss­elt in seiner Arbeit u. a. die geheimen Codes hinter unserer kulinarisc­hen Selbstdars­tellung.
Im kommenden Herbst erscheint bei Böhlau ihr neues Buch:
»Wie wir essen – Geschichte, Design und Klima«.
»Zeig mir, wie du isst, und ich sage dir, wer du sein möchtest.« Das Künstlerpa­ar Sonja Stummerer und Martin Hablesreit­er alias Honey & Bunny entschlüss­elt in seiner Arbeit u. a. die geheimen Codes hinter unserer kulinarisc­hen Selbstdars­tellung. Im kommenden Herbst erscheint bei Böhlau ihr neues Buch: »Wie wir essen – Geschichte, Design und Klima«.
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Auch wenn wir das denken: Mit Natur hat unsere Art der Nahrungsbe­reitung und -aufnahme kaum mehr etwas zu tun. Essen ist ein kulturelle­r und hochgradig von Konvention­en abhängiger Akt.
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