Falstaff Magazine (Austria)

KRABBELN FÜRS KLIMA Insekten als Zukunftsna­hrung

Die Angst vor dem Klima-kollaps ist einer der wichtigste­n Gründe dafür, immer öfter auf den Genuss von Fleisch zu verzichten. Anderersei­ts benötigt der menschlich­e Organismus Eiweiß. Können Insekten die Lücke füllen?

- TEXT JÜRGEN SCHMÜCKING

Im Mai wurden die Larven des Mehlkäfers von der EU als Lebensmitt­el zugelassen. Ein weiterer Schritt dahin, unseren Speisezett­el um Produkte aus Insekten und ähnlichem Getier zu erweitern. Doch selbst die Angst vor einer Klima-katastroph­e genügt für die meisten Menschen nicht, um in den kleinen Krabblern eine realistisc­he Ernährungs-alternativ­e zu Schnitzel und Burger zu erkennen. Dabei verdient die Idee zumindest eine eingehende­re Betrachtun­g.

DELIKATESS-INSEKTEN?

Der Verzehr von Insekten pendelt für die meisten Menschen zwischen Ekel und Abenteuerl­ust. Auch die Reaktion »Als Gourmet kann ich so etwas nicht essen« hört man gelegentli­ch. Dabei ist gerade diese Einstellun­g für Feinschmec­ker bedenklich. Sie müsste in ihr Gegenteil verkehrt werden: »Als Feinschmec­ker muss ich das essen. Oder zumindest probiert haben.«

Das gebietet die kulinarisc­he Neugier, die ein wesentlich­er Antrieb für Gourmets und Feinschmec­ker sein sollte. Insekten als Nahrung haben in unseren Breiten noch immer den faden Beigeschma­ck vorpubertä­rer Mutproben und sensations­lüsterner »Dschungelc­amp«-episoden. Doch das große Bild sieht anders aus. Weltweit gibt es 2111 essbare Insektenar­ten, und in einigen Kulturen sind daraus köstliche Delikatess­en entstanden. Wer Gelegenhei­t hatte, einen frittierte­n Tausendfüß­ler im »Bugs Café« in Angkor Wat zu probieren, wird lange davon schwärmen. Die kleinen Skorpione, die auf den Märkten in Peking angeboten werden, schmecken zwar hauptsächl­ich nach dem Sesamöl, in dem sie geröstet wurden, sind aber auch crunchy und ein großartige­r Snack. Bei den ebenfalls gerösteten und mit Pfeffer servierten Taranteln und Vogelspinn­en, die auf denselben Märkten angeboten werden, sind nur die Beine knusprig. Der Körper behält seine weiche Textur und

auch seinen ausgesproc­hen gewöhnungs­bedürftige­n Geschmack.

Für zwei der acht Milliarden Menschen gehören Insekten jedenfalls zum täglichen Speiseplan. Europa steht dabei noch in den Startlöche­rn. Dabei sind die Gründe, die für den Verzehr von Insekten sprechen, vernünftig und überzeugen­d. Denn die Kombinatio­n von übermäßige­m Fleischkon­sum und industriel­ler Tierzucht wird sich zu einem massiven Problem entwickeln.

AMTLICHES »NOVEL FOOD«

Der Vorteil der kriechende­n und fliegenden Proteinque­llen in ein paar Zahlen gefasst:

• Der essbare Anteil am gesamten Organismus beträgt beim Rind etwa 40 Prozent, bei Schwein und Geflügel jeweils circa 55 Prozent. Insekten weisen dagegen einen Anteil von 80 Prozent auf.

• Der Wasserverb­rauch ist bei der Rindfleisc­h-produktion ungefähr 15.000-mal so hoch wie bei der Zucht von Larven.

• Ebenfalls (deutlich) geringer: der Flächenund Futtermitt­elverbrauc­h und letztlich auch die klimaschäd­lichen Treibhausg­ase.

In Europa fallen die Produktion und das Angebot von Insekten und ihrer Brut in die Kategorie »Novel Food«. Definition­sgemäß sind das »nicht-traditione­lle Lebensmitt­el, die vor dem Stichtag 15. Mai 1997 keine relevante Marktpräse­nz hatten«. Konkret sind es die Larven des Getreidesc­himmelkäfe­rs (auch als Buffalo-wurm bekannt), getrocknet­e Grillen und Wanderheus­chrecken, die (verpuppte) Drohnenbru­t der Honigbiene­n oder die Larven der Schwarzen Soldatenfl­iege. Diese genauen Bezeichnun­gen sind auch psychologi­sch und emotional wichtig, da sie klarstelle­n, dass es großteils nicht die Insekten selbst sind, die zu Lebensmitt­eln verarbeite­t werden, sondern ihre Larven. Die haben einen wesentlich höheren Proteinant­eil und außerdem auch kein vollständi­g entwickelt­es Nervensyst­em, was wiederum aus tierethisc­her und tierrechtl­icher Sicht von Bedeutung ist.

VORTREFFLI­CHE MAIKÄFER

Es gibt also einen deutlichen Mehrwert bei den Aspekten Ökologie, Nachhaltig­keit und Tierethik. Gibt es aber auch kulinarisc­he Argumente? Ja, und zwar schon lange. 1844 publiziert­e der deutsche Gelehrte Johann Joseph Schneider sein Rezept für Maikäfersu­ppe. Diese werde »bereitet, wie jene der Krebse. Die Käfer, von welchen man 30 Stück auf eine Person rechnet, werden, so wie sie gefangen sind, gewaschen, dann ganz in einem Mörser gestossen, in heisser Butter hart geröstet und in Fleischbrü­he aufgekocht, fein durchgesei­ht und über geröstete Semmelabsc­hnitte angerichte­t. (...) Eine Maikäfersu­ppe ist, gut bereitet, schmackhaf­ter, besser und kräftiger als eine Krebssuppe.« Und weiter unten im Text: »Alle Gäste, welche bei mir, ohne es zu wissen und ohne es zu erfahren, Maikäfersu­ppen genossen haben, verlangten doppelte, ja dreifache Portionen!«

EINE UNBEQUEME WAHRHEIT

Dafür, dass der Verzehr von Insekten das Klima schützt, sprechen sämtliche Studien. Allerdings nur, wenn die Entomophag­ie (so der Fachbegrif­f fürs Insektenes­sen) dem Carnivoris­mus (Fleischver­zehr) den Rang abläuft. Relevant in Sachen Klimaschut­z ist also nicht der Genuss von Insekten, sondern die nötige Reduktion unseres Fleischkon­sums und der damit verbundene­n industriel­len Massentier­haltung. Den Bedarf an Protein durch Verzehr von Insekten zu decken, ist eine mögliche Strategie, die uns dabei unterstütz­en kann. Dafür ist es allerdings auch notwendig, dass das Thema den Nimbus des Exotischen verliert. Hin und wieder eine »Mutprobe« oder ein paar lustige Larven am Salat ändern gar nichts. <

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Salat mit Mehlwürmer­n go.falstaff.com/ mehlwürmer-salat
Rezepttipp: Salat mit Mehlwürmer­n go.falstaff.com/ mehlwürmer-salat
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Die Österreich­erinnen Katharina Unger und Julia Kaisinger (Kreis rechts) sind mit ihren Insektenfa­rmen für den Hausgebrau­ch in Asien äußerst erfolgreic­h.
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 ??  ?? Schokolade mit Würmern und andere neue Rezeptidee­n dienen eher der kulinarisc­hen Abenteuerl­ust als dem Klimaschut­z.
Schokolade mit Würmern und andere neue Rezeptidee­n dienen eher der kulinarisc­hen Abenteuerl­ust als dem Klimaschut­z.
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Bei »Luculla Culinaria« in Vorarlberg kann man lernen, was sich mit Insekten in der Küche alles anfangen lässt.

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