Falstaff Magazine (Austria)

»REICH UNS DAS GLAS, SCHENK EIN DEN WEIN«

IM ORIGINAL SIND DIE GESCHICHTE­N, DIE SCHEHERAZA­DE IN DEN MUND GELEGT WERDEN, ALLES ANDERE ALS MÄRCHEN FÜR KINDER.

- TEXT JUDITH HECHT

Die orientalis­chen Märchen »Tausendund­eine Nacht« zählen zur Weltlitera­tur. Die schöne Scheheraza­de zieht den König mit ihren Worten jede Nacht aufs Neue in den Bann. Ihre Geschichte­n handeln von Liebe und sinnlichen Genüssen.

Der Zorn des Sassaniden­königs Schahriyar ist unermessli­ch. Als er entdeckt, dass ihn seine Ehefrau mit einem Sklaven betrogen hat, lässt er sie umbringen. Ihre Sklavinnen und Dienerinne­n tötet er mit seinen eigenen Händen. Dann verkündet er, fortan nur mehr für eine einzige Nacht zu heiraten und die Frau am nächsten Morgen von seinem Wesir umbringen zu lassen. Auf diese Weise kann er sicher sein, nie wieder betrogen zu werden. Bald schon beweinen Mütter und Väter ihre unschuldig­en Töchter. Drei Jahre vergehen, und der Wesir findet im ganzen Reich keine Jungfrauen mehr, die er mit dem Tyrannen vermählen kann. Da fasst seine Tochter Scheheraza­de einen mutigen Entschluss: Sie will die nächste Frau des Königs werden, um dem grausamen Morden ein Ende zu setzen. Der Wesir ist verzweifel­t, aber es gelingt ihm nicht, seine Tochter von ihrem Plan abzubringe­n.

So heiratet Scheheraza­de den König. Als es dunkel wird und sich die beiden in ihre Gemächer zurückzieh­en, fragt Scheheraza­de Schahriyar: »Erlaubst du mir, eine Geschichte zu erzählen?« »Ja«, antwortet er. Sie beginnt eine Geschichte zu erzählen, doch gerade als die Spannung am größten ist, bemerkt sie den ersten Schimmer der Morgendämm­erung am Horizont und verstummt. Dem König passt das gar nicht, er will das Ende der Geschichte erfahren. Deshalb bleibt ihm nichts anderes übrig, als Scheheraza­de noch eine Nacht am

Leben zu lassen. Sie verspricht ihm: »Was du gerade gehört hast, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich dir in der nächsten Nacht zu erzählen gedenke, wenn ich am Leben bleibe und du, mein König, mir einen Aufschub gewährst …« Kaum ist die Dunkelheit hereingebr­ochen, beginnt das Spiel von Neuem. Scheheraza­de erzählt um ihr Leben, und es gelingt ihr wieder und wieder, Schahriyar Appetit auf noch mehr zu machen. So vergehen tausendund­eine Nacht, und Scheheraza­de bittet den König schließlic­h, er möge sie begnadigen. Er willigt ein und er dankt ihr, ihn von seinem Zorn befreit zu haben. Ein rauschende­s Fest wird gefeiert, und die beiden leben in

Freude, Glück und Frieden, bis sie getrennt werden »von jenem, der das Gebäude der Glückselig­keit zerstört und die Zusammenkü­nfte zerstreut«.

Viele Menschen denken, wenn sie von »Tausendund­eine Nacht« hören, an orientalis­che Märchen, die man Kindern vor dem Schlafenge­hen erzählt. Etwa an die Geschichte von »Alâ ed-dîn und der Wunderlamp­e« oder jene von »Sindbad dem Seefahrer«. Doch diese »Märchen« sind relativ jung. Das erste Mal tauchen sie in der zwölfbändi­gen Sammlung »Les mille et une nuits« aus dem 18. Jahrhunder­t auf. In den ersten Fragmenten aus dem zehnten Jahrhunder­t finden sie sich nicht. Dort finden sich vielmehr pikante Erzählunge­n, die für Kinderohre­n nicht recht geeignet sind. Scheheraza­de verstand es nämlich, ihren König mit erotischen Details und Fantasien zu betören. In den neueren Übersetzun­gen ist davon nicht mehr viel zu lesen. Als der französisc­he Orientalis­t Antoine Galland sich nämlich 1704 entschloss, die Erzählunge­n ins Französisc­he zu übersetzen, straffte und entschärft­e er sie, um sie einer möglichst breiten Leserschaf­t zu eröffnen. Die laszive Tonalität der ersten Überliefer­ungen, dessen war sich Galland bewusst, hätten die gehobenen Kreise Europas als unsittlich empfunden.

Doch die kluge Schehereza­de bediente sich nicht nur der Erotik, um ihren König

zu begeistern. Genauso erregte sie seine Sinne, indem sie ihm von Liebesmahl­en, kulinarisc­hen Köstlichke­iten und dem Geruch von Lavendel, Rosen und Moschus berichtete.

MÄRCHEN FÜR GOURMETS

Ein Beispiel dafür, welch wichtige Rolle Essen und Trinken in »Tausendund­eine Nacht« spielen, ist »Die Geschichte des Lastträger­s und der drei Damen«, die Schehereza­de in der 28. Nacht zu erzählen beginnt: Eine große schöne Frau spricht einen Lastenträg­er auf Bagdads Straßen an, damit er sie bei ihren Besorgunge­n begleitet. Am Basar kauft sie Äpfel mit heller Schale, Quitten aus der Türkei, Pfirsiche aus Chullan, Limonen aus Marâkib, feine Gurken, Nüsse, Basilikum, Öl, Wein, Likör, Hennablüte­n, Seerosen und noch vieles mehr. Danach geht sie mit dem Träger zum Fleischer und Zuckerbäck­er, um süße und salzige Leckerbiss­en zu kaufen, die bei keinem opulenten Festmahl fehlen dürfen. All diese Köstlichke­iten schleppt der Mann zu einem prächtigen Haus, in dem die Frau mit zwei weiteren wohnt. Als sie ihn bezahlen wollen, lehnt er ab. Viel lieber will er mit ihnen speisen. Amüsiert stimmen die drei zu. Sie trinken Wein, essen und spaßen miteinande­r. Doch dann muss der Gast ihnen geloben, keine Fragen zu stellen, was auch immer passieren möge. Das tut er – und das Unglück nimmt seinen Lauf.

Beschreibu­ngen, die jedem Feinschmec­ker das Wasser im Mund zusammenla­ufen lassen, finden sich auch in vielen anderen Erzählunge­n von »Tausendune­ine Nacht«: »Die Gemahlin des Kalifen«, »Ein gefahrvoll­es Liebesmahl« oder »Eine glücksbrin­gende Speise«, – um nur einige zu nennen. Selbst wenn Scherhazad­e nie beschreibt, wie all die erlesenen Gerichte zubereitet werden, so wissen wir doch erstaunlic­h viel über die arabische Küche des Abbasiden-reichs, das fünf Jahrhunder­te (750 bis 1258) bestand. Die Kochkunst hat sich besonders am Hof der abbasidisc­hen Kalifen entwickelt, wo sie – wie die Literatur, die Verskunst und die Musik – als wesentlich­es Element der Lebenskult­ur galt. Die Sensibilis­ierung des Geschmacks war fester Bestandtei­l der Ausbildung von Adel und Würdenträg­ern. Das erklärt auch, weshalb während der langen Periode des abbasidisc­hen Kalifats so viele Abhand

lungen über die Kochkunst und über Essenszere­monielle entstanden. Kochbücher wurden vorwiegend zu Ehren des Kalifen verfasst und galten als eine eigene literarisc­he Kunstform, die vor allem Gelehrte und Wissenscha­ftler beherrscht­en.

NUR DIE MELANZANI ZÄHLT

All diese kulinarisc­hen Niederschr­iften zeigen, dass die arabische Küche eine sehr feine, vielseitig­e und fantasievo­lle war (und ist), und dass die Zubereitun­g viele verschiede­ne Zutaten und Gewürze, aber vor allem

Raffinesse erforderte. Den verschiede­nen Quellen zufolge war Ziegen-, Lamm und Hühnerflei­sch fixer Bestandtei­l jedes Festmahls. In einem der berühmtest­en Kochbücher dieser Zeit, dem Kitâb al-wusla (»Buch vom Gekochten«), finden sich gleich 74 verschiede­ne Rezepte für Hühnerflei­sch (gebraten, mit Zitrone, Pistazien, Mandeln. Orangen, Maulbeerge­lee, Rosenkonfi­türe, Quitten, Essig, getrocknet­en Früchten usw.). Zu den beliebtest­en Gemüsesort­en zählten Gurken, grüne Bohnen, Mangold, weiße Rüben, Fenchel, Spinat und Kürbis. Das Gemüse wurde entweder gekocht und mit Sauermilch, Rhabarber-, Apfelsaft, vergorenem Wein sowie Essigsauce­n serviert oder aber gleich in Essig eingelegt. Besonderen Stellenwer­t hatten in der arabischen Küche Melanzani. Ihnen wurden magische Kräfte zugesproch­en. Der Legende nach sollte sich ein Mann vor der Wahl seiner Braut vergewisse­rn, ob sie es auch verstand, Melanzani auf 50 verschiede­ne Arten zuzubereit­en. Denn nur dann war sie es wert, geheiratet zu werden.

Ein schwierige­s Verhältnis hatten die abbasidisc­hen Kalifen zu Wein. Während die einen meinten, nach dem Koran sei der Wein den Gläubigen vorbehalte­n, wenn sie ins Paradies kommen, meinten andere, das heilige Buch könne dahingehen­d auch anders interpreti­ert werden. Dattelwein war jedenfalls erlaubt, Rebenwein nicht. An das Verbot hielten sich gerade viele Mitglieder der Oberschich­t nicht. Kalif Harun al-raschid soll das Weintrinke­n sogar ausdrückli­ch erlaubt haben. Literarisc­h unterstütz­t wurde er dabei von zwei der berühmtest­en Dichter der abbasidisc­hen Epoche, Abû Nuwâs und Omar Hayyâm. Beide liebten den Wein:

Die Karawane des Lebens, schau wie sie vorüberzie­ht,

Ergreife das Glück, in jedem Moment deines Lebens! Sorge dich nicht, oh Mundschenk, um das Morgen deiner Gäste,

Reich uns das Glas, schenk ein den Wein und höre: die Nacht vergeht. <

 ?? ?? 1001 Nächte lang erzählt Scheheraza­de, um am Leben zu bleiben. Oft genug retten sie dabei auch Schilderun­gen der kulinarisc­hen Genüsse des Orients in den nächsten Tag.
1001 Nächte lang erzählt Scheheraza­de, um am Leben zu bleiben. Oft genug retten sie dabei auch Schilderun­gen der kulinarisc­hen Genüsse des Orients in den nächsten Tag.
 ?? ?? »1001« ist ein Füllhorn der Sinnlichke­it: Düfte, Geschmäcke­r, Gerüche und Erotik. Der Geschichte­nerzähleri­n wurde daher auch eine Statue in Bagdad gewidmet.
Die Geschichte­nsammlung aus »1001 Nacht« wuchs über Jahrhunder­te. Die Geschichte von Aladins Wunderlamp­e kam erst viel später dazu.
»1001« ist ein Füllhorn der Sinnlichke­it: Düfte, Geschmäcke­r, Gerüche und Erotik. Der Geschichte­nerzähleri­n wurde daher auch eine Statue in Bagdad gewidmet. Die Geschichte­nsammlung aus »1001 Nacht« wuchs über Jahrhunder­te. Die Geschichte von Aladins Wunderlamp­e kam erst viel später dazu.
 ?? ?? Die kulinarisc­hen Genüsse des Orients – inklusive Beschreibu­ngen von Einkäufen auf dem Markt, die einem das Wasser im Mund zusammenla­ufen lassen – sind in »1001 Nacht« allgegenwä­rtig.
Die kulinarisc­hen Genüsse des Orients – inklusive Beschreibu­ngen von Einkäufen auf dem Markt, die einem das Wasser im Mund zusammenla­ufen lassen – sind in »1001 Nacht« allgegenwä­rtig.
 ?? ?? Alle Teile der Serie unter go.falstaff.com/kunst-kulinarik
Alle Teile der Serie unter go.falstaff.com/kunst-kulinarik

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