INWIEWEIT HAT UNS CORONA VERÄNDERT?
FALSTAFF Corona ist seit fast zwei Jahren Thema Nummer eins, und zwar weltweit. Welche Auswirkungen hat solch ein zeitlich langes, weltumspannendes Ereignis wie diese Pandemie auf unser Sozialverhalten?
KURT KOTRSCHAL Die Auswirkungen des fast ausschließlichen Fokus der Medien und der Politik auf das Virus – zumindest bei uns – sind beträchtlich. Wir erleben eine geistige Verengung, einen Verlust an demokratischer Kultur und von bürgerlichen Freiheiten. Es besteht die Gefahr, dass wir uns daran gewöhnen und Staat und Politik auch in Zukunft mehr Raum zugestehen, als uns allen guttut. Zudem lenkt die Pandemie von tatsächlich dringenden Problemen, der Klima- und der Biodiversitätskrise, ab und beeinträchtigt die Problemlösungsfähigkeit von Staaten und Zivilgesellschaften.
Zu Beginn der Pandemie wurde an Fenstern für das Pflegepersonal applaudiert, jetzt wird vor Krankenhäusern protestiert – manche Institutionen müssen sogar bewacht werden. Was hat sich in Bezug auf die Solidarität verändert und warum? Jene, die anfangs applaudierten und heute protestieren, sind nicht dieselben Personen. Die Wertschätzung der Mehrheit der Bevölkerung für die »Systemerhalterinnen«, das Personal in der Pflege und in den Supermärkten, für die Polizei etc., besteht unverändert, schlägt sich allerdings noch immer nicht in klaren politischen Reformen nieder, etwa einer Pflegereform oder besserer Bezahlung. Viele Leute sind auch sehr müde geworden durch die Maßnahmen; erschöpfte, auf sich selber zurückgeworfene Menschen applaudieren eben nicht mehr gerne. Es hat sich also weniger die Solidarität verändert, als ihr Ausdruck.
Welche positiven Aspekte hat die Pandemie, und was können wir daraus für die Zukunft lernen? Neben den politisch-gesellschaftlichen Gefahren des Sich-daran-gewöhnens werden die Pandemiemaßnahmen die Lebensstile der Menschen langfristig verändern. Denn Menschen sind »Gewohnheitstiere«. Aber nicht alle Veränderungen sind negativ. Vielleicht werden auch in Zukunft mehr Leute einen gesünderen Lebensstil pflegen mit mehr Bewegung, mehr Beziehung zu Natur und Tieren und mehr selber Kochen. Man muss weniger reisen als vor Covid und gewinnt auch individuell an Flexibilität, auch durch die Einsicht, dass regelmäßiges Homeoffice eine gute Sache sein kann.