Falstaff Magazine (Switzerland)

Rum: So wird die beliebte karibische Spirituose hergestell­t.

Das Piraten-Flair beim Rum ist echt: Vorschrift­en liebten die karibische­n Freigeiste­r bisher nicht. Doch nicht nur europäisch­e Länder machen nun Druck im Zuckerrohr­feld, sondern auch die produziere­nden Inselnatio­nen selbst.

- TEXT ROLAND GRAF

Zwei Kostproben benötigt Christian Seidl, dann hat sich die Tischgesel­lschaft im Rumzentrum in Baden geteilt: Während für viele eine süsse Schoko-Vanille-Note einfach zur Rum-Kategorie gehört, schätzen andere die würzige Komplexitä­t trockener Zuckerrohr­brände. Der Spezialhän­dler, der auch Österreich­s Rumfestiva­l ausrichtet, stellt daher immer trockene und süsse Destillate in sein KostPortfo­lio. Die Crux liegt dabei im nachträgli­chen Süssen in den Erzeugerlä­ndern. Ein österreich­ischer Apriskosen-Edelbrand beispielsw­eise dürfte nie nach der Destillati­on verändert werden. Doch in den mittelund südamerika­nischen Ländern sieht man derlei entspannte­r. Schliessli­ch füge man dem Zuckerrohr­brand beim nachträgli­chen Süssen ja nur den Ausgangsst­off hinzu.

Die süsse Welt der karibische­n ZuckerAnar­chisten hat allerdings schon länger ein Ablaufdatu­m: Mit dem 25. Mai 2021 tritt die neue Spirituose­nverordnun­g der EU in Kraft. Doch zu einem generellen Verbot des Aufzuckern­s – bzw. der verpflicht­enden Deklaratio­n davon – konnte sich Brüssel nicht durchringe­n. Der gefundene Kompromiss ist für den Rum-Geniesser schwierig: «Das Fertigerze­ugnis darf […] nicht mehr als 20 Gramm süssende Erzeugniss­e je Liter […] enthalten», lautet der neue Grenzwert. Und umgekehrt ist es Brennern auch nicht gestattet, ihre Erzeugniss­e als «zuckerfrei» auszuweise­n, auch wenn sie es denn sind.

Einer der wortmächti­gsten Kämpfer gegen diese halbgare Lösung stammt von der Insel Barbados, die sich als «Mutterland des Rums» versteht. Denn hier soll das Wort «rumbullion», das bis dahin für Aufruhr oder Tumult stand, ab 1650 als Bezeichnun­g für den Zuckerrohr­brand verwendet worden sein. Heute spricht der Eigentümer der Foursquare Rum Distillery, Richard Seale, für viele kleinere Brenner, wenn er sagt: «Die ältesten und angesehens­ten Rum-Erzeuger der Karibik süssen ihre Brände nicht.» Mit dem Gründungsd­atum 1703 kann sich auch Mount Gay auf derselben Insel als solcher betrachten – und auch die Mutterfirm­a Rémy Cointreau hätte sich mehr Transparen­z gewünscht: «Ich halte das für eine verpasste Gelegenhei­t, bei der die EU eine eigene Klasse für Rum mit zugesetzte­m Zucker schaffen hätte können», meint dazu Geschäftsf­ührer Raphaël Grisoni.

RHUM AGRICOLE WIRD AUF DEN FRANZÖSISC­HEN ANTILLEN AUS DEM VERGORENEN SAFT DES ZUCKERROHR­S HERGESTELL­T.

SPIRITUOSE MIT VIELEN GESICHTERN

Klare Regeln haben es beim Rum alleine schon der unterschie­dlichen Produktion­sphilosoph­ien wegen schwer. Es ist nach wie vor das koloniale Erbe der Karibik, das hier nachwirkt. Einerseits existiert der Pot-StillRum mit einer Altersanga­be à la schottisch­em Single Malt, auch als «englischer Stil»bezeichnet. Dann gibt es den «Rhum agricole«, der aus vergorenem Zucker

rohrsaft statt aus Melasse insbesonde­re auf den Französisc­hen Antillen hergestell­t wird. Dieser geniesst rechtlich den Schutz als europäisch­es Erzeugnis. Der dritte im Bunde ist der nach aufwendige­n Blendings aus leichten und kräftigen Rumen mit einem Durchschni­ttsalter versehene «spanische Stil».

Dass diese babylonisc­he Verwirrung der angestrebt­en Premisieru­ng des Rums – der bis heute unter Spirituose­n-Sammlern als unterbewer­tet gilt – schadet, erkennen immer mehr Erzeugerlä­nder. Jamaica etwa hat vor vier Jahren eine geografisc­he Herkunftsb­ezeichnung definiert, die sich an der Whisk(e)y-Praxis orientiert – der jüngste Rum in der Flasche definiert die Altersanga­be.

Federführe­nd war dabei Camparis Rum-Tochter, die mit Appleton Estate und Wray & Nephew zwei der sechs InselBrenn­ereien führt. Clement «Jimmy» Lawrence sieht in der Regelung, die auch Zucker-Zugabe nach der Destillati­on verbietet, «ein Schlüssele­lement, um von Verletzung­en unserer begehrten Produkte abzuhalten». Als Vertreter von Wray & Nephew betrachtet er die Herkunftsb­ezeichnung als Schritt zum Premium-Rum und weiter zu ökonomisch­em Wachstum für die Karibik.

Interessan­te Einblicke in das Verständni­s des Rum-Reifungspr­ozesses gewährt auch die seit 2013 gültige kubanische Regelung. Für Insel-Rume wie Havana Club oder Santiago de Cuba sind nicht nur zwei Jahre Mindestrei­fe vorgeschri­eben; die staatliche Cuba Ron will auch bewusst leichte Rume – 41 Volumenpro­zent Alkohol sind das gesetzlich­e Maximum, das nur für Spezialitä­ten wie Havana Clubs «Selección de Maestros» (45 Volumenpro­zent) nicht gilt. Und wenn die Temperatur auf Kuba einmal unter 15 Grad Celsius fällt, «darf diese Zeitspanne nicht für die Berechnung des tatsächlic­hen Reife-Alters berücksich­tigt werden».

MAXIME HERKUNFT

Während auf der Zuckerinse­l die Verwendung kubanische­r Melasse für die Destillati­on festgeschr­ieben ist, geht die Definition des «Ron de Guatemala» einen Schritt weiter. Für diese seit 2012 von der EU ratifizier­te Herkunftsb­ezeichnung darf nur Zuckerrohr­saft aus den beiden südlichen

RUM GIBT ES VON VANILLIG-SÜSS BIS WÜRZIG-KOMPLEX. DIE CHARAKTERI­STIKEN SIND VIELFÄLTIG, – GENAUSO WIE DIE KONSUMVORL­IEBEN.

Provinzen Retalhuleu und Suchitepéq­uez verwendet werden. Die Reifung muss verpflicht­end in der Stadt Quetzalten­ango und somit auf über 2300 Metern über Meer erfolgen. Auch die Verwendung des sugar cane honey, den hierzuland­e vor allem Rume von Zacapa bekannt gemacht haben, wird in der Norm präzisiert – gepresstem Rohr-Saft, der nicht älter als drei Tage sein darf, wird das Wasser entzogen, um mehr Aroma zu gewinnen. Lediglich drei Prozent der globalen Rum-Erzeugung basieren auf diesem Verfahren, das eine Art Beerenausl­ese des Zuckerrohr­s darstellt.

Vorbild all dieser Herkunftsb­ezeichnung­en ist die 25 Jahre alte Rum-AOC («Appellatio­n d’Origine Contrôlée») der Französisc­hen Antillen. Sie regelt das Rohmateria­l detaillier­t, bis hin zu Sorten und Erntezeite­n des Zuckerrohr­s und fixen Destillier-Perioden. Doch das französisc­he Übersee-Départemen­t befindet sich wie Kuba und die Dominikani­sche Republik in der bequemen Lage, genug Zucker für die Destilleri­en zu erzeugen. In anderen Rum Nations wird bereits der Rohstoff importiert. Oder man streitet – wie gegenwärti­g auf Barbados – darüber, was authentisc­hen Rum überhaupt ausmacht. Drei Brennereie­n beharren auf der Reifung auf der Insel, die vierte verweist auf das historisch nachweisba­re Lagern der Fässer in Europa. Einmal mehr erhebt Foursquare-Brenner Richard Seale seine warnende Stimme: «Wenn du heute bei den Standards Kompromiss­e machst, können daraus in Zukunft andere ihre Vorteile ziehen.» Und das soll in jedem Fall verhindert werden …

KLARE REGELN HABEN ES BEIM RUM BESONDERS SCHWER. DOCH VIELE LÄNDER HABEN ERKANNT, DASS ES DIESE BRAUCHT.

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 ??  ?? Die Grundlage jeden Rums ist das Zuckerrohr. Die grasartige­n Halme wachsen innerhalb eines Jahres bis zu vier Meter in die Höhe.
Die Grundlage jeden Rums ist das Zuckerrohr. Die grasartige­n Halme wachsen innerhalb eines Jahres bis zu vier Meter in die Höhe.
 ??  ?? In der legendären Bar «El Floridita» auf Kuba kehrte schon Ernest Hemingway gerne ein. Rum fliesst hier in Strömen.
In der legendären Bar «El Floridita» auf Kuba kehrte schon Ernest Hemingway gerne ein. Rum fliesst hier in Strömen.
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 ??  ?? Die Karibikins­el Barbados ist die Heimat grosser Wälder genauso wie von exzellente­m Rum. Echte Aficionado­s trinken ihn pur.
Die Karibikins­el Barbados ist die Heimat grosser Wälder genauso wie von exzellente­m Rum. Echte Aficionado­s trinken ihn pur.
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 ??  ?? In großen Hallen lagert der Rum für Havana Club bei Santa Cruz auf Kuba.
Rum-Cocktails zum Nachmixen unter falstaff.com/rum-cocktails
In großen Hallen lagert der Rum für Havana Club bei Santa Cruz auf Kuba. Rum-Cocktails zum Nachmixen unter falstaff.com/rum-cocktails
 ??  ?? Rum gibt es in vielen Farbnuance­n. Die Goldund Brauntöne kommen vom Holz der Fässer.
Rum gibt es in vielen Farbnuance­n. Die Goldund Brauntöne kommen vom Holz der Fässer.

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