»AUCH BEI REBEN GIBT ES OPTIMISTEN UND PESSIMISTEN«
Hans Reiner Schultz ist Präsident der Hochschule Geisenheim und Experte für die Auswirkungen des Klimawandels auf den Weinbau. Er meint: »Wie stark sich die Rebsortenspiegel verändern werden, ist schwer vorherzusagen.«
FALSTAFF: Professor Schultz, der Weinbau unter den Bedingungen der Erderwärmung ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte. Werden wir in 50 Jahren noch dieselben Rebsorten in denselben Regionen sehen, also in Gegenden, in denen sie heute als klassisch gelten? HANS REINER SCHULTZ:
Das ist eins der größten Probleme bei der praktischen Bewältigung des Klimawandels und relativ schwer vorherzusehen. Wenn wir rein nach den Klimadaten gehen, dann hätten beispielsweise 2018 mit diesen Rekordtemperaturen weder Riesling noch Grauburgunder bei uns in Deutschland wachsen dürfen.
Man findet jetzt öfter den Huglin-index in der Diskussion, eine Skala, an der man ablesen kann, welche Sorten in die einzelnen Klimazonen passen.
In der Tat ist der Huglin-index an die Sorteneignung gekoppelt, aber er verleitet leider auch zu falschen Schlüssen. Riesling und Pinot Noir fallen beispielsweise in den Bereich zwischen 1700 und 1800, aber trotzdem ist es kardinal falsch zu sagen: Ab einem Huglin-index über 1800 ist Pinot Noir nicht mehr geeignet. Der Index definiert nur ein Minimalziel, das eine Sorte benötigt, um ausreichend reif zu werden. Man kann ihn nur als unteren Schwellenwert ansehen.
Das heißt, wenn sich der Huglin-index einer Region im Lauf der Erderwärmung erhöht, dann lässt sich daraus zunächst nur schließen, dass es dort möglich wird, andere, wärmebedürftigere Rebsorten anzubauen. Und man kann nicht daraus schließen, dass die alten Sorten zwingend aufgegeben werden müssen?
Ja, genau. Man muss sich dann anschauen, wie gut sich unsere angestammten Sorten halten. Man spricht bei der Eigenschaft von Rebsorten, in einem breiten Spektrum von Klimabedingungen gute Weine zu bringen, von »Plastizität«.
Chardonnay und Cabernet beispielsweise sind relativ plastisch, bei anderen Sorten ist man sich noch nicht so sicher.
Demnach wäre es nicht seriös vorherzusagen, dass in Kalifornien in 30 Jahren nur noch Sorten wie Tempranillo oder Mourvèdre wachsen?
An der Westküste der USA geht auch jetzt schon alles, und mit Rhône-sorten haben Leute wie Randall Grahm von Bonny Doon schon vor 40 Jahren experimentiert. Trotzdem: Napa würde dennoch auf kein anderes Pferd setzen als auf Cabernet, da bin ich ziemlich sicher.
Das heißt dann aber vermutlich, dass man weinbaulich viele Parameter ändern muss?
Gerade wenn man über »dry farming« spricht, also Weinbau ohne Bewässerung, dann muss man sich natürlich Gedanken machen. Aber man darf auch die Anpassungsfähigkeit von Reben nicht unterschätzen. Eine der größten Überraschungen meiner bisherigen Forscherlaufbahn waren Ergebnisse, die ich in Montpellier bei Studien an Syrah und Grenache gewinnen konnte. Kurz gesagt: Grenache macht total zu, wenn es trocken wird, aber Syrah haut alles raus und wächst erst recht weiter auf der Suche nach Wasser. Auch Reben können sich optimistisch oder pessimistisch verhalten.
Geradezu menschliche Eigenarten!
Grenache ist ein extremer Pessimist und Syrah ein Optimist. Und bislang haben beide Sorten bestens überlebt, auch unter den Bedingungen intensiver Trockenheit. Aber auch das hat natürlich Grenzen. Diese Grenzen werden zum Beispiel bei Optimisten erreicht, wenn Dauertrockenheit und vollständige Wassernutzung zum Kollaps führen (falls keine Bewässerung möglich ist). Physiologisch kann sich das in extremem Blattverlust und fehlender Holzreife äußern. Dann werden Faktoren wie Ertrag, Zucker- und auch Farbbildung extrem negativ beeinflusst.