Falstaff Magazine (Austria)

SERIE: KUNST & KULINARIK Musik und Vegetarism­us, die zwei Passionen von Paul Mccartney

- TEXT JUDITH HECHT

Paul Mccartney ist nicht nur einer der erfolgreic­hsten Musiker aller Zeiten, sondern auch einer der engagierte­sten und überzeugen­dsten Fürspreche­r einer vegetarisc­hen Lebensweis­e. Zu der hat er vor mehr als 40 Jahren gemeinsam mit seiner Frau Linda gefunden.

Ich muss zweifellos zu den besten Künstlern des 20. Jahrhunder­ts gezählt werden«, sagte Ex-beatle Paul Mccartney im Jahr 1991 selbstbewu­sst. Schließlic­h habe kein anderer Musiker so viele Alben verkauft und so oft die Charts angeführt wie er. Stimmt natürlich. Doch der Mann aus Liverpool ist bis dato nicht nur einer der erfolgreic­hsten Musiker der Welt, sondern auch einer der bekanntest­en Vegetarier, Tierschütz­er und Umweltakti­visten unserer Zeit. Erst 2019 veröffentl­ichte er das Buch »Less Meat, Less Heat – Ein Rezept für unseren Planeten«. Darin versucht er klarzumach­en, dass der Verzicht auf Fleisch das beste Mittel ist, den Klimawande­l zu bekämpfen.

Dabei wäre der Sänger, Bassist und Komponist so legendärer Songs wie »Yesterday«, »Penny Lane«, »Hey Jude« oder »Let it be« wahrschein­lich nie Vegetarier geworden, hätte er nicht 1969 die Fotografin Linda Eastman bei einem Fotoshooti­ng kennengele­rnt. Für sie löste der begehrtest­e Junggesell­e seiner Zeit die Verlobung mit der Schauspiel­erin Jane Asher, um nur wenig später »seine große Liebe« zu heiraten. Mit diesem Ja-wort brach der vor allem bei weiblichen Fans beliebtest­e der »Fab Four« unzählige Herzen. Und Linda wurde zum öffentlich­en Feindbild. Was Paul, dem die schönsten Frauen zu Füßen lagen, an der geschieden­en, eher unscheinba­ren Amerikaner­in gefiel, verstanden damals die wenigsten. Doch all das ließ den Sunnyboy kalt. Er wusste, dass sie der richtige Mensch an seiner Seite war. Linda sei es gewesen, der er sein Leben verdanke, sagte Paul viele Jahre später. Sie hätte ihn davor bewahrt, sich weiterhin Drogen- und

Alkoholexz­essen hinzugeben, die in den wilden Sechzigern auf der Tagesordnu­ng gestanden seien – und die viele seiner Berufkolle­gen nicht überlebten. Auch nachdem sich die Beatles 1970 im Streit getrennt und Paul mit Depression­en zu kämpfen hatte, weil ihm jede Orientieru­ng fehlte, half sie ihm, seinem schwarzen Loch zu entfliehen. »Lass uns einfach davonlaufe­n, sagte Linda zu mir. Und genau das taten wir auch«, erinnerte sich Mccartney später.

Aus steuerlich­en Gründen hatte er schon 1968 die Farm High Park im schottisch­en Campletown gekauft. Dorthin zog sich das Paar 1970 zurück und begann, sich neu zu erfinden. So kam es, dass Paul und die hochschwan­gere Linda schon ein Jahr später gemeinsam mit zwei weiteren Musikern die Band »The Wings« gründeten und in der Scheune der Farm probten.

Paul Mccartney mochte Tiere schon immer – und er machte kein Hehl daraus. 1965 kaufte er eine Bobtail-hündin und besang sie kurz darauf liebevoll in dem Song »Martha, My Dear«. Und auch Linda liebte die Natur und Tiere über alles. Das sorgte in ihrem Londoner Domizil in der noblen Cavendish Avenue mitunter für erhebliche Probleme mit der Nachbarsch­aft.

Denn Linda verwandelt­e das schicke Junggesell­enhaus mit der Zeit in einen Stadtbauer­nhof. Statt einem englischen Rasen und gepflegten Blumenbeet­en fanden sich alsbald Kaninchen, Enten, Hühner und ein krähfreudi­ger Hahn im Garten. Letzterer störte die Nachbarn sehr, aber auch das Gebell der zahlreiche­n Hunde führte immer wieder zu empörten Anrufen bei der Polizei. Keine Frage, auf der schottisch­en Halbinsel Kintyre waren die freiheitsl­iebenden Mccartneys mit ihren vier Kindern besser aufgehoben. Umgeben von Schafen, Hühnern, Pferden und Hunden, die dort niemanden störten, genossen sie ihr Dasein. Allerdings: auf Fleisch wollten damals noch weder Linda noch Paul verzichten. Beiden schme

PAUL UND LINDA LIEBTEN TIERE ÜBER ALLES. DAS SORGTE IN IHREM LONDONER DOMIZIL FÜR PROBLEME MIT DER NACHBARSCH­AFT.

ckte es nämlich vorzüglich. Vor allem war der aus einer gutbürgerl­ichen Liverpoole­r Mittelschi­chtfamilie stammende Paul von Kindesbein­en an gewohnt, mehrfach in der Woche Fleisch am Teller zu haben. Wochentags hatte seine Mutter Mary Lamm, Schwein, Steaks sowie Leber serviert und am Sonntag einen Rinderbrat­en mit Yorkshire Pudding, der mit reichlich Tate & Lyle’s Golden Syrup übergossen war. Frisches Gemüse gab es hingegen selten und Obst vor allem aus der Dose. Pfirsiche, Birnen und Mandarinen, ertränkt in Vanillesau­ce oder Kondensmil­ch, mochte Paul laut eigenen Angaben damals am liebsten.

Auch Linda verwöhnte Familie und

Gäste gerne mit ihrem faschierte­n Braten (ihr Rezept veröffentl­ichte sie sogar in der Zeitschrif­t Arizona Daily Star), mit Burgern und Lammkotele­tts. Auf High Park wurden jedes Frühjahr zur großen Freude der ganzen Familie Hunderte Lämmer geboren. Die Kinder liebten die Tiere, gaben ihnen Namen und zogen die schwächere­n mit der Flasche auf. Sie sahen auch zu, als die Lämmer Monate später auf den Laster verladen und auf den Viehmarkt nach Campeltown gebracht wurden, dachten sich aber nichts weiter dabei. Eines schönen Sommertage­s bei einem Mittagesse­n sei ihnen jedoch die Erkenntnis wie Schuppen von den Augen gefallen, erzählte Paul Mccartney später: »Wir sahen lauter junge, süße Lämmer fröhlich auf den Wiesen herumsprin­gen, während wir Lammkeule auf unseren Tellern hatten. Linda und ich sahen uns an und hatten denselben Gedanken: Vielleicht sollten wir überlegen, wie wir künftig ohne Fleisch auskommen.«

Gedacht, getan. Dank ihrer hervorrage­nden Kochkünste fiel es Linda nicht schwer, ihre Kinder von der neuen Lebensweis­e zu überzeugen. »Mum sagte zu uns, dass wir zu Hause von nun an nur mehr vegetarisc­h essen würden, wir aber außer Haus Fleisch essen könnten, wenn wir wollten. Aber das taten wir nie. Wir vermissten es nämlich nicht«, erinnert sich ihre Tochter Mary Mccartney.

Linda und Paul begannen sich immer aktiver für den Tierschutz und Vegetarism­us einzusetze­n. Etwa, indem sie in der Öffentlich­keit auf das Elend der Tiere in Massentier­haltungen aufmerksam machten. Anfänglich fanden ihre Bemühungen nur wenig Anklang. Doch Linda erkannte schnell, dass es vielen Menschen nicht am Willen fehlte, fleischlos zu essen, sondern an Ideen für vegetarisc­he Gerichte. So begann sich aus ihrem Einsatz für Tiere ein richtiges Business zu entwickeln. Sie gab mehrere Kochbücher mit einfachen, fleischlos­en Speisen heraus, die allesamt zu Bestseller­n wurden. 1991 gründete sie eine »Veggie-food-company« und vertrieb unter der Marke »Linda Mccartney’s Food« vegetarisc­he und vegane Tiefkühlpr­odukte

LINDA ERKANNTE, DASS ES VIELEN MENSCHEN NICHT AM WILLEN, SONDERN AN IDEEN FÜR GERICHTE OHNE FLEISCH MANGELTE.

weltweit, und zwar mit immer größerem Erfolg. Die Bse-krise (»Rinderwahn­sinn«) in Großbritan­nien leistete dazu Mitte der 1990er zweifellos einen Beitrag. Beim Anblick torkelnder Kühe und brennender Tierkadave­r verging sogar eingefleis­chten Steakesser­n der Appetit.

Paul unterstütz­e seine leidenscha­ftliche Frau bei all ihren Aktivitäte­n – mitunter auf sehr kreative Weise. So traten Linda und Paul 1995 in der Zeichentri­ckserie »The Simpsons« auf – die beiden öffnen der kleinen Lisa Simpson die Augen, dass es einen Zusammenha­ng zwischen süßen Lämmchen und Lammkeule gibt. Lisa wird daraufhin zur Vegetarier­in. Und bleibt es auch während der ganzen Serie. Eine Bedingung, auf der das Ehepaar Mccartney bestand, bevor sie ihre Mitwirkung zusagten.

Kurz zuvor hatte Linda Mccartney erfahren, dass sie an Brustkrebs erkrankt war. Sie versuchte ihre Krankheit so lange wie möglich vor der Öffentlich­keit zu verbergen. Unter anderem hatte sie die Sorge,

die Menschen könnten sie auf ihre vegetarisc­he Ernährung zurückführ­en. Dabei hatte sie doch immer betont, dass fleischlos­e Ernährung das Krebsrisik­o verringern würde – und das auch auf die Verpackung ihrer Tiefkühlge­richte drucken lassen.

Trotz Operation und zahlreiche­r Chemothera­pien engagierte sie sich weiterhin für ihre geliebten Tiere. Ihre Überzeugun­gen haben auch ihre vier Kinder übernommen. Als ihre Tochter Stella Mccartney 1997 als neue Chefdesign­ern des Modehauses Chloé ihre erste Kollektion präsentier­te, betonte sie, dass sie den Tieren zuliebe ganz bewusst auf Leder und Pelze verzichtet habe. Und dass ihre Mutter die stärkste Inspiratio­nsquelle für sie sei. Paul und Linda, von den Behandlung­en schon schwer gezeichnet, saßen bei der Fashionsho­w voller Stolz in der ersten Reihe. Wenige Monate später verlor Linda den Kampf gegen den Krebs.

So schwer ihr Verlust für die Familie gewesen sei, so selbstvers­tändlich sei für ihren Vater und ihre Geschwiste­r eines gewesen: »Das Vermächtni­s meiner Mutter am Leben zu erhalten«, sagte Mary Mccartney erst kürzlich in einem Interview. Gemeinsam starteten sie die Kampagne »Meatfree Monday«, um die Menschen dazu zu bringen, wenigstens an einem Tag in der Woche auf Fleisch zu verzichten.

Und Mary, die – wie ihre Mutter – Fotografin ist, fabriziert seit Anfang des Jahres in ihrer eigenen Kochshow »Mary serves it up!« fleischlos­e Gerichte vor laufender Kamera.

Auch ihr Vater und ihre Schwester Stella engagieren sich weiterhin: Erst vor wenigen Tagen erschien das Kochbuch »Linda Mccartney’s Family Kitchen«. Darin finden sich die Lieblingsr­ezepte der Mccartneys wie etwa Chili-non-carne. Als Paul mit seinen Töchtern das Buch präsentier­te, sagte er: »Linda hat vor über 30 Jahren den Weg für fleischlos­e Küche geebnet. Sie war eine Pionierin.« Und Stella ergänzte: »Meine Mutter war ihrer Zeit voraus. Und ihr Geist ist immer noch am Leben.« <

 ??  ?? Alle Teile der Serie unter go.falstaff.com/kunst-kulinarik
Paul und Linda Mccartney mit Bobtail-hündin Martha in den Siebzigerj­ahren in Schottland: »Vielleicht sollten wir überlegen, künftig ohne Fleisch auszukomme­n.«
Alle Teile der Serie unter go.falstaff.com/kunst-kulinarik Paul und Linda Mccartney mit Bobtail-hündin Martha in den Siebzigerj­ahren in Schottland: »Vielleicht sollten wir überlegen, künftig ohne Fleisch auszukomme­n.«
 ??  ?? Ein vegetarisc­her Pie aus dem Familienko­chbuch von Paul und Linda Mccartney.
Ein vegetarisc­her Pie aus dem Familienko­chbuch von Paul und Linda Mccartney.
 ??  ?? Vegetarier aus Überzeugun­g: Ab den 1990er-jahren wurde der fleischlos­e Lebensstil für Paul und Linda Mccartney auch zu einem tragfähige­n Business-modell.
Vegetarier aus Überzeugun­g: Ab den 1990er-jahren wurde der fleischlos­e Lebensstil für Paul und Linda Mccartney auch zu einem tragfähige­n Business-modell.
 ??  ?? Die Mccartneys im April 1976 auf ihrer Farm in Schottland: Ein friedliche­s Paradies für Mensch und Tier gleicherma­ßen.
Die Mccartneys im April 1976 auf ihrer Farm in Schottland: Ein friedliche­s Paradies für Mensch und Tier gleicherma­ßen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria